Berlin Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), fordert Deutschland und Europa auf, auf Fuel aus Russland zu verzichten. „Europa sollte sich nicht länger mit russischem Fuel beliefern lassen“, sagte der Klimaökonom im Interview mit dem Handelsblatt. „Das ist bedauerlich, aber Putin setzt auf Konfrontation und auf Energie als Waffe.“
Edenhofer rät einerseits dazu, die Importe von Flüssiggas aus anderen Ländern deutlich zu erhöhen, und andererseits, verstärkt Kohlekraftwerke einzusetzen, und zwar vorwiegend Braunkohlekraftwerke in Deutschland.
„Wir werden Kohlekraftwerke nutzen müssen, auch im Stromsektor, vor allem, wenn wir auch die Steinkohleimporte aus Russland reduzieren wollen“, sagte er. „Es ist eine Notsituation, in der wir jetzt sehr koordiniert vorgehen müssen.“
Mittelfristig müssten Effizienzreserven gehoben werden und vor allem die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, sagte Edenhofer. „Wie wichtig die sind, ist in der aktuellen Krise noch deutlicher als zuvor geworden.“
Rationierungen schloss er nicht aus. „Die Heizungen in privaten Haushalten werden in Betrieb bleiben“, sagte Edenhofer. „Dagegen werden Anwender in der Industrie Einschränkungen in Kauf nehmen müssen.“
Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Herr Edenhofer, der russische Angriffskrieg löst kaum absehbare globale Verwerfungen aus. Sehen Sie die Gefahr, dass internationale Klimaschutzbemühungen zu einer Marginalie werden?
Es wäre eine große Dummheit, im Klimaschutz nachzulassen.
Was hat jetzt Priorität?
Wir müssen flexibler werden und unsere Bezugsquellen für Fuel diversifizieren. Wir werden uns in Europa damit auseinandersetzen müssen, die Gasimporte aus Russland nahezu vollständig zu ersetzen, denn sonst hätten die Sanktionen wenig Sinn.
Wie soll das gehen?
Es gibt zwei Wege, um Versorgungsengpässe zu vermeiden, die beide ein Höchstmaß an europäischer Solidarität erfordern. Einerseits müssen wir die Importe von LNG, additionally an Flüssiggas, deutlich erhöhen. Das allein wird aber nicht reichen. Darum müssen wir andererseits auch die Nachfrage reduzieren. Mit der Kombination beider Maßnahmen sollten wir ans Ziel kommen können.
Gibt die bestehende Infrastruktur das her?
Natürlich stoßen wir da an Grenzen. Spanien etwa verfügt über große Importkapazitäten für LNG. Allerdings fehlt es an der erforderlichen Infrastruktur, um das Fuel in alle Teile Europas zu transportieren. Über diesen Winter werden wir noch intestine hinwegkommen. Aber ab dem kommenden Winter und in den Jahren darauf wird die Lage schwierig, daran besteht für mich wenig Zweifel. Darum müssen wir jetzt schon für den kommenden Winter planen.
Sollte man nicht noch so viel russisches Fuel importieren wie möglich oder sollen die Europäer von sich aus auf die Belieferung verzichten?
Europa sollte sich nicht länger mit russischem Fuel beliefern lassen. Das ist bedauerlich, aber Putin setzt auf Konfrontation und auf Energie als Waffe. Wenn wir weiter auf Putin als Gaslieferanten setzen, sehe ich die Gefahr eines strategischen Spiels, bei dem er am längeren Hebel sitzt. Nehmen wir mal an, die Gasimporteure würden jetzt für relativ teures Geld die Gasspeicher füllen. Wenn die Gasspeicher dann voll sind, könnte Gazprom den Markt ganz schnell mit billigem Fuel fluten und die europäischen Gasimporteure, die auf dem teuer eingekauften Fuel sitzen, wirtschaftlich erheblich schwächen. Die andere Variante wäre ebenso unbefriedigend für die Europäer: Die Gasimporteure füllen die Speicher aus Angst vor Verlusten nicht, dann könnte Gazprom das Angebot verknappen und den Preis in die Höhe treiben. In beiden Fällen würden die Europäer helfen, den Krieg Putins gegen die Ukraine zu finanzieren. Das ist nicht zu vertreten. Wenn wir es wirklich ernst meinen mit Sanktionen gegen Russland, dann müssen wir die Gasimporte aus Russland selbst kappen.
Wann soll das geschehen?
Natürlich muss das schnell gehen. Die größte Herausforderung ist der nächste Winter. Da geht es jetzt um das Befüllen der Gasspeicher. Das muss jetzt passieren, egal, was Putin macht.
Sie empfehlen, den Gasverbrauch zu reduzieren. Wer soll zuerst verzichten?
Wir müssen kurzfristig die Gasnachfrage reduzieren, indem wir verstärkt Kohlekraftwerke einsetzen, und zwar vorwiegend Braunkohlekraftwerke, zum Teil aber auch Steinkohlekraftwerke, sofern wir die Steinkohle nicht aus Russland importieren, und mit Erdöl betriebene Kraftwerke. Mittelfristig müssen Effizienzreserven gehoben werden und vor allem die erneuerbaren Energien ausgebaut werden – wie wichtig die sind, ist in der aktuellen Krise noch deutlicher als zuvor geworden.
Es wird additionally niemand in einer kalten Wohnung sitzen?
Wenn es hart auf hart kommt, sind Rationierungen möglicherweise nicht zu vermeiden. Aber die Heizungen in privaten Haushalten werden in Betrieb bleiben. Dagegen werden Anwender in der Industrie Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Ich sage nicht, dass das eine leichte Sache ist. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich die Engpasssituation mit einer Kombination der geschilderten Maßnahmen meistern lässt und das Ganze ohne große ökonomische Verwerfungen machbar ist.
Warum fehlen in Ihrer Aufzählung der Ausweichmöglichkeiten die Atomkraftwerke?
Die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken ist aus meiner Sicht keine realistische Possibility. Der Rückbau ist schon zu weit fortgeschritten. Ich bin nicht kategorisch dagegen. Ich bin nur skeptisch, und ich glaube nicht, dass das tatsächlich notwendig ist.
Würde ein Rückgriff auf Braunkohlekraftwerke nicht alle Klimaschutzbemühungen zunichtemachen?
Wir haben für den Strom- und Industriesektor eine Emissionsobergrenze im europäischen Emissionshandel, und die darf auch auf keinen Fall aufgeweicht werden. Sie sollte vielmehr jetzt so eingestellt werden, dass sich die Ziele des Inexperienced Offers der EU erreichen lassen – es dürfen additionally nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden, sondern immer weniger. Zuletzt sind die Preise im Emissionshandel ja deutlich gesunken. Das interpretiere ich so, dass die Händler davon ausgehen, die EU-Kommission werde angesichts der globalen Verwerfungen von den Zielen des Inexperienced Offers abrücken. Das wäre deadly.
Wie soll die EU-Kommission sich verhalten?
Die EU-Kommission sollte möglichst rasch klarstellen, dass sie zu den Zielen des Inexperienced Offers steht. Wir haben ein funktionierendes Emissionshandelssystem. Das sollten wir nicht leichtfertig aufgeben. Es ermöglicht uns jetzt, vorübergehend verstärkt Kohlekraftwerke einzusetzen, ohne insgesamt die Emissionsreduktionsziele zu gefährden. Das Ziel des Inexperienced Offers ist, einen wichtigen Beitrag zu leisten zur Minderung der Klimarisiken für unsere Wirtschaft und für die Menschen. Das ist weiterhin absolut richtig.
Fuel aus den USA ist zu einem großen Teil Fracking-Fuel, eine Technik, die in Deutschland abgelehnt wird. Könnte man dann nicht besser noch mehr heimische Kohlekraftwerke laufen lassen?
Fracking-Fuel verursacht geringere Emissionen als Braunkohle. Wir werden für Haushalte und Industrie Fuel benötigen, weil wir hier kurzfristig nur ganz begrenzte Substitutionsmöglichkeiten haben. Und langfristig wird der emissionsintensivste Energieträger über den CO2-Preis aus dem Markt gedrängt. Aber was klar ist: Wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen, damit Fuel vor allem in den Sektoren genutzt wird, wo es mit Strom nicht funktioniert.
Ist der geplante vorgezogene Kohleausstieg 2030 haltbar?
Lassen Sie uns nicht über Ausstiegsdaten streiten, sondern den Emissionshandel wirken lassen, das ist der adäquate Weg. Wir werden Kohlekraftwerke nutzen müssen, auch im Stromsektor, vor allem, wenn wir auch die Steinkohleimporte aus Russland reduzieren wollen. Es ist eine Notsituation, in der wir jetzt sehr koordiniert vorgehen müssen. Ich bin da gar nicht so pessimistisch, dass das nicht gelingen könnte.
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Wie sollen die Europäer ihre Nachfragemacht auf dem Energiemarkt stärken?
Das funktioniert nur, wenn sie sich unter Führung der EU-Kommission koordinieren. Es ist eine klare Strategie erforderlich, damit die europäischen Länder sich nicht gegenseitig auf dem Gasmarkt ausstechen. Europa muss als starker Nachfrager auf dem Weltmarkt auftreten. Das ist aus meiner Sicht der wichtigste Punkte. Außerdem müssen wir die Verteilung intern koordinieren.
Was halten Sie von Forderungen, die inländische Gasproduktion hochzufahren?
Das kann man ins Auge fassen. Aber ich glaube nicht, dass das kurzfristig ein wirklich relevanter Faktor ist. Wir werden vor allem Flüssiggas importieren müssen.
Ist die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen nicht ein schlechtes Omen für die internationale Klimadiplomatie? Russland dürfte als Associate über Jahrzehnte ausfallen. Was ist mit China?
Da gibt es doch große Unterschiede zwischen Russland und China. Russland ist im Wesentlichen vom Export von Rohstoffen abhängig und hat es nicht geschafft, in den letzten 30 Jahren seine Ökonomie zu diversifizieren. Für Russland ist daher der Inexperienced Deal eine Herausforderung, weil Europa seine Importe fossiler Ressourcen bis 2050 drastisch reduzieren wird. Russland kann dem nur begegnen, indem es seine Importe umlenkt. Das ist bei China anders. China ist keine Ressourcen-exportierende Nation, sondern exportiert vor allem Industriegüter mit hohem Wertschöpfungsgehalt. Der Verzicht auf Kohle ist für China schwierig, aber industrie- und wachstumspolitisch machbar. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, mit China noch einmal neu ins Gespräch zu kommen.
Aber die Chinesen sind erschreckend ambivalent. Man kann nicht erkennen, dass sie sich jetzt wieder dem Westen zuwenden, ganz im Gegenteil.
Gerade deswegen ist es wichtig, mit China zu reden, nicht nur aus klimapolitischen Gründen. Die Gespräche sind wichtig, schon, um zu vermeiden, dass Russland und China zu sehr zusammenrücken.
Ist die Idee des Klima-Klubs tot?
Ich bin da nicht so pessimistisch. Natürlich könnte die russische Politik in die Versuchung kommen, Asien mit billigem Fuel zu fluten. Erstens ist das noch Zukunftsmusik. Zweitens würde das immerhin dazu führen, dass der billigere Gaspreis ein Anreiz zum Kohleausstieg wäre. Ich weiß, dass es schwierig ist, dennoch müssen wir mit China reden. Und nebenbei lernen, dass wir uns in einem Systemwettbewerb befinden. Es geht um die liberalen Demokratien einerseits und die Autokratien andererseits. Besonders tragisch ist dabei, dass ganz Russland eine personalisierte Autokratie geworden ist.
Was folgt konkret daraus?
Dass wir Stärke zeigen und zugleich kooperationsbereit sein sollten. Ich finde, wir müssen auf dem Weg, den wir eingeschlagen haben, weitergehen. Wir sollten die Strahlkraft liberaler Demokratien nicht unterschätzen.
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