Oldenburg Geschmolzenes Glas ist ein faszinierender Stoff: flüssig wie Lava, goldgelb wie Honig, zu unzähligen Formen wandelbar. Der Mainzer Spezialglashersteller Schott fertigt daraus etwa Ceran-Kochfelder, Teile für Teleskope und Milliarden von Impfstofffläschchen. Auf bis zu 1700 Grad werden die Rohstoffe wie Quarz und Boroxid dazu erhitzt. Die nötige Energie stammt noch überwiegend aus Erdgasfeldern in aller Welt, doch einen wachsenden Teil deckt Schott vor der Haustür: aus Wind- und Solarparks in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Der Konzern hat dazu Lieferverträge mit den Versorgern Statkraft, Engie und RWE abgeschlossen.
Schott, 17.000 Mitarbeiter, 2,8 Milliarden Euro Umsatz, steht für einen Trend: Mehr und mehr Unternehmen kaufen ihren Ökostrom direkt vom Erzeuger. Power Purchase Agreements, kurz PPA, werden diese oft langfristigen Direktlieferverträge genannt.
„Seit ihrem Start in Deutschland 2019 werden PPA immer beliebter“, sagt Michael Claußner, Berater beim Analysehaus Energy Brainpool, das eine Datenbank über den noch jungen Markt führt. Waren es anfangs Tech-Konzerne wie Microsoft und Google, dann Chemieriesen wie BASF und Covestro, die sich über PPA Strom von Windrädern oder aus Solarparks sicherten, setzen inzwischen zunehmend auch Mittelständler darauf, etwa der Zoofachhändler Futterhaus, der Zementhersteller Opterra, der Zulieferer Freudenberg oder der Glashersteller Verallia. Angeboten werden PPA von rund einem Dutzend großen und zahlreichen kleineren Versorgern.
Die Lieferverträge bieten beiden Seiten Vorteile. Kunden schätzen sie vor allem wegen der langfristig planbaren Stromkosten und als Baustein ihrer Klimastrategie. „Wir wissen, dass PPA im Hinblick auf die Energiewende ein gutes Instrument sind“, erklärt Thomas Hahn, Global Category Manager Energy im Einkauf bei Schott.
Der Glashersteller will 2030 klimaneutral sein und bezieht dazu seit Ende 2021 in allen Werken weltweit zu 100 Prozent Ökostrom. 17 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland stammen dabei bereits aus PPA, weitere Verträge sollen folgen.
Neben der Energie selbst sind auch die sogenannten Herkunftsnachweise des Stroms für Unternehmen wichtig. Ökostromerzeuger können sich diese Zertifikate vom Umweltbundesamt ausstellen lassen. Die Käufer wiederum können damit gegenüber ihren Kunden und Investoren nachweisen, dass sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
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Herkunftsnachweise gibt es allerdings nur für Strom, der nicht über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert wird. Weil das aber für den größten Teil des in Deutschland erzeugten Ökostroms gilt, sind heimische Herkunftsnachweise knapp. Durch PPA-Strom, für den es keine EEG-Förderung gibt, wächst das Angebot.
Bislang beziehen Unternehmen diese Nachweise häufig aus alten Wasserkraftwerken in Norwegen oder den Alpen. Diese liefern zwar auch Ökostrom, werden von Klimaschützern aber kritisch beäugt.
„Wasserkraftwerke verkaufen ihre Herkunftsnachweise oft unabhängig vom Strom, den sie produzieren“, sagt Reena Skribbe, Analystin für Klimapolitik beim Thinktank New Climate Institute. „Das hat den Effekt, dass am Ende zwei Unternehmen behaupten könnten, grün zu wirtschaften: der Käufer der Zertifikate und der des Stroms. Dabei beziehen sich beide auf dieselbe Quelle.“
Wer Strom über PPA kauft, schafft dagegen einen Anreiz zum Bau neuer Wind- und Solarparks in Deutschland. Die Nachweise gelten bei Klimaschützern daher als höherwertig. Sie sind gewissermaßen nicht nur sauber, sondern rein.
Instrument für Finanzierung
Für die Ökostromerzeuger haben die Direktlieferverträge ebenfalls Vorteile: Erstens schaffen sie ein Finanzierungsinstrument für alte Wind- und Solarparks, deren EEG-Vergütung nach 20 Jahren planmäßig ausläuft. Das betrifft allein in der Windenergie bislang Anlagen mit einer Leistung von neun Gigawatt, von denen mindestens zwei Gigawatt bereits ein PPA abgeschlossen haben sollen. Statt die oft einwandfreien Turbinen abreißen zu müssen, verdienen die Windradbetreiber auf diese Weise noch länger daran.
Zweitens sichert die Direktbelieferung den Bau neuer Anlagen ohne EEG-Förderung ab. „Wer bei den kreditgebenden Banken stabile Einnahmen über einen langen Zeitraum nachweisen kann, zahlt niedrigere Zinsen“, sagt Frank May, Chef des Windkraftunternehmens Alterric. Das Joint Venture des Energieversorgers EWE und der Aloys-Wobben-Stiftung, alleiniger Gesellschafter des Anlagenbauers Enercon, ist mit Windparks mit einer Gesamtleistung von 2,4 Gigawatt nach eigenen Angaben der größte Onshore-Betreiber in Deutschland. 30 bis 40 Prozent des erzeugten Ökostroms habe man in der Vergangenheit über PPA oder ähnliche Kontrakte vermarktet.
Die extremen Preisschwankungen im vergangenen Jahr hätten allerdings zu einem Markteinbruch geführt. „Anbieter und Abnehmer haben in dieser extremen Situation befürchtet, zu niedrig oder zu hoch abzuschließen, wenn sie sich langfristig binden“, erklärt May.
Analyst Claußner dagegen hat einen deutlichen Anstieg sehr kurzfristiger PPA für bereits bestehende Anlagen beobachtet. Diese Kontrakte liefen zum Teil nur wenige Monate oder Quartale.
Da die Gewinnabschöpfung im Zuge der Strompreisbremse zum Sommer voraussichtlich auslaufe, sei er optimistisch für die weitere Entwicklung: „Wenn der Gesetzgeber keine Hürden einbaut, werden wir in Zukunft noch deutlich mehr PPA sehen – immer unter der Voraussetzung, die Strompreise geben das her.“
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