Seit Wochen bekommt die Ampel den Unmut im Land hart zu spüren. Bundesweit finden Proteste statt. Olaf Scholz wird angeschrien, beschimpft und ausgepfiffen. Gibt es im Kanzleramt einen Plan, um das Ruder noch herumzureißen?
Als der Kanzler am Sonntag zum EM-Gruppenspiel der deutschen Handball-Nationalmannschaft in der Mercedes-Benz-Arena in Berlin eintrifft, wird es unruhig. Laute Buhrufe und ein Pfeifkonzert dröhnen durch die Halle. Die Stimmung ist deutlich zu spüren. Auf dem Platz, im Publikum, selbst über die Bildschirme zu Hause.
Der Kanzler verzieht keine Miene. Wirkt unbeeindruckt, zeigt keine Regung. Nicht, dass jemand damit gerechnet hätte. Trotzdem fällt auf, wie stoisch Scholz das Geschehen an sich abprallen lässt. Als die deutsche Mannschaft kurze Zeit später ein Tor macht, freut er sich. Als wäre nichts gewesen.
Klingbeil: „Alle sollten sich zusammenreißen“
Der Kanzler ist in diesen Tagen kein besonders gern gesehener Gast. Bei Sportveranstaltungen wird gegen ihn gepöbelt. Während eines öffentlichen Termins im Hochwassergebiet muss Scholz sich beschimpfen lassen. Selbst bei der Gedenkfeier für Fußballlegende Franz Beckenbauer am kommenden Freitag soll der Kanzler keine Rede halten. Die Veranstalter befürchten offenbar, dass es zu Unruhen in der Arena kommen könnte. Das wolle man bei einem solchen Trauerakt vermeiden, so berichtet es die „Süddeutsche Zeitung“. Scholz wird also still an der Veranstaltung teilnehmen. Andere Politiker wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder werden derweil reden.
Für Scholz ist der ganze Unmut nichts Neues. Seine Regierung befindet sich in einer Art Dauertief. Sie hangelt sich von Krise zu Krise. An brutale Kritik hat man sich längst gewöhnt. Aber so schlimm wie jetzt? War es noch nie. In den Umfragen ist die Koalition an einen neuen Tiefpunkt gelangt. SPD, Grüne und FDP kommen zusammen nur noch auf 31 Prozent. Damit sind sie zu dritt so stark wie die Union, die ebenfalls 31 Prozent erreicht.
Hinzu kommt, dass Menschen seit Wochen bundesweit auf die Straßen gehen. Nicht nur die Bauern protestieren. Auch die Gastronomen, Spediteure, Handwerker. Sie alle sind unzufrieden. Mit der Politik insgesamt, aber auch mit der Ampel.
In der Koalition blickt man mit Sorge auf die Situation. So ernst sei die Lage noch nie gewesen, heißt es aus Kabinettskreisen. SPD-Chef-Klingbeil spricht sogar von einem „Wutwinter“ und fordert die Ampel, der er selbst angehört, zu mehr Disziplin auf: „Alle sollten sich zusammenreißen“, sagt Klingbeil am Wochenende in der ARD. Vizekanzler Robert Habeck rief bereits Ende des vergangenen Jahres zu einem „Neustart“ der Koalition auf.
Scheint abzuwarten. Wie sich die Lage entwickelt. Dass sich die Dinge beruhigen. Aus den Ampelparteien ist deshalb immer mehr Frust zu hören. Der Kanzler habe sich eingemauert, heißt es in Koalitionskreisen. Ist Scholz wirklich so hilflos, wie es derzeit den Anschein hat?
Wo ist der Kanzler – warum es wirkt, als sei Scholz abgetaucht
Eigentlich tritt Scholz in aller Regelmäßigkeit bei öffentlichen Terminen auf. Erst am Wochenende lief er gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock bei einer Protestdemo gegen rechts in seiner Heimatstadt Potsdam mit. Der Kanzler gibt Interviews, sendet Videobotschaften, redet im Bundestag. An der Quantität mangelt es nicht. Erst recht nicht, wenn man den SPD-Politiker mit seiner Vorgängerin Angela Merkel vergleicht.
Trotzdem wird Scholz immer wieder vorgeworfen, er sei abgetaucht, ziehe sich zunehmend aus den Dingen raus. Diese Kritik kommt nicht nur aus den Reihen der Opposition. Auch bei den Grünen, der FDP und sogar in Teilen der SPD ärgert man sich über den Kanzler. Hinter vorgehaltener Hand fällt sogar der Vorwurf der Überforderung – und die Frage, ob Scholz der Lage gewachsen sei.
Letztlich dürfte die Kritik auch daher rühren, dass der Kanzler zwar oft redet, in den vergangenen Monaten aber noch seltener als sonst wirklich etwas sagt. Vielmehr scholzt Scholz mehr denn je. Er windet sich in nichtssagenden Floskeln, zeigt wenig bis gar keine Empathie. Und von Führung scheint keine Spur.