Hamm Die Arbeitnehmer der Deutschen Bahn (DB) stemmen sich mit Macht gegen neue Forderungen, das Schienennetz vom Fahrbetrieb des Staatskonzerns zu trennen. „Würde der integrierte Konzern aufgespalten“, warnte Konzernbetriebsratschef Jens Schwarz am Mittwoch in Hamm, „würde dies den Bahnbetrieb behindern statt verbessern.“
Die Achillesferse des deutschen Schienenverkehrs sei die Unterfinanzierung der Infrastruktur, nicht die Konzernstruktur, sagte der Bahn-Aufsichtsrat.
Eine Aufspaltung in eine gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft und eine dem Wettbewerb stärker ausgesetzte Transportfirma gefährdet nach Ansicht der Arbeitnehmer insbesondere Teile des Güterverkehrs. So sei der sogenannte Einzelwagenverkehr aktuell unrentabel, sagte Europa-Betriebsratschef Jörg Hensel.
2022 fuhr DB Cargo einen Betriebsverlust von 665 Millionen Euro ein. Der nahezu allein von der Bahn angebotene Dienst sei aber ein wichtiger Baustein für Klima und Wirtschaft, erklärte Hensel,
„Der wirtschaftliche Betrieb des Einzelwagenverkehrs ist unter den aktuellen Rahmenbedingungen europaweit nur durch öffentliche Förderung möglich“, sagte er. „Müsste ihn die Deutsche Bahn eigenwirtschaftlich betreiben, wären Tausende Arbeitsplätze in Deutschland und Europa bedroht, weil die Transportleistung massiv heruntergefahren werden müsste.“
„Der wirtschaftlicher Betrieb des Einzelwagenverkehrs ist unter den aktuellen Rahmenbedingungen europaweit nur durch öffentliche Förderung möglich“,
(Foto: Deutsche Bahn)
Mit seiner Stellungnahme reagiert der Konzernbetriebsrat auf die seit Monaten lauter werdenden Rufe, die eine Zerschlagung der Bahn fordern. Ursache sind die massenhaften Verspätungen und Zugausfälle bei dem staatseigenen Unternehmen, die auch die von der Bundesregierung ausgerufene Verkehrswende gefährden.
Monopolkommission fordert Trennung von Schiene und Bahnbetrieb
2022 sank die Pünktlichkeit im Fernverkehr auf einen Negativrekord von 65 Prozent, von der geplanten Verdoppelung des Fahrgastaufkommens bis 2030 ist kaum noch die Rede. Der versprochene Deutschlandtakt ist auf das Jahr 2070 vertagt.
Am Dienstag hatte sich die Monopolkommission, ein Beratergremium der Bundesregierung, deshalb in ihrem neuen Sektorgutachten dafür ausgesprochen, das Gleisnetz samt den Bahnhöfen in ein „eigenständiges, gemeinwohlorientiertes Infrastrukturunternehmen für den Schienenverkehr“ zu übertragen. Organisatorisch und wirtschaftlich müsse es weitgehend vom Konzern Deutsche Bahn getrennt werden.
„Es wird höchste Eisenbahn für ambitionierte Reformen“, forderte der Kommissionsvorsitzende Jürgen Kühling, der sich von einer Trennung mehr Wettbewerb auf den Gleisen verspricht. Die Trassenentgelte, die regelmäßig für die Nutzung der Schienen und Bahnhöfe fällig werden, könnte ein DB-unabhängiger Netzeigentümer dann beispielsweise an Faktoren wie Pünktlichkeit knüpfen. Dies könne den Wettbewerb fördern und den Reisenden zugutekommen.
Die Arbeitnehmer sehen Teile des Güterverkehrs bei einer Aufspaltung gefährdet.
(Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich)
Für Schienennetz und Bahnhöfe ist bisher die DB Netz und DB Station & Service zuständig, die ohnehin nach dem Plan der Ampelkoalition zur gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte „InfraGo“ verschmelzen sollen. Als Termin ist der 1. Januar 2024 vorgesehen, eine vollständige Trennung vom DB-Konzern jedoch nicht.
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Die Unionsfraktion im Bundestag rät dagegen in einem Mitte April vorgelegten „Reformpapier“, Schienennetz, Bahnhöfe und die Energiesparte aus dem Konzern herauslösen. Als Vorbild gilt den Abgeordneten die 2018 gegründete Autobahn GmbH des Bundes. Nach dem Plan von CSU-Verkehrsexperte Ulrich Lange sollen dann nur noch die rollenden Abteilungen Nahverkehr, Fernverkehr und Gütertransport bei der Deutschen Bahn verbleiben.
Rückendeckung erhalten die Reformer zudem vom Bundesrechnungshof. „Die DB AG entwickelt sich zu einem Fass ohne Boden“, heißt es dazu in dessen jüngstem Bericht. Obwohl der Bund das Unternehmen immer stärker finanziell unterstütze, sei die Konzernverschuldung seit dem Jahr 2016 täglich um fünf Millionen Euro gewachsen, kritisiert die Behörde. Die Nettofinanzschulden von inzwischen mehr als 30 Milliarden Euro schränkten die Handlungsspielräume zunehmend ein.
Dabei werde die Bahn absehbar das 2020 von der Bundesregierung gesetzte Ziel verfehlen, bis 2030 den geplanten Anteil von 25 Prozent am gesamten Gütertransport zu erreichen – aktuell liegt er nahezu unverändert bei 19 Prozent. „Der Bund hinterfragt die integrierte Konzernstruktur der DB AG bisher nicht grundsätzlich“, kritisiert der Bundesrechnungshof. „Er nimmt sowohl Hemmnisse für den eigenen Einfluss als auch für den Wettbewerb hin.“
Spanien als abschreckendes Beispiel
Dass es längst zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, scheint die Konzernbilanz zu bestätigen. So summierten sich die Verluste der Fahrbetriebe DB Fernverkehr, DB Regio und DB Cargo im vergangenen Jahr auf 735 Millionen Euro.
Die für Gleise, Bahnhöfe und Energie zuständigen Infrastrukturtöchter wiesen dagegen einen Betriebsgewinn von 733 Millionen Euro aus. Sie aber finanzieren sich zumindest im Regional- und Güterverkehr rund zur Hälfte aus Entgelten der privaten Konkurrenz.
Auch der Bahnvorstand stemmt sich daher vehement gegen Trennungsabsichten. Vorstandschef Richard Lutz sprachlich kürzlich vor Journalisten von einem „Griff in die Mottenkiste“. Länder wie Österreich und die Schweiz, die europaweit wegen ihrer Pünktlichkeit und Qualität als Vorbilder gehandelt würden, setzten weiterhin auf einen integrierten Bahnkonzern.
In Spanien dagegen, wo die Regierung 2005 den Bahnbetreiber Renfe vom Schienennetzbetreiber Adif trennte, zeigten sich inzwischen eklatante Probleme. In Madrid trat im Februar die Transportministerin zurück, nachdem von Renfe bestellte Züge wegen ihrer Breite nicht durch die Tunnel passten.
„Der internationale Vergleich zeigt“, erklärte deshalb Konzernbetriebsratschef Schwarz, „dass die Aufspaltung integrierter Konzerne nicht automatisch zu einer stabileren Infrastruktur, mehr Pünktlichkeit oder mehr Wettbewerb führt.“
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