Berlin, Düsseldorf Der Insolvenzverwalter des ehemaligen Dax-Konzerns Wirecard fordert Dividenden von Großaktionären zurück. Entsprechende Rückforderungsschreiben seien jüngst an „bekannte Großaktionäre“ versendet worden, bestätigte ein Sprecher von Michael Jaffé dem Handelsblatt am Freitag, „weil es an der Rechtsgrundlage für die ausgezahlten Dividenden fehlt“.
Konkret gehe es um die Dividenden für die Jahre 2017 und 2018. Jaffé habe vor allem professionelle und institutionelle Investoren wie beispielsweise die Frankfurter Fondsboutique Acatis kontaktiert, teilte der Sprecher mit. Gegenüber Privatanlegern würden „in Abstimmung mit dem Gläubigerausschuss“ keine Ansprüche geltend gemacht.
Wirecard war im Juni 2020 in die Pleite gerutscht, nachdem 1,9 Milliarden Euro in den Büchern fehlten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem früheren Vorstand um den flüchtigen Manager Jan Marsalek vor, die Bilanz des Zahlungsdienstleisters mit Scheingeschäften aufgebläht zu haben. Auch Jaffé ist laut seinem Sachstandsbericht von Mitte Juni überzeugt: Wirecard erwirtschaftete 2017 und 2018 „keine Gewinne, sondern erhebliche Verluste“.
Das Landgericht München sah das auch so und erklärte die Abschlüsse für die beiden Jahre rechtskräftig für nichtig. Der Vorsitzende Richter hatte seinerzeit mit Blick auf mutmaßliche Scheinbuchungen in Milliardenhöhe geäußert: „Wenn dieses Geschäft nicht existiert hat und dann sinngemäß auch die Bilanzen nicht stimmen, dann ist der Jahresabschluss nichtig.“ Im Fall Wirecard gehe es um Dimensionen, „bei denen an der Nichtigkeit nicht zu zweifeln“ sei.
Jaffés Forderung kommt nicht überraschend. Der Insolvenzverwalter hatte schon lange angekündigt, dass er das Geld zurückfordern werde. Ohne gültige Beschlüsse ausgezahlte Dividenden seien „an den Insolvenzverwalter zurückzuzahlen“, teilte Jaffés Sprecher mit. Der Insolvenzverwalter sei im Interesse der Gläubiger verpflichtet, „diese Ansprüche geltend zu machen“. Das „Manager Magazin“ hatte zuerst über die Forderungsschreiben berichtet.
Wirecard: Knapp 50 Millionen Euro an Dividenden ausgezahlt
Für die Jahre 2017 und 2018 hatte Wirecard Gewinne von zusammen mehr als 600 Millionen Euro ausgewiesen und über 47 Millionen Euro an Dividenden ausgeschüttet – insbesondere an Großaktionäre wie die MB Beteiligungsgesellschaft des früheren Wirecard-Vorstandschefs Markus Braun.
Braun streitet ab, in einen Betrug bei Wirecard verwickelt zu sein. Er muss sich derzeit vor dem Münchener Landgericht verantworten. Seine Anwälte gehen davon aus, dass mittels einer „Schattenstruktur“ eine Gruppe um Marsalek eine Milliardensumme hinter Brauns Rücken unterschlagen hat.
Dass sich Jaffé mit den Rückforderungen nicht an die Kleinanleger wendet, hat einen einfachen Grund. Wie der Insolvenzverwalter in der Vergangenheit vorrechnete, hätte er von einem Anleger mit Papieren im damaligen Börsenwert von 10.000 Euro lediglich eine Rückzahlung von 25 Euro zu erwarten. Dafür lohne es sich kaum, den Investor zu suchen. Die Dividende hatte 2017 bei 18 Cent pro Aktie gelegen und 2018 bei 20 Cent pro Aktie.
In Deutschland haben Anleger derweil wegen ihrer immensen Kursverluste infolge des Skandals Forderungen in Höhe von mehr als 15 Milliarden Euro im Insolvenzverfahren angemeldet. Demgegenüber steht weniger als eine Milliarde Euro, die Jaffé bislang eintreiben konnte.
Mehr: Festgenommener mutmaßlicher russischer Spion pflegte Kontakte zu Jan Marsalek