Die derzeit gasbefeuerten Direktreduktionsanlagen ersetzen bestehende Hochöfen, die Kohle als Wärmequelle einsetzen. Langfristig sollen die Anlagen mit Wasserstoff laufen. Das ist Teil des umfassenden Dekarbonisierungsprojekts bei Thyssen-Krupp. Laut früheren Angaben lässt sich das Unternehmen die neue Direktreduktionsanlage mehr als zwei Milliarden Euro kosten.
Der größte unabhängige Stahlhändler Europas, Klöckner & Co., sieht aktuell trotz unsicherer Konjunkturlage eine hohe Bereitschaft bei den Kunden, einen Aufpreis für grüne Werkstoffe zu zahlen. Der Einsatz von CO2-reduziertem Stahl sei für viele Industriefirmen ein wirkungsvoller und kosteneffizienter Weg, den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte zu reduzieren, heißt es bei Klöckner.
Zum selben Ergebnis kommt eine neue Studie der Boston Consulting Group (BCG), die dem Handelsblatt vorliegt. Die Experten der Beratungsgesellschaft prophezeien eine Knappheit, weil das Angebot an CO2-reduzierten Materialien wie Stahl und Aluminium nicht mit der schnell steigenden Nachfrage mithalten könne.
Kunden wie Miele arbeiten bereits klimaneutral
Dieser Nachfrageüberhang könne bis ins kommende Jahrzehnt bestehen bleiben, erklärt Nicole Voigt, Partnerin bei BCG. Das gelte vor allem für die grünsten Varianten, also die Erzeugnisse, bei denen in der Herstellung vergleichsweise sehr wenig CO2 emittiert wurde.
Grund für die hohe Nachfrage sind die ambitionierten Klimaziele, die sich die Kunden der Stahlhersteller selbst gesetzt haben. Der Haushaltsgerätehersteller Miele etwa arbeitet in der eigenen Fertigung und beim Strombezug bereits klimaneutral. Jetzt will das Unternehmen auch den CO2-Fußabdruck bei den eingekauften Vorprodukten senken.
„Wir beschäftigen uns intensiv mit der Dekarbonisierung der Lieferkette auch bei Metallen, insbesondere Stahl und Aluminium“, erklärt Hans Krug, Einkaufschef von Miele. „Unser Anspruch ist, frühzeitig in Schlüsselthemen wie diese einzusteigen, um entsprechende Entwicklungen aktiv mitzugestalten.“ In Einzelfällen rechnete Miele damit, dafür „zunächst etwas höhere Marktpreise in Kauf nehmen zu müssen“.
Stahlhändler Klöckner & Co. hat sich das Ziel gesetzt, bis 2025 mehr als 30 Prozent und bis 2030 mehr als 50 Prozent des Stahls aus den Grünstahlkategorien mit dem niedrigsten CO2-Ausstoß anbieten zu können. Damit werde aber die Nachfrage nicht gedeckt, erwartet das Unternehmen. „Wir gehen aktuell davon aus, dass die Nachfrage das Angebot noch für bis zu 15 Jahre übersteigen wird“, sagt ein Klöckner-Sprecher.
Angebotslücke von 20 Millionen Tonnen grünem Stahl im Jahr
Der Autohersteller Mercedes-Benz schließt langfristige Verträge ab, um die vorübergehenden Preisschwankungen abzumildern. Doch stehen die Einkaufspreise für den grünen Stahl allein nicht im Vordergrund. „Nachhaltigkeit ist für uns zunächst kein reiner Kostenfaktor“, erklärt der Stuttgarter Konzern.
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Durch den Einsatz von recyceltem Stahlschrott von der Salzgitter AG und des US-amerikanischen Unternehmens Big River Steel hat Mercedes-Benz seinen CO2- Fußabdruck bereits reduziert. Um nahezu CO2-freien Stahl zu beziehen, sei aber noch mehr geplant: Als erster Automobilhersteller habe Mercedes sich an dem Start-up H2 Green Steel beteiligt und eine Partnerschaft mit dem schwedischen Stahlhersteller SSAB vereinbart, so das Unternehmen.
Doch trotz der beträchtlichen Nachfrage nach grünen Materialien reagieren viele Akteure auf der Angebotsseite nicht im erforderlichen Tempo, was zur Knappheit führen wird. BCG erwartet für Flachstahl in Europa bis 2030 eine Angebotslücke von bis zu 20 Millionen Tonnen im Jahr, basierend auf der heute prognostizierten Nachfrage nach grünerem Stahl und den Kapazitätsankündigungen der Stahlhersteller.
„Gerne würden wir schon jetzt mehr grünen Stahl beziehen, allerdings ist dies aufgrund eingeschränkter Verfügbarkeit im Moment noch nicht möglich“, bestätigt Miele-Einkaufschef Krug. Schon 2021 hat Miele Absichtserklärungen mit mehreren namhaften Stahllieferanten unterschrieben, um den künftigen Bedarf abzusichern.
Für Miele machen CO2-Emissionen, die bei der Produktion von eingekauften Gütern entstehen, 14 Prozent der gesamten CO2-Emissionen aus. Das ist der zweitgrößte Anteil direkt nach dem Verbrauch in der Nutzungsphase der Geräte. Knapp 1,74 Millionen Tonnen CO2 waren dies im Jahr 2021 – davon nimmt Stahl den größten Teil ein.
Auch Klöckner & Co. berichtet: „Die Richtung ist deutlich. Das Interesse und die Bereitschaft, Transparenz einzukaufen, wächst.“ Der Stahlhändler bietet seinen Kunden seit Januar dieses Jahres einen individualisierten CO2-Fußabdruck für fast alle seine Produkte an – und stößt laut Unternehmensangaben auf eine große Nachfrage.
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Auch der Automobilbauer BMW setzt auf grünen Stahl und grünes Aluminium – der Konzern wollte sich allerdings nicht dazu äußern, ob er bereit ist, mehr für die emissionsarmen Produkte zu zahlen. Das Unternehmen will sein weltweites Produktionsnetzwerk ab 2026 zu mehr als einem Drittel mit CO2-reduziertem Stahl beliefern und hat in Europa auch bereits mit der Salzgitter AG und H2 Green Steel Liefervereinbarungen getroffen.
Mehr als ein Drittel des benötigten Aluminiums wird von einem Hersteller in den Vereinigten Arabischen Emiraten geliefert, der zur Herstellung ausschließlich auf Solarstrom setzt. Die restlichen zwei Drittel stammen aus einem Recycling-Kreislauf, so ein Sprecher des Unternehmens. Aluminiumerzeugnisse würden vor allem bei den elektrischen Antriebseinheiten verbaut.
Stahl gehört noch zu den größten CO2-Sündern
Die BCG-Experten raten den Stahlherstellern zu einem verstärkten grünen Engagement, trotz aller bestehenden Unsicherheit und immenser Investitionskosten. Die Investitionen würden sich mittel- bis langfristig lohnen, weil grüner Stahl immer wettbewerbsfähiger werde. Grund: Der herkömmliche, unter hohem CO2-Ausstoß hergestellte Werkstoff wird seinen Preisvorteil verlieren, weil jede Tonne mit staatlichen CO2-Abgaben verteuert wird.
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Mit etwa sieben Prozent der globalen CO2-Emissionen gehört die Stahlindustrie zu den größten Klimasündern. Große deutsche Stahlhersteller wie die Salzgitter AG, Arcelor-Mittal und Thyssen-Krupp setzen für die Umstellung vor allem auf Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen.
Anstelle von Kokskohle setzen die Stahlkocher zunächst Erdgas ein, planen jedoch langfristig eine Umstellung auf Wasserstoff. Der Prozess der Direktreduktion kommt zwar ohne CO2-intensive Kohle aus, verbraucht aber viel Strom – und der ist in der Energiekrise sehr teuer.
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