Der Münchner Unternehmer Markus Michalke hat mit seiner Sammlung die einstige Tankstelle in Schwabing bezogen.
(Foto: Max Rossner)
München Manche Sammler träumen von einem eigenen Museum. Der Münchner Unternehmer Markus Michalke bespielt eine ehemalige Tankstelle mitten im beliebten Münchner Stadtteil Schwabing. Das weit vorgezogene Dach, das von trompetenförmigen Säulen getragen wird, und die abgerundete Fensterfront versprühen den Charme der 1950er-Jahre. Drinnen aber herrscht White-Cube-Atmosphäre, wenn man von ein paar Stahlrohrmöbeln einmal absieht.
Die Kunst an den Wänden und am Boden ist spartanisch, aber herausfordernd: Michalke sammelt konzeptuelle und minimalistische Zeichnungen und Installationen der 1960er-Jahre. Bis Mitte Oktober hängt im Metropol Kunstraum neben Blättern von Mel Bochner, Jennifer Bartlett und Richard Tuttle und neben Collagen von Gordon Matta-Clark auch der wandfüllende 16-teilige Tuschezyklus „Bearings rolled“ von Barry Le Va. Auf jedem Blatt variiert der Kalifornier, der vor 60 Jahren als Vertreter der sogenannten Process Art neue künstlerische Horizonte einzog, eine bestimmte Zahl von Punkten.
Sieht die erste Arbeit noch aus wie Bakterien in der Petrischale unter einem Mikroskop, so sortieren sich die schwarzen Punkte auf anderen zu quadratischen Rastern mit einer zerbröselnden Binnenstruktur oder summieren sich zu Stützpunkten einer imaginären Landkarte. Le Vas Serie ist die Ästhetisierung eines Denkprozesses. Streng, philosophisch im Gehalt, aber aus der Sicht des Sammlers auch wunderschön. Was Markus Michalke nicht nur an der Arbeit Le Vas so fasziniert: „Diese Zeichnungen sind radikal, atemberaubend und sie haben die Kunst verändert.“
Eine oberflächliche Kunst hängt da nicht an der Wand. Es heißt, dass jede Sammlung etwas vom Charakter seines Besitzers spiegelt. Markus Michalke muss nicht lange nachdenken: „Als Berührungspunkte zwischen meiner Sammlung und meiner Person als Unternehmer sehe ich das analytische Denken, das sowohl in dieser Kunst als auch in meinem geschäftlichen Handeln zu erkennen ist“, sagt der promovierte Volkswirt im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Nach ein paar Jahren als Investmentbanker gründete Michalke gemeinsam mit seinem Schwager die Alveus Beteiligungen GmbH. Sie erwirbt mittelständische Unternehmen mit Potenzial. Es gehe um die Transformation des Mittelstandes in ein modernes, zukunftsfähiges Unternehmertum, reflektiert Michalke über die Intentionen von Alveus. Zu den Tochterfirmen der Holding gehören unter anderem BKM & Distel, die im Bereich hochpräziser Biege- und Stanzteile aufgestellt ist, sowie Zubler. Der Ulmer Hersteller von Dentalabsaug-Vorrichtungen ist auf diesem Markt international führend.
Ausstellungen im Museumsformat
Seit 25 Jahren konzentriert sich Michalke vor allem auf die scheinbar verschlossen wirkenden, enigmatischen Positionen der 1960er-Jahre. Denn es geht ihm darum, „trotz beschränkter Zeit und Mittel eine gewisse Tiefe der Erfahrung ermöglichen zu können“. Richtungsweisend für sein stringentes sammlerisches Konzept wurde 1999 die Ausstellung „Afterimage“ in Los Angeles. Im Mittelpunkt der Schau stand die prozesshafte Entstehung von Zeichnungen beispielsweise durch Zerschneiden, Reißen oder Besprühen.
Der Sammler betrachtet seine Tankstelle als Dialogangebot, einen Möglichkeitsraum der Auseinandersetzung mit der Welt.
(Foto: Max Brunnert)
Arbeiten auf Papier waren damals noch erschwinglich. Aber für bedeutende Zeichnungen von Fred Sandback oder Sol LeWitt tendierte die Preiskurve bereits um die Jahrtausendwende nicht selten zu niedrigen fünfstelligen Summen.
Wer die aktuelle Schau im Metropol Kunstraum betritt, wird Gordon Matta-Clarks Objekt „Bronx Floors: Threshole“, eine aufrechtstehende Fußboden-Planke mit Linoleumresten, nicht übersehen. Bei Christie‘s in New York bezahlte der Münchener 1999 rund 200.000 Euro (inkl. Aufgeld). Sie ist das einzige Exemplar dieser Serie, das heute nicht in Museumshand ist. Nicht nur deswegen haben Michalkes wechselnde Ausstellungen Museumsformat.
>> Lesen Sie auch: Sasa Hanten-Schmidt: „Sammeln hat etwas mit Spielen zu tun“
Die Tankstelle ist seit 2007 ein Ort, wo die intellektuelle und sinnliche Tiefe und die Potenz der Zeichnung ausgelotet wird. 2010 etwa waren Zeichnungen des Land Art-Vertreters Walter de Maria zu sehen, 2020 die Schreib- und Zahlenoperationen der Konzeptkünstlerin Hanne Darboven. Wer einmal hier war, kommt meist wieder.
Einen Galeristen, der ihm den Sammlungs-Kompass ausgerichtet hat, gibt es bis heute nicht. „Ich durchkämme alle Galerien in München, New York und Zürich, die diese Kunst in ihren Schubladen haben“, beschreibt er seine Strategie. Auf entsprechende Ausstellungen zu warten, dauert zu lange. Mal kaufte er einen Satz Zeichnungen von Barry Le Va bei Fred Jahn in München, ein andermal ein Blatt bei Gagosian.
Auf jedem Blatt des 16-teiligen Tuschezyklus’ „Bearings rolled“ variiert Barry Le Va eine bestimmte Zahl von Punkten.
(Foto: Max Rossner)
„Eine Zeichnung von Lawrence Weiner, die mit Schrift experimentiert, habe ich sehr, sehr lange gesucht und dann in einer Auktion vielleicht sogar überzahlt“, erzählt der heute 50-Jährige. Bereuen tut er nichts. Eine Kollektion wie diese aufzubauen, ähnelt einer endlosen Entdeckungsfahrt. Michalke ist inzwischen Experte und leidenschaftlicher Kenner seiner Materie. Er weiß, dass er sich auf ein Langzeitprojekt mit immer wieder neuen Optionen einließ: „Ich suche schon lange eine bestimmte Zeichnung von dem Landart-Künstler Michael Heizer und ich weiß, da muss ich dran bleiben.“ So etwas kann ein Leben lang dauern.
Markus Michalke hat auf seinem Gebiet eine der außergewöhnlichsten Sammlungen aufgebaut. Dass er sie hier in der ehemaligen Tankstelle präsentiert, war am Anfang gar nicht geplant. Als das Gebäude leer stand, dachte er noch an ein originelles Townhouse für seine Familie. Jetzt ist es Büro und Sammlungs-Showroom, und jeden Mittwoch für alle Interessierten geöffnet. Denn, so der Sammler: „Kunst ist öffentlich und für alle da.“
Michalke sieht in der Tankstelle ein Dialogangebot, einen Möglichkeitsraum der Auseinandersetzung mit der Welt. Übrigens nicht nur in Bezug auf seine eigene Sammlung. Seit vielen Jahren ist er Stiftungsratsvorsitzender der Stiftung der Pinakothek der Moderne. Im letzten Jahr hat er eine App für das Haus im Münchner Kunstareal forciert. „Das Kunstareal ist keine Eliteveranstaltung, Kultur ist relevant für die Zukunft unserer Gesellschaft“, bemerkt er dazu.
Michalkes Stichwort für die Pinakothek und für andere Kultureinrichtungen heißt übrigens wie bei seinen unternehmerischen Aktivitäten – Zukunftsfähigkeit. Im letzten Jahr hat er die Initiative Kulturzukunft Bayern gegründet, um auf die bevorstehenden Herausforderungen von Institutionen wie Museen, Konzerthäuser oder Theatern aufmerksam zu machen. Die 34 zusammengeschlossenen Freundeskreise aller Couleur fordern von der Politik Strategien und Visionen für die Kulturinfrastruktur.
Seinen Metropol Kunstraum und die minimalistischen Zeichnungen der 1960er-Jahre verliert er deswegen nicht aus den Augen. Und es ist keine Frage, dass er an diesem Wochenende, wenn München beim großen Galerienrundgang der beiden Veranstalter Open Art und Various Others die Herbstsaison der Kunst einläutet, die Türen seiner Tankstelle weit öffnet.
„Drawing Through Process. Revisited, Teil II“, Metropol Kunstraum, München, 8. September bis 18. Oktober 2023; www.metropolkunstraum.de
Mehr: Sammlerporträt: Privatbank Syz: Wo die Geschäftsräume aussehen wie eine Galerie