Berlin Unternehmensvorstände in Deutschland sind weiblicher geworden – auch wenn die gesetzliche Mindestbesetzung für Frauen erst ab August dieses Jahres greift. In den 200 umsatzstärksten Unternehmen gab es im vierten Quartal vergangenen Jahres 139 Vorständinnen – 38 mehr als ein Jahr zuvor, zeigt das aktuelle Managerinnen-Barometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Wrohlich und ihre Kolleginnen Virginia Sondergeld vom DIW und Anja Kirsch von der FU Berlin sehen hier bereits „Antizipationseffekte“ der gesetzlichen Mindestbeteiligung. Ab August muss in börsennotierten Unternehmen, die einen Aufsichtsrat mit paritätischer Mitbestimmung und mindestens vier Vorstandsposten haben, wenigstens eine Frau im Vorstand sitzen.
Derzeit sind von dieser Regelung 66 Unternehmen betroffen. Zwölf von ihnen, die im Herbst 2020 noch eine ausschließlich mit Männern besetzte Führungsriege aufwiesen, haben ein Jahr später eine Frau im Vorstand. 19 Firmen erfüllen die ab August geltende Mindestbeteiligung noch nicht. Die übrigen Unternehmen hatten schon vor dem Herbst 2020 mindestens ein weibliches Vorstandsmitglied.
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Die neue Geschlechterquote scheine dennoch „ein effektives Instrument zu sein, um den Frauenanteil in Spitzengremien zu erhöhen“, betonte Sondergeld. Denn während Unternehmen, die der gesetzlichen Regelung unterliegen, ihren Frauenanteil in den Vorständen binnen eines Jahres um rund fünf Prozentpunkte auf 19 Prozent erhöhten, stieg der Anteil in den übrigen Firmen lediglich um knapp drei Prozentpunkte auf rund 14 Prozent. Über alle Prime-200-Unternehmen hinweg liegt der Frauenanteil in den Vorständen bei 14,7 Prozent, in den 40 Dax-Konzernen sind es 17,5 Prozent.
Frauenquote bringt Erfolge
Wirkung habe auch die Geschlechterquote für die Aufsichtsräte gezeigt. In den Kontrollgremien börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen müssen seit 2016 mindestens 30 Prozent weibliche Mitglieder sitzen. In den Unternehmen, in denen die Regelung gilt, liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten mittlerweile bei 35 Prozent. In den Firmen ohne Quote beträgt der Anteil dagegen nur 27 Prozent.
Ende vergangenen Jahres knackten die 200 umsatzstärksten Unternehmen erstmals die Schwelle von 30 Prozent weiblichen Aufsichtsratsmitgliedern. Allerdings hat die Dynamik bei der Besetzung der Kontrollgremien mit Frauen zuletzt etwas nachgelassen. Auch an der Spitze der Aufsichtsräte tut sich wenig: Wurden in den Prime-200-Unternehmen Ende 2020 nur acht von einer Frau geführt, so waren es ein Jahr später zehn.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehen die Forscherinnen noch Nachholbedarf in Deutschland. Die Reichweite der deutschen Quotenregelungen sei im europäischen Vergleich „sehr schmal“, sagte DIW-Forscherin Wrohlich. In neun der 27 EU-Staaten gibt es gesetzliche Regelungen für eine Mindestbeteiligung von Frauen in Führungspositionen.
In vielen dieser Länder gelten Quoten aber in allen börsennotierten Firmen oder ab einer bestimmten Unternehmensgröße, während der Kreis der betroffenen Unternehmen hierzulande durch das zusätzliche Kriterium der paritätischen Mitbestimmung vergleichsweise klein sei.
Wrohlich und ihre Kolleginnen befürworten deshalb, dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen jetzt gemeinsam mit der französischen Ratspräsidentschaft eine seit quick zehn Jahren auf Eis liegende Initiative für eine europäische Frauenquote wieder anschieben will. Sollte dadurch beispielsweise der Kreis der einer Quotenregelung unterworfenen Firmen auch in Deutschland steigen, wäre dies zu begrüßen.
Quote allein reicht nicht
Neben Quotenregelungen seien aber „weitere flankierende Maßnahmen vor allem in der Familienpolitik“ erforderlich, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, betonte Wrohlich. Dazu gehöre beispielsweise eine Ausweitung der Vätermonate beim Elterngeld oder eine Reform des Ehegattensplittings.
Dass Unternehmen im Vorgriff auf die ab August geltende Mindestbesetzung in Vorständen ihre Führungsgremien verkleinern, um so die gesetzliche Regelung auszuhebeln, haben die Forscherinnen bisher nicht beobachtet. Im Gegenteil, viele Unternehmen hätten zusätzliche Vorstandsposten geschaffen, beispielsweise für Digitales.
Auch sehen die Wissenschaftlerinnen keine Hinweise dafür, dass es nicht ausreichend qualifizierte Frauen für eine Mindestbesetzung in den Vorständen geben könne. So habe das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gerade erst gezeigt, dass es auf der zweiten Führungsebene durchaus einen hohen Frauenanteil gebe – und damit auch ein Reservoir, aus dem sich Kandidatinnen für Toppositionen schöpfen ließen.
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