Salzgitter Es soll jetzt schnell gehen mit dem Aufbau eines Netzes zur Versorgung mit Wasserstoff. Zu Wochenbeginn hat das Bundeswirtschaftsministerium unter Minister Robert Habeck nach langer Bedenkzeit seine Pläne dazu konkretisiert. Die Schlüsselrolle kommt dabei den Betreibern des Ferngasnetzes zu.
Die können der zuständigen Bundesnetzagentur wohl schon bis Sommer einen Vorschlag machen, wie ein Grundnetz aussehen könnte. Das sagte Ulrich Benterbusch, Geschäftsführer des Ferngasnetzbetreibers Gascade, am Mittwoch auf dem Handelsblatt Wasserstoff-Gipfel in Salzgitter. Er betonte: „Wir können kein Bundesland abhängen.“
Kritik an zu kleinem „Wasserstoff-Startnetz“
Es soll zunächst ein Netz mit einer Länge von 1700 Kilometern entstehen. Wesentliche Teile des neuen Netzes sollen aus umgewidmeten Erdgasleitungen bestehen. Auf dem Wasserstoff-Gipfel mahnte Benterbusch, das Wasserstoffnetz dürfe nicht zu klein ausfallen: „Wir müssen von Anfang an die Kapazität so auslegen, dass es langfristig reicht.“ Ein 1700-Kilometer-Netz sei viel zu klein. Ohne ausreichende Infrastruktur, führte der Gascade-Chef aus, werde „hier in Salzgitter nichts passieren und auch anderswo nichts“.
Die Betreiber von Ferngasleitungen befassen sich bereits seit mehreren Jahren intensiv damit, wie ein Startnetz aussehen könnte. Anfang 2020 hatten sie erste Ideen vorgestellt. Ihre Pläne dürften aber in Zusammenarbeit mit der Bundesnetzagentur noch verändert werden. Ein Kritikpunkt: Den bisherigen Plänen zufolge bedient das Wasserstoff-Startnetz zunächst vorwiegend den Nordwesten Deutschlands. Der Süden soll erst später folgen. Die bayerische Wirtschaft hatte das heftig kritisiert.
Von links nach rechts: Klaus Stratmann (Handelsblatt), Katherina Reiche (Westenergie), Cord Landsmann(Thyssen-Krupp Uhde), Markus Exenberger (H2 Global), Tom Hautekiet (Hafen Antwerpen) und Kathrin Witsch (Handelsblatt) diskutieren den Energieträger der Zukunft, der sehr schnell zur deutschen Industrie-Realität werden muss.
(Foto: Vogt/Hergenröders)
Grüner Wasserstoff gilt als einer der wichtigsten Bausteine für eine erfolgreiche Energiewende. In Branchen, in denen strombetriebene Anwendungen keine Option sind, gilt er sogar aktuell als einzige Alternative. So setzen vor allem Stahl- und Chemiebranche auf den nachhaltigen Wasserstoff. Der wird derzeit noch aus fossilem Erdgas hergestellt, kann aber mithilfe der Elektrolyse auch auf der Basis von grünem Strom produziert werden.
Thyssen-Krupp, Arcelor Mittal und Salzgitter haben ihre Strategien mit Blick auf die Klimaziele längst auf grünen Wasserstoff ausgerichtet. Nur bislang gibt es den allenfalls in homöopathischen Dosen. Vor allem die Verteilungsfrage hatte den Hochlauf bislang massiv behindert.
„Der Vorschlag, klein anzufangen, ist sinnvoll“
Auch in Salzgitter spielt ein zügiger Anschluss an ein künftiges Wasserstoffnetz eine wichtige Rolle. Denn in der niedersächsischen Stadt sitzt unter anderem der gleichnamige Stahlkonzern. Dessen CEO, Gunnar Groebler, sagte auf dem Wasserstoff-Gipfel: „Wir sind als Kunde darauf angewiesen, dass der Wasserstoff hier ankommt.“
Salzgitter sei zwar in konstruktiven Gesprächen mit den Ferngasnetzbetreibern. Allerdings sagte Groebler, er rechne nicht damit, dass es in Salzgitter bis 2026 einen Netzanschluss geben werde.
Der Konzern plane deshalb, vor Ort selbst aus erneuerbarem Strom grünen Wasserstoff herzustellen: „Wir werden einen 100-Megawatt-Elektrolyseur bauen und selbst hier Wasserstoff produzieren. Damit werden wir vielleicht fünf bis sieben Prozent unseres Bedarfs decken“, so Groebler. Ob der Stahlkonzern schon an das Startnetz angeschlossen wird, wisse er nicht.
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Trotz des sich abzeichnenden großen Bedarfs steht zur Debatte, wie schnell das künftige Wasserstoffnetz wie groß werden soll. Eva Haupt, Referatsleiterin der Bundesnetzagentur, sagte beim Wasserstoff-Gipfel: „Der Vorschlag, klein anzufangen, ist sinnvoll.“ Es gelte abzuwarten, ob sich bisherige Absichtserklärungen von Unternehmen bestätigten. Danach könne das Netz sukzessive größer werden.
Benterbusch hingegen sagte: „Die Politik muss jetzt gemeinsam mit den Ferngasnetzbetreibern eine Entscheidung über ein ausreichend großes Netz treffen, sodass die Industrie weiß, was wann kommt.“
Appell für mehr Sicherheit für Verteilnetzbetreiber
Zustimmung kam von Carsten Rolle, Geschäftsführer des Welt-Energierats: „Es muss verstanden werden, dass ohne diese Infrastruktur-Sicherheit kein Unternehmen eine Dekarbonisierungsoption in großem Stil hat.“
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Studie des Übertragungsnetzbetreibers Tennet mit dem Titel „Quo vadis Wasserstoff-Kraftwerke?“, die das Unternehmen Mitte Mai veröffentlichen will. Deren Kernergebnisse liegen dem Handelsblatt bereits vor. Eine frühzeitige Anbindung von Südbayern an das geplante Wasserstoffnetz kann demnach einen signifikanten Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
Der Chef der Salzgitter AG geht von keinem schnellen Anschluss ans Netz aus.
(Foto: Vogt/Hergenröders)
Für Diskussionsbedarf sorgt beim Wasserstoffnetz zudem das Thema Finanzierung. Die noch von der Großen Koalition aus Union und SPD beschlossene Regulierung für Wasserstoffnetze sieht vor, dass allein die Kunden der Wasserstoffnetze den Ausbau und den Betrieb der Leitungen über Entgelte finanzieren. So würden beispielsweise die Industriekonzerne, die als Erstes an das Wasserstoffnetz angeschlossen werden, den Ausbau mit den Gebühren bezahlen, die ihnen für die Nutzung in Rechnung gestellt werden.
Die Netzbetreiber sprechen sich seit Jahren für eine andere Lösung aus: Sie wollen aus den Entgelten, die sie für die Nutzung der Erdgasleitungen unter anderem von Hausbesitzern erhalten, den Aufbau des Wasserstoffnetzes finanzieren. Doch die Politik lehnt diese Form der Quersubventionierung aufgrund der massiven Kosten für alle Verbraucher ab.
Bundesnetzagentur-Referatsleiterin Haupt sagte auf dem Wasserstoff-Gipfel: „Die Kunden im Haushaltsbereich sind nicht diejenigen, die diesen Wasserstoffhochlauf zahlen sollten. Wir sprechen von einem Netz, das dazu aufgebaut werden soll, vor allem die großen Industriebetriebe mit Wasserstoff zu versorgen.“
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