Frankfurt, Düsseldorf Die Inflationsrate in Deutschland fällt weiter, allerdings ist die Teuerung hartnäckiger als von Volkswirten erwartet. Die Verbraucherpreise stiegen im August im Vergleich zum Vorjahresmonat nur noch um 6,1 Prozent. Das gab das Statistische Bundesamt am Mittwoch auf Basis einer vorläufigen Schätzung bekannt.
Die aktuellen Zahlen stellen die Europäische Zentralbank (EZB) vor eine neue Herausforderung. Sie machen den Balanceakt für die Notenbanker noch schwieriger, die auf der einen Seite versuchen müssen, die Inflation in den Griff zu bekommen, auf der anderen Seite aber beachten müssen, dass weiter steigende Leitzinsen die Gefahr einer tiefen Wirtschaftskrise in der Währungsunion verschärfen.
„Der Weg nach unten ist steinig“, kommentiert Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust die Entwicklung der Teuerung. Gegenüber dem Vormonat Juli habe sich die Lebenshaltung auch wegen der hohen Energiepreise weiter deutlich verteuert.
Aber auch die so genannte Kerninflation, bei der schwankungsanfällige Komponenten wie Energie und Nahrungsmittel herausgerechnet werden, stimmt Heise skeptisch. Dieser auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) stark beachtete Wert lag im August bei 5,5 Prozent, und damit deutlich über dem Stabilitätsziel der Notenbank von zwei Prozent. Die Entwicklung der Kerninflation zeige, wie schwierig der Weg der Rückkehr zur Preisniveaustabilität sei, warnt Heise. Aus einmaligen Preisschocks drohten anhaltende Preissteigerungen zu werden.
Deutschland wird zum Problemfall für die EZB
Vor ihrer nächsten Zinssitzung im September dürfte die EZB die Preisentwicklung in der größten Volkswirtschaft der Euro-Zone besonders im Auge behalten. „Der Rückgang der Inflationsrate in Deutschland ist so schwach, dass die EZB eher zu weiteren Zinssteigerungen tendieren wird“, meint Heise.
Die aktuellen Zahlen zeigen, dass Deutschland immer mehr zum Problemfall für die EZB wird. In der größten Volkswirtschaft der Eurozone liegt die Inflation deutlich höher als in anderen Mitgliedsländern. Spanien meldete am Mittwoch etwa einen Anstieg der Inflation, allerdings auf lediglich 2,6 Prozent. Am Donnerstag steht die Veröffentlichung der aktuellen Inflationsdaten für den gesamten Euroraum an und Experten erwarten, dass die Teuerung im August weiter auf 5,1 Prozent von 5,3 Prozent im Juli zurückgeht.
Auf der anderen Seite leidet die deutsche Wirtschaft unter einer akuten Wachstumsschwäche. Neben den hohen Zinsen bremsen die teure Energie und ein schwacher Export. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet deshalb in einer aktuellen Prognose in diesem Jahr mit einem Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um bis zu 0,5 Prozent. Der Internationale Währungsfonds erwartet für 2023 ein Minus von 0,3 Prozent. Die Bundesrepublik ist die einzige Industrienation, für die der Fonds einen Rückgang der Wirtschaftsleistung prognostiziert.
Aber auch im Rest der Eurozone verschlechtert sich die Stimmung zusehends. So ist der Index für das Vertrauen in die Wirtschaft der Eurozone im Juli den vierten Monat in Folge gefallen. Der Einkaufsmanagerindex für die Eurozone, ein wichtiger Frühindikator für die Konjunktur, sackte im August überraschend deutlich auf 47,0 Punkte von 48,6 Punkten im Vormonat ab. Ein Wert unter 50 signalisiert eine schrumpfende Wirtschaft.
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Die EZB hat im Kampf gegen den starken Preisauftrieb seit Sommer 2022 bereits neun Mal in Folge die Zinsen angehoben – zuletzt im Juli. Der am Finanzmarkt wichtige Einlagensatz liegt seither bei 3,75 Prozent, das ist das höchste Niveau seit 23 Jahren. Für die nächste Zinssitzung am 14. September hat die EZB den Finanzmärkten noch keine klare Orientierung gegeben.
In ihrer Rede beim Treffen der internationalen Notenbanker in Jackson Hole, hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde betont, dass es in der von Unsicherheit geprägten aktuellen Lage wichtig sei, an einer hinreichend straffen Geldpolitik festzuhalten. Die Notenbanker müssten dabei klar in den Zielen, flexibel in der Analyse und bescheiden in der Kommunikation bleiben.
Für die EZB bedeute das, „die Zinssätze so lange auf ein ausreichend restriktives Niveau festzulegen, wie es notwendig ist, um eine rechtzeitige Rückkehr der Inflation zu unserem mittelfristigen Ziel von zwei Prozent zu erreichen“. Was dies für die anstehende Zinssitzung im September bedeutet, ließ die EZB-Chefin allerdings offen.
Bundesbankpräsident Joachim Nagel wies in Jackson Hole darauf hin, dass die Lage insgesamt für die EZB sehr herausfordernd sei. Die Wirtschaftsaktivität verlangsame sich, was nach neun Zinserhöhungen aber auch keine Überraschung sei. Zum weiteren EZB-Zinspfad sagte er: „Für mich ist es viel zu früh, um über eine Zinspause nachzudenken.“
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