Am Freitag wird auf der außerordentlichen Hauptversammlung über die Entflechtung des Dialysekonzerns von der Mutter Fresenius entschieden.
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Frankfurt Am Freitag dieser Woche sollen die Aktionäre des MDax-Konzerns Fresenius Medical Care (FMC) auf einer außerordentlichen Hauptversammlung über die Entflechtung vom Mutterkonzern Fresenius abstimmen. Die Rechtsform der bisher als Kommanditgesellschaft auf Aktien von Fresenius kontrollierten Dialysetochter soll in eine normale Aktiengesellschaft umgewandelt werden.
Das Unternehmen soll einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat bekommen, bei dem Fresenius-Chef Michael Sen als Vorsitzender gesetzt ist. Denn Großaktionär Fresenius hat per Satzung mit 32,2 Prozent Anteil ein Entsendungsrecht für zwei der sechs Vertreter der Kapitalseite. Neben CEO Sen soll auch Finanzvorständin Sara Hennicken in das Gremium einziehen.
Große Überraschungen werden von Analysten und Branchenbeobachtern auf der außerordentlichen Hauptversammlung nicht erwartet. Die Zustimmung seitens Fresenius mit 32,2 Prozent Anteil ist sicher. Zudem haben auch die beiden großen Stimmrechtsberater Glass Lewis und Institutional Shareholder Services (ISS) den FMC-Aktionären die Zustimmung zu allen Tagesordnungspunkten empfohlen, wie das Handelsblatt auf Nachfrage erfuhr.
Auch bei Fresenius geht man Insidern zufolge davon aus, dass die erforderlichen Mehrheiten erreicht werden: Für den Formwechsel bedarf es einer qualifizierten Mehrheit von 75 Prozent des vertretenen Grundkapitals, für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder reicht die einfache Mehrheit.
Für den Fresenius-Konzern ist die Entflechtung ein historischer Schritt: 27 Jahre nachdem FMC als Tochtergesellschaft gegründet wurde, wird diese von der Konzernmutter wieder getrennt. Fresenius hatte 1996 den deutlich größeren US-Dialyseanbieter National Medical Care gekauft, mit seinen Dialyseaktivitäten fusioniert und als FMC an die Börse gebracht, um den Kauf zu finanzieren. Die KGaA-Struktur von FMC gibt es seit 2006.
Projekt „Gordian“
Die Pläne für eine Vereinfachung der Konzernstruktur und eine Entflechtung von FMC hatte der seit Oktober vergangenen Jahres amtierende Vorstandsvorsitzende Michael Sen vorangebracht und dafür auch die Zustimmung der Fresenius kontrollierenden Stiftung eingeholt. „Gordian“ wurde das Projekt getauft: Es galt einen gordischen Knoten zu zerschlagen.
Die Dialysetochter FMC, die vom Mutterkonzern voll konsolidiert wird, hatte Fresenius zuletzt mehrere Gewinnwarnungen eingebrockt. Die komplexe Konzernstruktur der Fresenius-Gruppe mit einer doppelten KGaA-Struktur war bei Investoren ohnehin nicht beliebt und engte den Handlungsspielraum des hochverschuldeten Unternehmens zunehmend ein.
Fresenius Medical Care soll in der neuen Struktur und unter der Führung von CEO Helen Giza agiler und flexibler werden.
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Bis zum Jahresende soll die Entflechtung abgeschlossen sein – wenn es gut läuft, vielleicht schon im dritten Quartal. Aus dem Fresenius-Konzern mit zuletzt 40,8 Milliarden Euro Umsatz und 1,37 Milliarden Euro Konzernergebnis werden künftig zwei Unternehmen. FMC mit zuletzt rund 19 Milliarden Euro Umsatz ist dabei umsatzmäßig etwas kleiner als die neue Fresenius, die auf Basis der Zahlen des Geschäftsjahres 2022 auf rund 22 Milliarden Euro Umsatz kommt. Die Beteiligung an FMC, die Fresenius erst einmal weiter halten will, wird zukünftig gemäß der sogenannten At-Equity-Methode anteilig im Jahresergebnis von Fresenius berücksichtigt.
Fresenius wird sich künftig auf die beiden Kerngeschäftsfelder Kabi (Medikamente und klinische Ernährung) sowie den Klinikkonzern Helios konzentrieren. Die kleinste Sparte Vamed, in der unter anderem die Rehakliniken und das Dienstleistungsgeschäft für Kliniken gebündelt sind, wird weiter als Finanzbeteiligung gehalten und dürfte perspektivisch verkauft werden. Bisher wurde noch kein Käufer gefunden. Nun soll die Sparte erst einmal restrukturiert werden.
Neuer Finanzvorstand
Fresenius Medical Care soll in der neuen Struktur und unter der Führung von CEO Helen Giza und dem neuen Finanzchef Martin Fischer agiler und flexibler bei Investitionen, Finanzierungsstrategie und Dividendenpolitik werden. Fischer, der aus dem alten Netzwerk von Sen bei Siemens und Siemens Healthineers kommt, startet zum 1. Oktober.
Giza will mit dem neuen Geschäftsmodell, das sich auf Dienstleitungen einerseits und Produkte andererseits konzentriert, sowie mit Effizienzmaßnahmen den Rahmen für profitableres Wachstum bei FMC schaffen. In diesem Jahr erwartet das Unternehmen ein Umsatzwachstum im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich. Das operative Ergebnis von zuletzt 1,5 Milliarden Euro soll im besten Fall stabil bleiben, kann aber auch bis zu einem hohen einstelligen Prozentsatz zurückgehen, so die Prognose.
Im Aufsichtsrat des Unternehmens wiederum wird die Ära Dieter Schenk, Jahrgang 1952, zu Ende gehen. Der frühere Testamentsvollstrecker von Fresenius-Inhaberin Else Kröner und Vorstand des Stiftungsrats der Else-Kröner Fresenius Stiftung, die den Gesundheitskonzern Fresenius kontrolliert, war seit 1996 Mitglied im FMC-Aufsichtsrat und seit 2018 ihr Vorsitzender. Das hatte in den vergangenen Jahren bei Investoren unter Compliance-Gesichtspunkten immer wieder für Unmut gesorgt: Sie sahen die Unabhängigkeit Schenks als AR-Mitglied wegen seiner langen Zugehörigkeit und auch seiner Funktion in der Stiftung als gefährdet an.
Neu in den Aufsichtsrat kommen auf Kapitalvertreterseite der bisherige Merck-Finanzvorstand Marcus Kuhnert (Jahrgang 1968) und der US-Amerikaner Shervin J. Korangy (1974), Chef des Augenheilkundekonzerns BVI Medical. Aus dem bisherigen Mitgliederkreis werden erneut berufen: der Amerikaner Gregory Sorensen (1962), CEO des KI-Diagnostikspezialisten Deep Health, sowie die Französin Pascale Witz (1967), Chefin und Mitinhaberin des Beratungshauses PWH Advisors. Die Arbeitnehmerseite schickt ebenfalls sechs Vertreter.
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