Berlin Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft in Deutschland (GdW) hat die am Mittwoch von der EU-Kommission vorgelegte Gebäuderichtlinie scharf kritisiert. „Eine faktische Sofort-Verdopplung der Sanierungsrate ist unter den aktuellen Bedingungen von knappen Handwerkskapazitäten sowie angesichts von Materialmangel und -verteuerung absolut realitätsfern“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko.
Auch der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft (ZIA) warnte davor, die Branche zu überfordern. Das Ziel des klimaneutralen Gebäudebestands sei nur zu erreichen, wenn ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stünden und Baumaterialien in genügender Menge und zu bezahlbaren Preisen vorhanden seien. Die Herausforderungen seien gewaltig.
Gebäude sind eine der größten Treibhausgas-Quellen in der EU. Mit der Richtlinie will die Kommission den Klimaschutz bei Gebäuden beschleunigen und schlägt dafür vor allem Mindesteffizienzstandards vor. Das Handelsblatt hatte bereits am Morgen über die Pläne berichtet.
Bis spätestens 2030 soll kein Gebäude mehr der schlechtesten Effizienzklasse G angehören. In diese Klasse will die Kommission 15 Prozent des Gebäudebestands eingruppieren, das entspricht nach GdW-Angaben drei Millionen Gebäuden in Deutschland. Daraus wiederum errechnet der Verband eine notwendige Sanierungsrate von zwei Prozent. Diese liegt derzeit bei rund einem Prozent.
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Es ist geradezu ein Dilemma: Einer notwendigen kurzfristigen Verdoppelung der Sanierungsrate infolge der Richtlinie und später weiteren Erhöhungen stünden sehr knappe Handwerkskapazitäten im Weg, sagte Gedaschko. „Wenn die Sanierungsrate allerdings nicht schnell erhöht werden kann, entsteht hier in wenigen Jahren ein echter Sanierungsstau.“
Der zunehmende Nachfragedruck werde die Preise zudem weiter hochtreiben, warnte Gedaschko. Die Wohnungsunternehmen würden bei den notwendigen Investitionen dann unter starken Druck geraten, da neben der Modernisierung der Gebäude mit dem höchsten Energieverbrauch kaum noch Mittel für den Wohnungsbestand und -neubau da sein würden.
Kritik gibt es auch daran, dass die Kommission nur Einzelgebäude in den Fokus nimmt. „Der Blick fürs Ganze fehlt“, meint die Wohnungswirtschaft und lobt die Ampelregierung in Deutschland: Im Gegensatz zur EU-Richtlinie sehe der Koalitionsvertrag Quartiersansätze vor.
75 Prozent des Gebäudebestands in der EU gelten als energetisch ineffizient
Der Druck ist enorm: Etwa 75 Prozent des derzeitigen Gebäudebestands innerhalb der EU gelten als energetisch ineffizient. Trotzdem muss die Kommission aufpassen, dass die Wohnkosten wegen der Renovierungen nicht in astronomische Höhen steigen.
„Für eine wirtschaftliche und sozialverträgliche Energiewende beim Wohnen gilt: Es muss gefördert werden, was gefordert wird“, sagte GdW-Präsident Gedaschko. „Wenn man Mindesteffizienzstandards einführt, muss es deshalb gleichzeitig einen Rechtsanspruch auf Förderung geben.“
Eigentümern, die kein Eigenkapital besäßen, müsse der Staat eine Lösung anbieten, damit sie sanieren könnten, ohne ihr Eigentum zu verlieren.
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Auch die Bauingenieurin und Professorin Lamia Messari-Becker kritisierte, die EU bleibe „leider hinter der Forschung, der Praxis und auch den Möglichkeiten zurück“. Der Fokus auf Einzelgebäude und eindimensionale Effizienzgedanken sei „nicht zielführend“, sagte sie dem Handelsblatt. Denn Quartiere könnten mehr. Hier ließen sich Maßnahmen „gemeinsam, sozialverträglicher, technisch innovativer und am Ende auch ökologischer realisieren“.
Sie charge der Bundesregierung, „dringend die Empfehlungen mit Blick auf soziale Aspekte, eine überalterte Gesellschaft, Baukapazitäten und andere Vorgaben mit direkten Folgen für Eigentümer und Mieter auszutarieren, um die Menschen in ihrer jeweiligen Scenario mitzunehmen“.
Der CDU-Wirtschaftspolitiker und Europaparlamentarier Markus Pieper kritisierte, der Kommissionsvorschlag laufe auf „Doppelbelastungen hinaus“. Denn schreibe man energetische Requirements für alle Gebäude vor und nehme den Sektor zugleich in das europäische Emissionshandelssystem auf, verteuere sich Wohnen gleich mehrfach.
„Wenn man richtigerweise auf den Emissionshandel setzt, dann sollte auf detaillierte Renovierungszwänge verzichtet werden“, so der CDU-Politiker. Stattdessen sollte man die Einnahmen aus dem Emissionshandel nutzen, um mit daraus finanzierten Ausschreibungen Gebäude mit den niedrigsten Effizienzstandards zu fördern, die innerhalb gewisser Fristen zu sanieren seien.
Lob von den Grünen
Jutta Paulus, die für die Grünen im Industrie- und im Umweltausschuss des Europaparlaments sitzt, befürwortete den Vorschlag dagegen: „Es ist intestine, dass die EU-Kommission endlich klare Vorgaben für die Modernisierung der ineffizientesten Gebäude macht. Die Zukunft liegt in energieeffizienten, nachhaltig gebauten Gebäuden, die ihren Energiebedarf direkt aus dezentralen erneuerbaren Energien decken.“
Für den Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) bedeutet das Renovierungsvorhaben der Kommission potenziell prall gefüllte Auftragsbücher. „Allerdings muss noch nachgeschärft werden, damit Handwerksbetriebe ihre Chancen auch nutzen können“, sagte Generalsekretär Holger Schwannecke und forderte: „Wir brauchen ein klar formuliertes Bekenntnis dazu, dass Handwerkerinnen und Handwerker auch künftig unabhängig Energieausweise ausstellen können. Die Ausweise dürfen zudem nicht mit Kennzahlen überfrachtet werden, sondern sollten nur relevante Informationen dazu enthalten, wie Haus oder Wohnung energieeffizienter gemacht werden können.“
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