Düsseldorf, Wien China ist das Lieblingsland der deutschen Autobauer. Hier verkaufen sie mehr als ein Drittel ihrer Fahrzeuge und erwirtschaften mehr als die Hälfte ihrer Gewinne. Die Analysten des Vermögensverwalters Bernstein schätzen, dass allein Volkswagen im Jahr 2021 gut 68 Prozent seines Nettoergebnisses Kunden aus der Volksrepublik verdankt. Bei BMW und Mercedes-Benz waren es zwischen 53 und 51 Prozent.
Diese starke Abhängigkeit war bis vor Kurzem mehr Segen als Fluch. Doch nun erodiert das Geschäft mit Verbrennern in China und vom Elektroautoboom profitieren vor allem lokale Hersteller wie BYD, Nio oder Xpeng. Zuletzt musste Volkswagen sogar die Spitzenposition als größter Autohersteller im chinesischen Markt an BYD abgeben.
Auch BMW und Mercedes stehen womöglich schwere Zeiten bevor: Der Anteil der Premiumfahrzeuge an den Neuzulassungen könnte aufgrund der hohen Verschuldung des Landes von heute 15 Prozent langfristig auf 1,5 Prozent abstürzen, warnt Jochen Siebert, Direktor von JSC-Automotive. Das sei ein „massives Problem“, zumal die geopolitischen Risiken zunehmen. Der Chinakenner rät den Konzernen, sich „jetzt nach alternativen Wachstumsmärkten umzusehen“.
Unausgeschöpftes Potenzial in Südostasien
Allein, solche Ratschläge sind bisher verhallt. Insbesondere Volkswagen vernachlässigt das Geschäft in vielversprechenden Ländern in Asien und Nordamerika systematisch, zeigt eine Handelsblatt-Analyse. Bei Mercedes und BMW ist dies teilweise der Fall. In Summe sind die deutschen Autobauer aktuell nur in Europa und China mit Marktanteilen von 38 sowie 22 Prozent stark positioniert.
In den USA und Kanada stammt dagegen nicht einmal jeder zehnte Neuwagen von einer deutschen Marke. Und in Südostasien können die VW-Group, BMW und Mercedes überhaupt nur zwei Prozent des Pkw-Geschäfts auf sich vereinen.
Dabei zeigen exklusive Zahlen des Datendienstleisters Marklines, dass gerade die Asean-Region viel Potential böte. In deren fünf wichtigsten Ländern Thailand, Indonesien, Malaysia, Vietnam und den Philippinen leben zusammengenommen etwa 600 Millionen Menschen. Der Pkw-Markt ist mit 2,9 Millionen Neuwagen zwar noch vergleichsweise klein, Mobilität oft eine Sache von Zweirädern. Doch der Markt wächst rasant.
Im Schnitt sind die Fahrzeugregistrierungen in den Asean-Ländern im vergangenen Jahr um ein Viertel angestiegen, während jene in China um drei Prozent schrumpften. Gemeinsam mit Japan, Indien, Australien und Südkorea bietet die Asean-Region den deutschen Autobauern ein jährliches Absatzvolumen von rechnerisch fast 14 Millionen Pkw.
Diese Länder können China mit einem Volumen von 21 Millionen Neuwagen zwar nicht ersetzen, aber durchaus helfen, die bestehende Imbalance vieler Konzerne etwas auszugleichen. „Wir gehen etwa davon aus, dass sich die Asean-Region in den nächsten Jahren gut entwickeln wird“, sagte JSC-Experte Siebert. Westliche Autobauer könnten ihre bestehenden Fabriken in China nutzen, um von dort in umliegende Märkte zu exportieren.
Während chinesische Hersteller wie Great Wall und BYD bereits expandieren und beispielsweise in Thailand neue Werke hochziehen, schöpfen VW, BMW und Mercedes ihre Möglichkeiten in Asien außerhalb Chinas bisher kaum aus.
Allein Toyota verkauft in Indonesien 300.000 Fahrzeuge
Beispiel Indonesien. Das Land zählt fast 280 Millionen Einwohner. Das Bruttoinlandsprodukt ist im vergangenen Jahr um mehr als fünf Prozent angestiegen, die Pkw-Absatzzahlen um gut ein Fünftel. Fast 800.000 Fahrzeuge wurden im vergangenen Jahr abgesetzt. Der Marktanteil von Volkswagen in Indonesien liegt jedoch bei mageren 0,06 Prozent.
Nur 456 Autos konnten die Wolfsburger mitsamt ihren Premiumtöchtern Audi und Porsche zuletzt verkaufen. BMW und Mercedes stehen mit einem halben Prozentpunkt etwas besser da, aber keineswegs gut. Zum Vergleich: Toyota dominiert den indonesischen Markt, behauptet mit mehr als 310.000 verkauften Fahrzeugen allein in der Kernmarke fast 41 Prozent.
Deutsche Autohersteller lassen im südostasiatischen Markt große Absatzpotentiale ungenutzt.
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Noch schlechter sind die deutschen Autobauer auf den Philippinen unterwegs. Gerade einmal 2583 Pkw haben VW, BMW und Mercedes inklusive aller Submarken im vergangenen Jahr in dem Land verkauft. Der addierte Marktanteil der Deutschen liegt bei 0,7 Prozent. Vom Wachstum von zuletzt 26 Prozent auf den Philippinen profitieren andere.
In aufstrebenden Märkten wie Thailand und Malaysia verkaufen BMW und Mercedes immerhin bis zu 15.000 Neuwagen jährlich, was Marktanteilen zwischen einem und zwei Prozent entspricht. Nicht viel, aber doch ein Anfang. Der Volkswagen-Konzern schafft dagegen nicht einmal ein Drittel dessen.
Dabei bietet sich durch den Boom von Elektroautos für die deutschen Hersteller gerade in Südostasien eine große Chance. Der Autosektor der Region wird seit Jahren von Toyota, Honda, Mitsubishi und Suzuki dominiert. Doch die vier Japaner gelten als Spätstarter bei der Elektromobilität. In diese Lücke können nun andere springen, zumal Thailand und Indonesien verstärkt Batterieautos subventionieren.
Gerade Volkswagen verkennt aber scheinbar die Möglichkeiten der asiatischen Märkte, wie ein Blick nach Südkorea zeigt. Während in der Asean-Region erst langsam ein Markt für Premiumfahrzeuge entsteht, gilt Südkorea als reifer Markt mit vielen vermögenden Kunden.
BMW und Mercedes haben das erkannt und nutzen ihre Chance in dem Land konsequent. Beide Hersteller haben ihre Verkäufe binnen eines Jahrzehnts sukzessive gesteigert und setzten mittlerweile jeweils mehr als 80.000 Limousinen und SUVs pro Jahr in Südkorea ab – trotz starker inländischer Konkurrenz wie Hyundai und Kia.
Volkswagen setzt mit Skoda auf Indien
Audi exportiert dagegen nur etwas mehr als 20.000 Fahrzeuge nach Südkorea – genauso viel wie vor zehn Jahren. Die Auslieferungen der Marke VW sind von 2013 bis 2022 sogar um 38 Prozent auf 16.000 Pkw abgesackt. Immerhin: Porsche konnte seinen Absatz dort parallel auf 9000 Neuwagen vervierfachen.
Als großen Hoffnungsmarkt für seine Massenmodelle hat Volkswagen derweil Indien auserkoren. Im viertgrößten Automarkt der Welt wollen die Wolfsburger vor allem mit der günstigeren Submarke Skoda durchstarten. Indien ist mit über 1,4 Milliarden Menschen mittlerweile das bevölkerungsreichste Land der Erde.
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Noch sind die indischen Frauen und Männer vor allem mit zwei Rädern unterwegs – Mopeds und Motorräder dominieren das Straßenbild. Zugleich wächst auch der Markt für Pkw stetig. Die Experten von LMC-Automotive prognostizieren solide Zuwächse. In Summe könnte der indische Automarkt bis 2025 von derzeit 4,3 auf 4,8 Millionen Fahrzeuge wachsen.
Skoda verkaufte zuletzt allerdings nur rund 54.000 Pkw in Indien. Der Marktanteil der VW-Tochter lag damit bei kaum mehr als einem Prozent. Ein Hindernis für die deutschen Autobauer in Indien sind die hohen Einfuhrzölle. Ohne Montagewerke vor Ort, in denen angelieferte Einzelkomponenten zu kompletten Fahrzeugen verschraubt werden, kommt schon heute kein westlicher Hersteller mehr in Indien aus. Wer wachsen will, wird künftig noch mehr investieren müssen.
Ähnliches gilt auch für das Geschäft in Nordamerika. US-Präsident Joe Biden will Elektroautos von ausländischen Marken nur dann Steuergutschriften zusprechen, wenn wichtige Komponenten wie Batterien verstärkt in den Vereinigten Staaten hergestellt werden.
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Die Steigerung der lokalen Wertschöpfung in den USA könnte sich für die deutschen Autobauer langfristig auszahlen. Denn hier gibt es de facto keine Konkurrenz aus China, die US-Verbraucher verschmähen Fahrzeuge aus Fernost. Statt gegen weit mehr als hundert Wettbewerber müssen sich die Deutschen in den USA bei Elektroautos nur gegen etwa ein Dutzend Konkurrenten behaupten.
VW muss Pick-ups produzieren
Darüber hinaus gibt es in den Vereinigten Staaten ebenso wie in Kanada eine breite, wachsende Oberschichte, die sich deutsche Edelkarossen leisten kann. Mercedes setzt im Zuge seiner Luxusstrategie bereits verstärkt auf Nordamerika. Hier soll etwa das Geschäft der noblen Untermarke Maybach deutlich ausgebaut werden. Auch BMW will mit seinen hochpreisigen Luxus-SUVs in Übersee wachsen. Dabei verkaufen beide Konzerne bereits jeweils gut 400.000 Fahrzeuge in den USA und Kanada.
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Audi hängt auch hier mit 216.000 Neuwagen im vergangenen Jahr deutlich zurück. Selbst die Volumenmarke VW liegt mit 348.000 Einheiten in den USA und Kanada deutlich hinter den Zahlen der Premiumhersteller BMW und Mercedes. Auf Zehnjahressicht ist der Absatz von VW in den USA um gut ein Viertel geschrumpft, nicht zuletzt infolge des Diesel-Skandals.
Wollen die Wolfsburger ihre China-Abhängigkeit reduzieren, sei eine Trendwende in Nordamerika mit seinen über 16 Millionen Neuwagen pro Jahr unabdingbar, meint Stefan Bratzel. „Volkswagen muss in den USA stärker werden“, erklärt der Direktor des Center of Automotive Management (CAM).
Dafür müssten die Wolfsburger aber zumindest mittelfristig den Einstieg in das wichtige Pick-up-Segment schaffen. „Toyota hat das auch hingekriegt, so schwer kann das nicht sein“, kommentiert Bratzel. In Südamerika sieht der Branchenkenner dagegen kurzfristig kaum Wachstumsmöglichkeiten.
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