Russische Desinformation ist auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnitten, von jungen Menschen bis hin zu politischen Gruppen. Osavuls Mitbegründer erklärt, wie man diese Taktiken erkennt.
Es handelt sich um die größte Investition in ein Unternehmen, das in Europa Desinformation aufdeckt. Das ukrainische Unternehmen Osavul erhielt 3 Millionen Dollar (2,78 Millionen Euro).
In seiner jüngsten Pressemitteilung stellt das Unternehmen seine drei europäischen Investoren vor: 42CAP, eine deutsche Risikokapitalgesellschaft, u.ventures, ein von der US-Regierung unterstützter Fonds, der ukrainische und moldawische Projekte mitfinanziert, und den SMRK Venture Capital Fund, der bereits im vergangenen Jahr bei der Mittelbeschaffung geholfen hat.
Osavuls Mitbegründer Dmytro Bilash hatte nie vor, im Sicherheitsbereich zu arbeiten. Er kommt aus der Geschäftswelt. Er analysierte Daten von Unternehmen, um Werbung zu erstellen. Im Jahr 2022 änderte sich alles. Russland startete seine groß angelegte Invasion in der Ukraine.
Bilashs Wohnung in Kiew wurde von zwei russischen Raketen zerstört. Er fühlte sich zum Handeln gezwungen und wollte helfen. Eine Bitte um Unterstützung seitens der ukrainischen Regierung führte zur Gründung von Osavul – einer Medienaufklärungsorganisation, die künstliche Intelligenz (KI) nutzt, um Desinformation aufzudecken und zu bekämpfen.
Was 2022 als kleines Projekt begann und später über Crowdfunding und Spenden finanziert wurde, ist mittlerweile an EU-geförderten und NATO-Projekten beteiligt und zieht Millionen an Fördergeldern ein. Osavuls Hauptsitz befindet sich mittlerweile in Delaware in den USA, wo weltweit 28 Spezialisten für sie arbeiten. Über 500 Analysten nutzen die Daten von Osavul.
Dmytro Bilash, Mitbegründer von Osavul, spricht mit Euronews über russische Desinformation. Er erklärt, warum sie in Deutschland so viel Anklang findet, und gibt Tipps, wie sich Fake News entlarven lassen.
Euronews: Warum haben Sie Osavul gegründet?
Bilash: Wir wollten helfen. Die groß angelegte Invasion hat das Leben aller Ukrainer verändert. Wir boten unsere Expertise als Analysten an und wurden schließlich von Regierungsvertretern angesprochen. Das Problem der Desinformation ist so massiv, dass kein privates Unternehmen – weder aus Europa noch aus den USA – mit dieser Masse an Fehl- und Desinformation fertig werden könnte. Vor der groß angelegten Invasion war das Ausmaß viel geringer. Wir versuchten, etwas zu entwickeln, das mit dieser modernen, neuen Bedrohung durch Desinformation fertig werden kann.
Ich habe vorher in der Werbung gearbeitet, was keinen Sinn ergab. Ich wollte etwas Sinnvolles machen, etwas, das notwendig war.
Euronews: Wie kamen Sie von der Werbung zur Analyse von Desinformation?
Bilash: Ja, das war das Problem. Es gab keine ideale Lösung. Wir wussten, wie man Daten analysiert, öffentlich verfügbare Daten, und wir haben dieses Wissen genutzt, um etwas zu entwickeln. Heute ist es eine ziemlich ausgereifte Technologie.
Euronews: Wie arbeiten Sie jetzt? Wie läuft eine solche Analyse ab?
Bilash: Dabei sind einige Schritte zu beachten. Wir sammeln Daten von Websites und aus offenen Quellen, beispielsweise mehr als 10 Millionen Nachrichten pro Tag. Unsere KI analysiert diese Daten, um wichtige Narrative, diskutierte Themen und geäußerte Meinungen von Medien, Unternehmen, politischen Organisationen oder Meinungsführern zu identifizieren.
Wenn Russland beispielsweise in einem europäischen Land eine Kampagne startet, um in Wahlen eingreifen oder indem wir wirtschaftliche Themen als Grundlage für Zwietracht in ganz Europa verwenden, können wir dies erkennen und die spezifischen Narrative hervorheben, die diesen Angriffen zugrunde liegen.
Wir nutzen hierfür drei Arten von Tools: Open Source Tools, kommerzielle Tools die zugekauft werden und eigene Tools.
Sobald das KI-Modell die Hauptgedanken und die Falschmeldungen herausgefiltert hat, müssen wir verstehen: Wer verbreitet diese Fehlinformationen? Ist es eine öffentliche Einrichtung, Propagandakanäle oder Websites? Welche Auswirkungen hat dies? Bleiben die Falschmeldungen in einem Kanal oder verbreiten sie sich weiter und erzeugen eine größere Echokammer?
Wir sammeln all diese Informationen und stellen sie den Entscheidungsträgern zur Verfügung. Was wir letztlich tun: Wir wollen den Entscheidungsträgern, den Gesetzgebern, den Sicherheitsbehörden die Informationen zur Verfügung stellen, damit sie letztlich Maßnahmen ergreifen können. Wenn Gesetze gebrochen werden, können sie dagegen vorgehen.
Euronews: Können Sie ein Beispiel für die wichtigsten Narrative der russischen Desinformation nennen?
Bilash: Es ist wichtig zu verstehen, dass Desinformationsmuster sehr stark von der Kultur und den Orten abhängen, an denen sie verbreitet werden. Die Muster werden angepasst.
Sie hängen daher von der Zielgruppe ab, die angesprochen werden soll: Junge Leute, rechts- oder linksgerichtete Menschen, russischsprachige oder deutschsprachige?
Eines der Hauptnarrative der russischen Desinformation besteht darin, dass die deutsche Wirtschaft schwächelt.
Ein Beispiel: Eine Möbelfirma geht pleite, dabei ist es egal, ob sie existiert oder nicht, es muss nur real wirken.
In Deutschland werden wahre Nachrichten oft in falsche Kontexte gestellt, um zu zeigen, dass die deutsche Wirtschaft oder der Staat schwächelt. Letztlich zielt Russland mit seiner Desinformation in Deutschland darauf ab, die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen.
Euronews: Warum ist Deutschland ein großes Ziel russischer Desinformationskampagnen?
Bilash: Ich sehe dafür mehrere Gründe. Erstens ist Deutschland ein wichtiges Land. Es ist die größte Volkswirtschaft Europas – das ist der offensichtliche Grund. Die große russischsprachige Gemeinschaft in Deutschland macht es für Russland einfacher, aber das ist nicht unbedingt notwendig.
Ein weiterer Grund ist, dass Telegram als Messaging-Dienst in Deutschland viel weiter verbreitet ist als in anderen westeuropäischen Ländern. Viele Falschinformationen werden über X verbreitet, TikTok Und Telegramm – Diese Medien scheinen weniger stark kontrolliert zu sein als Plattformen von Meta, wie etwa Facebook, Instagram oder WhatsApp.
Zudem kann Russland aufgrund der starken Verbindung zwischen Russland und Deutschland auf Strukturen zurückgreifen, die schon vor dem Krieg aufgebaut wurden. Je mehr in der Kultur auf Meinungsfreiheit Wert gelegt wird, desto mehr Nährboden bietet sich für Desinformation.
Euronews: Wie können „normale“ Menschen Desinformation erkennen?
Bilash: Wenn ich etwas in den sozialen Medien sehe, versuche ich, meine Gefühle zu verfolgen: Wenn ein Beitrag, ein Video ein sehr starkes Gefühl in mir auslöst, dann werde ich wachsam und frage mich: Warum? Das erste Warnsignal bei Fake News ist also, dass starke Gefühle ausgelöst werden. Das zweite ist: der Absender, die Quelle. Woher habe ich die Informationen? Von einem Freund, dem ich vertraue oder stammen die Informationen von einem beliebigen X-Account, der normalerweise Katzen- und Hundevideos postet und plötzlich eine starke politische Meinung vertritt. Manchmal reicht so etwas aus, um zu verstehen, dass etwas nicht vollständig vertrauenswürdig ist.
Und natürlich steigert Desinformation den Wert guten Journalismus, da sie es einfacher macht, Desinformation zu entlarven und zu überprüfen.
Euronews: Gibt es russische Desinformationsnarrative, die in der Ukraine expliziter verbreitet werden?
Bilash: In der Ukraine selbst ist die Situation etwas anders als in Europa oder dem Rest der Welt. Die Ukrainer sind allgemein viel wachsamer geworden.
Die Strategien sind dabei oft sehr eng mit militärischen Ereignissen verknüpft. Das heißt, dass Russland „Eroberungen“ und militärische Siege viel größer macht, als sie sind, es bauscht sie auf.
Wenn beispielsweise ein Dorf nahe der Frontlinie unter russische Kontrolle gelangt, existiert es möglicherweise nicht mehr oder es leben dort keine Menschen mehr. Die russische Propaganda feiert dies als großen Sieg der russischen Armee. Das Ziel solcher Kampagnen ist es, das Einheitsgefühl der Ukrainer zu zerstören – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Ukraine. Die gegenseitige Unterstützung unter ihnen zu schwächen und zu destabilisieren.
Euronews: Gibt es eine gemeinsame Strategie, die Russland für seine Desinformationskampagnen verwendet?
Bilash: Wenn die russische Propaganda von einer nuklearen Bedrohung spricht, ist das ein Zeichen – entweder für die Bevölkerung im Land oder für die internationale Gemeinschaft. Man erinnere sich an die Bombardierung der Entbindungsklinik in Mariupol. Dort wurde etwas verwendet, was wir „Informationsalibi“ nennen.
Schon vor dem Angriff wurde die Information verbreitet, dass sich im Krankenhaus ein ukrainisches Bataillon befinde. Als der Angriff stattfand, war die Desinformationskampagne leichter zu verbreiten, da die Falschinformation über das Bataillon im Krankenhaus bereits bekannt war und der angebliche Grund für den Angriff bereits feststand.
Die Wahrheit zu verbreiten ist einfach: Etwas ist passiert, man meldet es. Wenn man versucht, eine bestimmte falsche Erzählung zu verbreiten, muss man dabei bleiben, man muss sie vorbereiten. Es ist wie eine Maschine, in die Ressourcen geleitet werden, um diese falschen Erzählungen zu verbreiten.