Es ist der erste rein bilaterale Besuch eines Kanzlers in dem Land seit 30 Jahren.
(Foto: dpa)
Seoul Nordkorea ist für Olaf Scholz (SPD) nur noch drei Schritte entfernt. Doch der Kanzler wird beobachtet. Aus dem Beobachtungsposten auf nordkoreanischer Seite – Typ sozialistischer Funktionsbau – verfolgt ein Soldat mit Fernrohr jeden Schritt, den der Kanzler auf der südkoreanischen Seite geht. Der Wachmann hinter der blickdichten Gardine ist nur durch das Heranzoomen der Kameras zu sehen.
Hier in Panmunjom ist in den berühmten drei blau gestrichenen Baracken der Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea von 1953 verhandelt worden. Einen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht.
Auf der südkoreanischen Seite spricht man über die andere Seite der Grenze, die hier weder durch eine Mauer oder einen Zaun getrennt sind, deshalb nur vom “Feind”. Zügiges Laufen oder gar Rennen sind nicht erlaubt, wird der deutschen Delegation von den Soldaten mehrmals eingetrichtert. Nicht, dass jemand auf der anderen Seite noch nervös wird.
“Ich lade Sie nach Nordkorea ein”
Colonel Burke Hamilton, der Scholz durch die demilitarisierte Zone führt, macht dem Kanzler ein Angebot: „Ich lade Sie hiermit nach Nordkorea ein.“ Doch anders als der frühere US-Präsident Donald Trump, der 2019 zwischen den Grenzen herumspazierte, schlägt Scholz das Angebot aus.
Auf der Rückreise vom G7-Gipfel in Hiroshima hat der Kanzler Halt in Südkorea gemacht, um die Beziehungen zu einem alten, aber etwas vernachlässigten Freund zu pflegen. Scholz‘ Besuch ist der erste eines Bundeskanzlers seit 1993. Deutschland und Korea verbindet, dass beide Länder das Unglück einer Teilung erfahren mussten. Während Deutschland diese überwinden konnte, müssen die Koreaner damit seit 1953 leben.
„Was für ein großes Glück die Wiedervereinigung für unser Land war, kann man hier sehen“, sagt Scholz. Und natürlich führt die 248 Kilometer lange koreanische Grenze auch vor Augen, wie ein eingefrorener militärischer Konflikt aussehen kann, den viele gerade in der Ukraine befürchten.
Der Ukraine-Krieg ist ein zentraler Grund, warum Südkorea wieder an Bedeutung auf der Weltbühne gewinnt. Scholz ist nicht der erste Regierungschef, der dieser Tage in Seoul vorbeischaut. Und nur einen Tag nach seiner Visite werden EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zum EU-Südkorea-Gipfel erwartet.
Südkorea gewinnt geopolitisch an Bedeutung
Als Dank für den ersten Besuch eines Kanzlers seit 30 Jahren lobt der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol Scholz für dessen “hervorragenden Leaderhip”, er unterstütze Scholz’ Zeitenwende sehr. Bei so viel Lob muss der Kanzler schmunzeln. Dann verkündet Yoon auch noch, dem vom Scholz initiierten globalen Klimaclub beizutreten. Außerdem wollten beide Staaten in den Bereichen Wasserstoff, Halbleiter und Lieferketten enger zusammenarbeiten.
Auch wenn Yoon keine Zusage für Waffenlieferungen an die Ukraine gibt – Südkorea ist einer der größten Waffenexporteure der Welt – hat sich der Kurzbesuch für Scholz schon gelohnt.
Scholz setzt so große Hoffnungen in Yoon, weil dieser fast zeitgleich eine ähnlichen außenpolitischen Kurswechsel eingeläutet hat wie er selbst. Yoons linker Vorgänger Moon Jae hatte einen Geschichtsstreit mit dem Nachbarn Japan zur diplomatischen Eiszeit eskalieren lassen. Im Gegensatz zu Moon sucht Yoon die Annäherung an den zweiten US-Alliierten in der Region, um gemeinsam Nordkorea und China zu begegnen.
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Yoon und und Japans Regierungschef Fumio Kishida haben die bisherigen Barrieren durchbrochen. In Hiroshima trafen sie sich schon zum dritten bilateralen Gipfeltreffen in drei Monaten. Besonders die USA heißen die neue Gesprächsbereitschaft ihrer bisher tief zerstrittenen Alliierten willkommen. Denn eine engere Zusammenarbeit der beiden Exportnationen könnte die Machtbalance in Ostasien deutlich zu Chinas Ungunsten verschieben.
Der Umgang mit der immer aggressiver werdenden Führung in Peking war zuvor schon großes Thema auf dem G7-Gipfel gewesen. Um dem Riesenreich die Stirn zu bieten, können Scholz und die G7 jede Unterstützung gebrauchen. Sollten Japan und Südkorea wieder mehr zueinanderfinden, wäre das eine große Hilfe. Auch deshalb ist Scholz hier.
Japans Marine gilt als zweitmodernste der Welt und liegt zudem Taiwan nahe, welches China als abtrünnige Provinz ansieht. Südkorea wiederum hat ebenfalls rund 500.000 Männer und Frauen unter Waffen und über drei Millionen Reservisten stehen auf Abruf bereit, weil das Land von Nordkorea mit konventionellen und atomaren Waffen bedroht wird.
Wichtiger Handelspartner für Deutschland
Auch wirtschaftlich ist Südkorea aus deutscher Sicht interessant. Deutschland exportiert mehr nach Südkorea als nach Japan, obwohl der diesjährige G7-Gastgeber mehr als doppelt so viele Einwohner hat. Wie Deutschland hat Südkorea zudem eine eigene Indopazifikstrategie.
Aus all diesen Gründen ist es aus Sicht von Scholz sinnvoll, die Beziehungen durch einen Besuch zu vertiefen. Und Nordkorea hat der Kanzler am Ende doch kurz betreten. In der mittleren der drei Baracken, T2 genannt, überquerte der Kanzler die Mitte des Raums und damit die Grenze. Und diesmal nur unter Beobachtung seiner südkoreanischen Gastgeber.
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