Düsseldorf, Berlin, Peking Als Russland 2014 die ukrainische Krim mittels Soldaten ohne Hoheitsabzeichen annektierte, schwieg Peking dazu. Derzeit indes vergeht kaum ein Tag, an dem nicht chinesische Spitzenpolitiker oder Diplomaten Moskau den Rücken stärken, während Russland immer mehr Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzieht. Russlands „berechtigten Sicherheitsbedenken“ müsse Rechnung getragen werden, springt der chinesische Außenminister Wang Yi, Moskau zur Seite.
Staats- und Parteichef Xi Jinping unterstützte nach einem Telefonat mit Wladimir Putin im Dezember Moskaus Forderung, die Ukraine dürfe niemals dem westlichen Verteidigungsbündnis Nato beitreten.
An diesem Freitag empfängt Xi Putin als ersten ausländischen Staatschef einer großen Wirtschaftsnation seit Ausbruch der Coronapandemie in der chinesischen Hauptstadt. Der Kremlchef wird auch der mächtigste ausländische Staatschef sein, der bei Pekings Eröffnung der Olympischen Winterspiele dabei sein wird. Putin sagt, er und Xi seien „Freunde“.
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Bei ihrem Gespräch wird es um die Entfaltung einer Allianz gehen, die sich seit Verhängung westlicher Sanktionen im Zuge der Krimannexion 2014 intensiviert hat, die nun in der Ukrainekrise einen neuen Schub bekommt – und die für Europa und die USA zum Drawback wird. „Russland an der Seite der Wirtschaftsmacht China – das ist eine durchaus gefährliche Verquickung“, urteilt die neue Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Cathryn Clüver Ashbrook.
Indem sich beide Staaten etwa bei gemeinsamen Militärübungen oder Territorialansprüchen in der Arktis absprächen, könnten sie dem Westen „ganz elementary bedrohlich werden“.
Der gemeinsame Kontrahent USA schweißt Moskau und Peking enger zusammen. Und die politische und militärische Annäherung beider Staaten, die auch Waffenlieferungen Moskaus an Peking umfasst, hat sie auch wirtschaftlich näher zusammengebracht. Mittlerweile ist China der mit Abstand wichtigste Handelspartner Russlands. Mehr als 18 Prozent des Handels betreibt das rohstoffreiche Land mit China. Deutschland kommt als zweitwichtigster Associate auf gerade einmal 7,4 Prozent.
Der Handel zwischen China und Russland stieg im vergangenen Jahr Daten der chinesischen Zollbehörde zufolge um 35,8 Prozent auf den Rekordwert von 147 Milliarden Greenback. Für übernächstes Jahr hat Putin ein Volumen von 200 Milliarden Greenback angekündigt. Dazu beitragen sollen mehr als 15 Verträge, die beim Treffen von Putin und Xi unterschrieben werden. Ein alternate options Zahlungssystem, um sich vom internationalen und eventuell sanktionsbedrohten Swift-System unabhängiger zu machen, werde ebenso Thema sein wie eine neue Gaspipeline, kündigte Putins Sicherheitsberater Juri Uschakow an.
Es geht um eine noch engere Energiepartnerschaft, die in direkter Konkurrenz zu Russlands bisheriger Orientierung seiner Öl- und Gaslieferungen nach Europa steht. Der staatlich dominierte russische Gaskonzern Gazprom liefert bereits über die 2014, nach der Krimannexion, vereinbarte Pipeline „Sila Sibirii“ (Kraft Sibiriens) Erdgas ins Reich der Mitte. Eine zweite Röhre ist in Bau. Und Gazprom-Chef Alexej Miller kündigte am Mittwoch eine mögliche dritte Gasleitung über die Mongolei an.
Die beiden Volkswirtschaften sind komplementär
Zudem ist China wichtigster Associate bei Yamal LNG, dem vom Putin-Vertrauten und Leiter des russisch-chinesischen Wirtschaftsrats Gennadi Tim‧tschenko geführten Flüssiggasunternehmens am Eismeer. Russische Firmen wiederum investieren in die Landwirtschaftsproduktion in China.
Europas Energiewende und der „Konflikt mit dem Westen zwingt Moskau dazu, neue Märkte für seine Kohlenwasserstoffexporte und Technologieimporte zu suchen, vor allem in China“, sagt Alexander Gabujew, Leiter des Programms Russland im asiatisch-pazifischen Raum am Carnegie Moscow Centre. Er sieht die „Komplementarität der beiden Volkswirtschaften“ und quasi den Zwang zum engen Schulterschluss – auch wegen der „parallelen Konfrontation Russlands und Chinas mit den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten“.
China, das einen großen Teil seiner natürlichen Ressourcen aus dem Ausland importiert, brauche einen wichtigen Rohstofflieferanten, der seine Materialien über zuverlässig geschützte Landwege liefern könne und „nicht über die verwundbaren Arterien der Ozeane, wo die amerikanische Flotte noch immer dominiert“. Auch westliche Sanktionen gegen chinesische Technologiefirmen wie Huawei und die parallel für den Fall eines russischen Überfalls auf die Ukraine angedrohten Exportembargos für Technikprodukte nach Russland, schweißen die beiden Autokratien zusammen.
Doch ganz so einfach ist die Beziehung der zweit- und elftgrößten Volkswirtschaften der Welt nicht, argumentiert Kadri Liik, Russlandexpertin vom European Council on International Relations. Die Ausprägung der autoritären Systeme in beiden Ländern sei höchst unterschiedlich. In politischen und akademischen Kreisen in Moskau wird zudem die Gefahr diskutiert, dass das wirtschaftlich zehnmal kleinere Russland zu abhängig von China werden könnte. Sergej Karaganow vom außen- und sicherheitspolitischen Rat in Russland bezeichnet die Beziehung deshalb als „Halballianz“ und warnt, Russland dürfe seine Souveränität nicht an China „verkaufen“ und damit den Fehler Europas in seiner engen Beziehung zu Washington wiederholen.
Die kremlnahe Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ verweist sogar auf „einen kolonialen Charakter“: China verkaufe Russland Hightech-Waren, Russland an China aber vor allem Rohstoffe. „In den 1950er-Jahren bezeichneten die Chinesen die UdSSR als älteren Bruder. Heute wird China zum älteren Bruder.“
Es gibt auch Rückschläge in den Beziehungen
Zudem kommt es auch politisch und wirtschaftlich immer wieder zu Rückschlägen: Moskau hat mehrfach chinesische Geheimdienste beim Ausspähen russischer Rüstungsschmieden erwischt. Behörden in Sibirien stoppten 2019 ein durch China finanziertes Projekt, vom Baikalsee Trinkwasser abzufüllen, wegen lokalen Widerstands. Im August 2020 musste sich der staatlich gelenkte russische Energiekonzern Rosneft von Bohrungen vor der Küste Vietnams zurückziehen – aufgrund von Forderungen aus Peking.
Beide Seiten agieren trotz der gegenseitigen Beteuerung ihrer Freundschaft entlang der gemeinsamen Grenze mit einer Länge von 4209 Kilometern in der Realität eher pragmatisch, nach der Formel: nicht immer zusammen, aber nie gegeneinander.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet bei den Olympischen Winterspielen in Peking die Gefahr eines russischen Überfalls der Ukraine so groß ist. Denn es conflict bei den Sommerspielen in Peking 2008, als Putin ausgerechnet am Tag der Eröffnung der Sportveranstaltung in Chinas Hauptstadt seine Truppen in Georgien aufmarschieren ließ und damit Xi worldwide die Present stahl.
Im Vorfeld der Winterspiele machte in Pekinger Diplomatenkreisen deshalb ein Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg die Runde, wonach Xi Putin in einem Telefonat gebeten haben könnte, die Ukraine nicht während der am Freitag beginnenden Winterspiele anzugreifen. Das chinesische Außenministerium dementierte das. Dennoch bleibt die immer engere chinesisch-russische Freundschaft wie das einstige Verhältnis zwischen Joseph Stalin und Mao Zedong mit einer gehörigen Portion Misstrauen gewürzt.
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