München, Frankfurt Jahrelang kannte die Verzinsung bei den deutschen Lebensversicherern nur eine Richtung: abwärts. Doch nun dürfen Millionen Versicherte in Deutschland in der privaten Altersvorsorge auf eine Trendwende hoffen. Die jahrelange Zinstalfahrt bei den Policen scheint beendet.
Beim meistverkauften Produkt „Perspektive“, bei dem es keine garantierte Mindestverzinsung mehr gibt, liegt die laufende Verzinsung ebenfalls etwas höher bei 2,6 Prozent, nach zuvor 2,4 Prozent. „Ein hohes Maß an Unsicherheit in den Märkten wird auch im kommenden Jahr zu vielen Schwankungen führen“, sagt Volker Priebe, Vorstand Privatkunden und Produkte bei der Allianz Leben. „Tendenziell sehen wir die Zinsbewegung aber positiv.“ Auch eine Reihe von anderen Versicherern bietet inzwischen leicht höhere Zinsen an als zuletzt.
„Der Abwärtstrend bei der laufenden Verzinsung privater Rentenversicherungen dürfte vorbei sein“, erwartet Lars Heermann von der Ratingagentur Assekurata. „Die Mehrheit der Lebensversicherer dürfte die laufende Verzinsung allerdings erst einmal stabil halten und abwarten.“
Top-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Für viele Deutsche ist das eine wichtige Nachricht. Denn noch immer setzen in Deutschland die Versicherten bei der privaten Altersvorsorge auf mehr als 80 Millionen Policen, um ihren Lebensabend abzusichern. In den kommenden Wochen werden rund 80 weitere Lebensversicherer in Deutschland über ihre Überschussbeteiligung berichten. Sie profitieren bei der Neuanlage auslaufender Wertpapiere von steigenden Zinsen in ihren milliardenschweren Portfolios.
>> Lesen Sie hier: Allianz Leben erhöht Verzinsung erstmals seit 15 Jahren
Die Konsequenz: Wer bisher schon überdurchschnittlich hohe Zinsen zahlte, der hält die Überschussbeteiligung im kommenden Jahr weitgehend gleich oder hebt sie gering an. Wer dagegen bisher im Konkurrenzvergleich eher unterdurchschnittliche Zinsen gewährte, der stockt teils kräftig auf. Im Branchenschnitt führt dies zu einer laufenden Verzinsung von 2,15 Prozent, haben die Experten der Ratingagentur Assekurata errechnet. Vor einem Jahr lag der Schnitt noch knapp unter zwei Prozent.
Lebensversicherer dürften wieder höhere Zinsen zahlen
In Zukunft dürften die Versicherer nach Meinung der Experten weiter umsteuern und ihren Kunden höhere Zinsen gewähren. „Wir gehen von einer dauerhaften Zinswende aus und reagieren entsprechend schnell“, beschreibt Robert Heene, Vorstand bei der Versicherungskammer Bayern, den Trend.
Die Herausforderungen für die rund 80 Anbieter am deutschen Markt sind jedoch enorm. Weil sie gesetzlich verpflichtet sind, Kundengelder langfristig und sicher anzulegen, stellen festverzinsliche Anleihen den mit Abstand größten Teil des Portfolios dar. Diese Papiere halten die Lebensversicherer in der Regel bis zur Endfälligkeit. Zu höheren Konditionen werden aktuell nur Gelder aus ausgelaufenen Anleihen angelegt.
Der gesamte Umstellungsprozess dürfte so erst mittel- bis langfristig für Kunden zu spüren sein. Zur Absicherung der Garantieversprechungen habe man langfristig investiert, erklärt Jürgen Birnbaum, Vorstand für die Lebensversicherung bei der Alten Leipziger. „Daher erhöhen sich die Zinserträge weniger schnell“.
Wir gehen von einer dauerhaften Zinswende aus und reagieren entsprechend schnell. Robert Heene, Vorstand der Versicherungskammer Bayern
Generell gewähren die meisten klassischen Lebensversicherungen ihren Kunden eine garantierte Verzinsung auf den Sparbeitrag, die für die gesamte Laufzeit des Vertrags zugesichert wird. Für Neuverträge gelten seit diesem Jahr nur noch 0,25 Prozent nach 0,9 Prozent in den Jahren davor.
Erwirtschaften die Versicherer während eines Geschäftsjahres höhere Erträge, als sie für die Garantien benötigen, entstehen Überschüsse. Diese müssen auf Grundlage eines gesetzlich geregelten Verfahrens an die Versicherten ausgeschüttet werden. Der Garantiezins und die jährliche Überschussbeteiligung werden als die laufende Verzinsung einer Versicherung bezeichnet.
Viele Versicherer bieten jedoch gar keine Verträge mit Mindestverzinsung mehr an. Sie stellen den Überschussanteil nach vorne, der jedes Jahr neu berechnet wird – und nicht garantiert ist. Dafür haben die Versicherer größere Freiheiten in der Kapitalanlage und nutzen diese für den Kauf von Aktien, Immobilien und Infrastrukturinvestments.
Schlussanteil als Belohnung
In der Regel bekommt der Kunde als drittes Element, wenn er seinen Vertrag bis zum Ende aufrechthält, noch einen Schlussanteil mit einer Beteiligung an den Bewertungsreserven. Alle drei Bestandteile zusammen bilden die Gesamtverzinsung.
>> Lesen Sie hier: Wie Sie Ihr Geld für die Rente kurzfristig gut anlegen
Unter den Anbieter rangiert dabei im Moment der Spezialanbieter Athora an der Spitze. Die Wiesbadener kaufen Altbestände, bieten aber kein Neugeschäft an. Für die rund 200.000 Verträge im Bestand bietet Athora eine Überschussbeteiligung von vier Prozent, die sich aus einer laufenden Verzinsung von drei Prozent und einem Schlussüberschuss von einem Prozent zusammensetzt.
Auffällig dabei: Wer als Lebensversicherer höhere Zinsen als der Durchschnitt zahlt, der hebt sich in der Regel auch in seiner Anlagepolitik vom Wettbewerb ab. Athora setzt stark auf internationale und breit diversifizierte Unternehmenskredite. Diese Anlageklasse erzielte in den vergangenen Jahren hohe Renditen.
Das gilt auch für Immobilien in Berlin, auf die die Ideal Versicherung setzt und deren vor Jahrzehnten erworbener Bestand seither massiv im Wert gestiegen ist. Mit einer laufenden Verzinsung von drei Prozent zählt Ideal weiter zu den Adressen mit der höchsten Verzinsung.
In den Spitzenrängen nach oben geklettert ist inzwischen auch der Anbieter Die Bayerische. Die Münchener bieten für ihre Altbestände bei der Bayerische Beamten Leben und das Neugeschäft bei der Bayerische Leben nun eine laufende Verzinsung von 2,7 Prozent nach 2,5 Prozent bisher.
Deutlich mehr als der Durchschnitt zahlt auch Axa. Dort hält man die laufende Verzinsung der klassischen Lebensversicherungsverträge konstant bei 2,6 Prozent, teilte die Deutschlandtochter des französischen Konzerns mit. Gleiches gelte für den hauseigenen Ableger DBV Deutsche Beamtenversicherung. Die Nürnberger und Swiss Life bieten 2,25 Prozent – auch sie halten die laufende Verzinsung gegenüber dem Vorjahr konstant.
Bei 2,25 Prozent liegt inzwischen auch die Versicherungskammer Bayern. Das Institut aus dem Sparkassenlager – nicht zu verwechseln mit dem bereits angesprochenen Anbieter Die Bayerische – hat sein Angebot für Neuverträge seines kapitalmarktorientierten Produktes kräftig aufgestockt. Davor waren es lediglich 1,50 Prozent. Die Alte Leipziger zahlt bei den Rentenversicherungen „AL Rente Klassik Pur“ und „AL Rente Flex“ im kommenden Jahr erneut 2,1 Prozent.
Einmalbeiträge sind wieder willkommen
Auch an anderer Stelle ändern die Lebensversicherer inzwischen ihre Strategie. Hohe Einmalzahlungen zum Besparen einer Lebensversicherung sind nun wieder willkommen. Die Allianz hat die Zinsen für Lebensversicherungen mit Einmalbeiträgen für die ersten Jahre der Vertragslaufzeit vor wenigen Wochen deutlich angehoben. Beim Vorsorgekonzept Perspektive lockt nun bei einer Vertragslaufzeit von mindestens zehn Jahren eine Verzinsung von 3,5 Prozent, bei mindestens fünf Jahren sind es 2,8 Prozent. Hintergrund dessen ist, dass viele Anleger Lebensversicherungen auch als Produkt zur Geldanlage nutzen.
In den Jahren mit Null- und Negativzinsen investierten sie mangels Alternative hohe Summen in das Segment. Die Anbieter hatten so Schwierigkeiten, diese Summen renditeträchtig anzulegen und schoben einen Riegel vor. „Wir haben das Angebot bei Einmalbeiträgen verbreitert, weil wir den Bedarf bei den Menschen sehen“, sagt Allianz-Vorstand Priebe.
Insgesamt ist der Druck auf die Lebensversicherer mittlerweile durch die Zinswende gesunken. Wobei sich innerhalb der einzelnen Anbieter noch immer deutliche Unterschiede bei Ertragskraft, Betriebskosten und Reserven zeigen.
Der Wissenschaftler Hermann Weinmann, Professor am Institut für Finanzwirtschaft an der Hochschule Ludwigshafen, hat die Anbieter gerade unter die Lupe genommen. Demnach ist nur ein Drittel von ihnen wirtschaftlich stabil. Unter den am Aktienmarkt notierten Gesellschaften bekam die Allianz die Verbrauchernote sehr gut, mit gut wurden Axa, Nürnberger und Württembergische bewertet. Von den Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit erhielten die Hannoversche Leben und die LV von 1871 das betriebswirtschaftliche Urteil sehr stark, die Continentale und die Gothaer wurden als stark bewertet.
Mehr: Lebensversicherer haben sich verkalkuliert und wollen Millionen Kunden loswerden