„Wir sind dabei, alle notwendigen Fakten für einen möglichen Verkaufsprozess zusammenzutragen. Sobald uns diese vorliegen, werden wir alle Optionen prüfen“, erklärten Schenker-Chef Jochen Thewes und Aufsichtsratschef Levin Holle am Montag in einem Mitarbeiterbrief, der dem Handelsblatt vorliegt. „Es gibt kein festes Datum für das Ende des Prüfungsverfahrens und den Beginn eines möglichen Verkaufsprozesses. Wir bereiten alles mit der nötigen Umsicht und ohne Druck vor.“
Mögliche Käufer beschäftigen sich schon seit Anfang 2022 intensiv mit Schenker. Einige zweifeln Finanzkreisen zufolge inzwischen aber, ob die Bahn überhaupt noch verkaufen will. „Es entsteht der Eindruck, dass die Bahn realisiert hat, den richtigen Zeitpunkt verpasst zu haben und es nun lieber ganz sein lässt“, sagt ein möglicher Bieter. Das Marktumfeld sei ungünstig, und Bieter seien rar, was auf den möglichen Verkaufspreis drücke. Die Deutsche Bahn selbst wollte sich auf Anfrage nicht weitergehend zum Schenker-Verkauf äußern.
Schenker: Der Gewinn sinkt – und damit auch der Verkaufspreis
Im vergangenen Jahr verbuchte Schenker einen operativen Gewinn von 1,8 Milliarden Euro. Dieses Jahr ist Finanzkreisen zufolge ein Einbruch auf rund eine Milliarde zu erwarten. Mit den Gewinnaussichten sinkt jedoch in der Regel auch die Unternehmensbewertung und damit der zu erwartende Verkaufserlös.
Aus dem Umfeld des Unternehmens heißt es, der Verkaufsprozess dürfte frühestens nach der Sommerpause starten. Die Beratungsgesellschaft AT Kearney sei engagiert worden, um eine Prognose zur Entwicklung des Logistikmarkts zu erstellen, an der sich letztlich auch die Preisvorstellungen orientieren würden. AT Kearney äußerte sich auf Anfrage des Handelsblatts dazu bisher nicht.
Thewes und Holle schreiben in dem Mitarbeiterbrief zum weiteren Vorgehen: „Einerseits sind wir daran interessiert, so schnell wie möglich zu einem Ergebnis zu kommen. Andererseits muss die DB sorgfältig handeln und die aktuelle Gesamtsituation berücksichtigen, insbesondere auf den Finanzmärkten, um auch für Schenker das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.“ Die Bahn muss ein europaweites, diskriminierungsfreies Bieterverfahren organisieren, bei dem am Ende allein der Verkaufserlös über den Zuschlag entscheidet.
Schwierigkeiten bei allen potenziellen Interessenten
Potenziell kaufinteressierte Private-Equity-Gesellschaften haben derzeit Schwierigkeiten, an Bankkredite für große Übernahmen zu kommen. Schenker wird auf bis zu 15 Milliarden Euro taxiert. Die Finanzinvestoren Carlyle und CVC haben sich Finanzkreisen zufolge bereits zusammengetan, um einen Deal dieser Größenordnung stemmen zu können. Advent und Bain könnten sich ebenfalls zusammentun, und Blackstone sei ebenfalls noch auf der Suche nach einem Partner, hieß es. Doch derzeit ruht ihre Arbeit. „Die Finanzierungsmärkte sind zu, Private Equity ist derzeit nicht handlungsfähig“, sagte eine mit der Transaktion vertraute Person.
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Auch einige Wettbewerber haben Interesse an Schenker, allen voran die dänische DSV. Sie gilt allerdings als unbeliebt bei Schenker – und beim Bund, dem Besitzer der Deutschen Bahn. Sie fürchten bei einer Übernahme durch DSV einen massiven Stellenabbau und den Verlust der Eigenständigkeit von Schenker.
Die Deutsche Post prüft ebenfalls eine mögliche Übernahme, gilt aber angesichts der großen Überlappung der Geschäfte als nur mäßig interessiert. Kühne-+-Nagel-Großaktionär Klaus-Michael Kühne hatte im Frühjahr erklärt, ein Kauf von Schenker sei für sein Unternehmen keine Option. Die französische CMA CGM hat derzeit mit der Integration der kürzlich übernommenen Bolloré Logistics genug zu tun und scheidet als Erwerber ebenfalls aus.
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In einem solchen Umfeld gilt ein schneller Start einer Auktion als wenig opportun. „Um das klarzustellen: DB Schenker wird nur verkauft, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Erstens, es ist finanziell vorteilhaft für den DB-Konzern. Zweitens, es ermöglicht zusätzliche Wachstumschancen für DB Schenker“, schreiben Thewes und Holle.
Arriva-Verkauf geht auf die Zielgerade
Beim geplanten Verkauf ihrer britischen Regionalverkehrstochter Arriva ist die Bahn dagegen schon deutlich weiter. Drei Interessenten haben Finanzinvestoren zufolge unverbindliche Angebote abgegeben: Der englische Wettbewerber First Group, die französische Keolis und Finanzinvestor I Squared. Die Bieter erwarten, dass sie in den nächsten Wochen ihre finalen Offerten einreichen sollen.
Die First Group gilt in dem Rennen aufgrund ihrer guten Kenntnis des lokalen Wettbewerbers als gut positioniert, hat zudem aus dem Verkauf von US-Aktivitäten reichlich Geld, das sie investieren muss. Sie bietet allerdings nur für die nichtbritischen Aktivitäten, die auf ein operatives Ergebnis von rund 100 Millionen Euro kommen, um nicht Probleme mit Wettbewerbshütern zu bekommen. Die Bahn müsste das kleine verbleibende Geschäft dann mühsam separat verkaufen.
Arriva könnte beim Verkauf mit rund 1,2 Milliarden Euro bewertet werden. Dabei werde der Anteil des britischen Geschäfts auf bis zu 200 Millionen Euro geschätzt, sagte eine mit dem Vorgang vertraute Person. Andere Beobachter der Transaktion gehen von einer Bewertung von 1,5 Milliarden oder mehr aus. Die Arriva-Bieter lehnten eine Stellungnahme ab oder waren zunächst nicht erreichbar.
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