New York, Düsseldorf In der Nacht zum Sonntag haben sich die Kämpfe in der von Russland angegriffenen Ukraine auf die südukrainische Hafenstadt Mariupol und die Umgebung der Hauptstadt Kiew konzentriert. So meldete das von russischen Truppen belagerte Mariupol nach einer gescheiterten Feuerpause dramatische Zustände. Zudem rückte die russische Armee weiter auf Kiew und andere Städte vor, wie der ukrainische Generalstab am Sonntagmorgen erklärte.
Präsident Wolodimir Selenski rief die Ukrainer erneut zum Widerstand auf. Zugleich wächst der wirtschaftliche Druck auf Moskau: Mastercard und Visa kappen internationale Kreditkartenzahlungen mit Russland. Israels Ministerpräsident Naftali Bennett hatte am Samstag einen Vermittlungsbesuch gestartet und traf nach Gesprächen mit Russlands Präsident Wladimir Putin anschließend in Berlin Bundeskanzler Olaf Scholz.
Nach mehr als einer Woche Krieg hatten die beiden Seiten am Samstag eine mehrstündige Waffenruhe für Mariupol und eine Kleinstadt der Umgebung vereinbart, um Zivilisten fliehen zu lassen. Doch wurde die Feuerpause gebrochen, die Evakuierung scheiterte. Mariupols Bürgermeister Wadym Boitschenko sprach danach im Fernsehen von einer „humanitären Blockade“ der Stadt durch russische Einheiten.
Seit fünf Tagen gebe es keinen Strom und keine Heizung sowie Probleme mit der Wasserversorgung. Nach Beschuss gebe es Tausende Verletzte und viele Tote, sagte der Bürgermeister. Er flehe um die Errichtung eines Korridors, um Ältere, Frauen und Kinder aus der Stadt zu bringen.
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Der ukrainische Generalstab erklärte am Sonntagmorgen, der Hauptfokus der seit dem 24. Februar laufenden russischen Offensive sei weiter die Umzingelung der Städte Kiew, Charkiw im Osten und Mykolajiw im Süden. Russische Einheiten versuchten, in die südwestlichen Außenbezirke von Kiew einzudringen. Zudem näherten sie sich der Autobahn von der Kiewer Vorstadt Browary nach Boryspil, wo der internationale Flughafen Kiews liegt. Nach Einschätzung der ukrainischen Armee plant Russland, den Damm des Wasserkraftwerks Kaniw rund 150 Kilometer südlich von Kiew am Fluss Dnipro einzunehmen.
In der Nacht conflict auch in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, eine ganze Reihe von Explosionen zu hören, wie ukrainische Medien berichteten. Das ukrainische Militär erklärte, 88 russische Flugzeuge und Hubschrauber seien bislang abgeschossen worden. Eine unabhängige Bestätigung conflict dafür nicht zu erhalten.
Die Zivilbevölkerung sollte die Stadt am Samstagmorgen verlassen dürfen. Das Vorhaben ist gescheitert.
(Foto: by way of REUTERS)
Präsident Selenski forderte seine Landsleute in einer Videobotschaft auf, die russischen Truppen zu vertreiben. „Wir müssen nach draußen gehen! Wir müssen kämpfen! Wann immer sich eine Gelegenheit bietet.“ Die Ukrainerinnen und Ukrainer sollten wie in Cherson, Berdjansk oder Melitopol nach draußen gehen „und dieses Übel aus unseren Städten vertreiben“. Aus den genannten ukrainischen Städten gab es in den vergangenen Tagen Berichte darüber, dass sich einfache, unbewaffnete Menschen russischen Einheiten entgegengestellt hatten.
Israel versucht zu vermitteln
Internationale Vermittlungsversuche scheinen in dem Krieg derzeit wenig zu fruchten. Israels Regierungschef Bennett conflict am Samstag zu Gesprächen mit Putin nach Moskau gereist. Nach israelischen Angaben dauerte die Unterredung drei Stunden. Bennet telefonierte auch mit Selenski. Ergebnisse wurden nicht bekannt. Bennet kam anschließend zu einem eineinhalbstündigen Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz nach Berlin.
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Danach erklärte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit aber nur, das gemeinsame Ziel bleibe es, den Krieg in der Ukraine „so schnell wie irgend möglich“ zu beenden. Daran werde man mit aller Kraft arbeiten.
Bennett hat vor seinem Besuch in Deutschland mit Wladimir Putin gesprochen.
(Foto: dpa)
Auch US-Präsident Joe Biden telefonierte mit Selenski. US-Außenminister Antony Blinken wird am Sonntag nach seinem Treffen mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba zu Beratungen mit dem Nato-Verbündeten Moldau in der Hauptstadt Chisinau erwartet. Weitere Verhandlungen der Ukraine mit Russland soll es erst am Montag geben.
Putin verschärfte zuvor seine Rhetorik gegenüber dem Westen und kritisiert die verhängten Strafmaßnahmen scharf. „Diese Sanktionen, die verhängt werden, kommen einer Kriegserklärung gleich“, sagte der Kremlchef am Samstag in einer im Fernsehen übertragenen Rede.
Zugleich warnte er bei einem Treffen mit Mitarbeiterinnen der Airline Aeroflot die Nato davor, eine Flugverbotszone für die Ukraine einzurichten. „In der gleichen Sekunde werden wir sie als Teilnehmer des militärischen Konflikts betrachten“, sagte der russische Präsident. Jeder Schritt in eine solche Richtung werde als Intervention angesehen, der eine Bedrohung für die russischen Truppen darstelle, drohte Putin.
Seine Rede vor Aeroflot-Mitarbeiterinnen wurde im Fernsehen übertragen.
(Foto: by way of REUTERS)
Immerhin bremste Putin bei einem brisanten Thema: Die Voraussetzungen dafür, innerhalb von Russland Kriegsrecht auszurufen, sehe er nicht. Für eine solche Lage seien eine Aggression von außen oder Kämpfe in konkreten Regionen erforderlich, sagte Putin am Samstag nach Angaben russischer Agenturen in Moskau. Auch den Ausnahmezustand aircraft er nicht. Er trat damit Befürchtungen vieler Russen entgegen.
Der inhaftierte Kritiker der russischen Regierung, Alexej Nawalny, hat für diesen Sonntag zu weltweiten Protesten gegen den Krieg aufgerufen – auch in Russland. Solche Kundgebungen sind dort verboten.
Wirtschaftlicher Druck auf Russland
Die USA, die EU und andere westliche Companion hatten seit Kriegsbeginn harte Sanktionen gegen Russland verhängt. Nun kam ein weiterer Schlag der Privatwirtschaft hinzu: Die beiden weltgrößten Kreditkartenanbieter, Visa und Mastercard, setzten die Geschäfte mit Russland aus. Visa erklärte, man werde alle Transaktionen in den kommenden Tagen einstellen. Danach würden in Russland ausgestellte Karten nicht mehr im Ausland funktionieren. Mastercard äußerte sich ähnlich.
Beide Unternehmen hatten bereits vorher keine Transaktionen mehr für russische Banken abgewickelt, die von internationalen Sanktionen betroffen sind. Die russische Zentralbank erklärte, die Maßnahmen hätten keine Auswirkungen auf Kunden in Russland.
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Von der russischen Zentralbank hieß es in einer Mitteilung, alle von russischen Banken ausgestellten Visa- und Mastercard-Karten funktionierten in Russland bis zu ihrem Ablaufdatum weiter. Ihre Verwendung werde im nationalen Zahlungskartensystem verarbeitet, die Sanktionen beträfen diese nicht.
Zehntausende ukrainische Flüchtlinge in Deutschland
Immer mehr Menschen versuchen, vor den Kämpfen in der Ukraine ins Ausland zu fliehen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rechnet damit, dass an diesem Wochenende die Zahl von 1,5 Millionen Flüchtlingen erreicht wird. Bis zum Juli könnten es nach Schätzungen des UNHCR bis zu vier Millionen sein.
Bisher gelangten allein nach Polen rund 830.000 Geflüchtete, Zehntausende nach Deutschland. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte die Aufnahme der Menschen unabhängig von der Nationalität zu.
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„Wir wollen Leben retten. Das hängt nicht vom Go ab“, sagte Faeser der „Bild am Sonntag“. „Der allergrößte Teil der Geflüchteten sind Ukrainerinnen und Ukrainer. Menschen aus anderen Staaten, die in der Ukraine schon ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hatten, bringen diesen Standing mit.“
Sie nannte als Beispiel Inder, die in der Ukraine studiert haben. Die europäische Zusammenarbeit in der Versorgung der Flüchtlinge nannte Faeser „historisch“. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) forderte aber eine bessere Koordination innerhalb Deutschlands.
Mit Agenturmaterial.