In einem Gefängnis in Russland sind mehrere Häftlinge aus ihren Zellen ausgebrochen, die Männer nahmen Geiseln. Am Ende gibt es Tote.
In einer Justizvollzugsanstalt in Rostow am Don (Russland) sind am Sonntag sechs Häftlinge aus ihren Zellen ausgebrochen. Im Innenhof nahmen die Männer zwei Mitarbeiter des Gefängnisses als Geiseln, berichtet das russische Staatsmedium „Tass“.
Kräfte der Russischen Nationalgarde und eine Spezialeinheit des russischen Justizvollzugs stürmten das Gefängnis und töteten dem Bericht zufolge alle am Ausbruch beteiligten Insassen, wodurch die Geiseln befreit wurden. Allerdings zeigen Videos, die in verschiedenen sozialen Netzwerken, insbesondere von Söldnergruppen, geteilt wurden, dass bei dem Zugriff offensichtlich auch Menschen zu Tode kamen, welche die Hände hinter dem Rücken gefesselt hatten. Ob es sich bei ihnen um Geiselnehmer oder Geiseln handelt – unklar.
Russische Staatsmedien behaupteten, die Häftlinge hätten Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) gehabt oder seien wegen Terrorismusvorwürfen verurteilt worden. Der Islamische Staat ist eine islamistische Terrorgruppe, die das Ziel verfolgt, einen weltweiten muslimischen Staat zu etablieren. Bislang konnte die in den USA ansässige Denkfabrik „The Institute for the Study of War“ (ISW), weder die Identität noch die Zugehörigkeit dieser Gefangenen zum IS überprüfen, ebenso, ob der IS den Gefängnisausbruch unterstützt hat. Eine Recherche von t-online legt nahe, dass die Getöteten wohl nicht an dem Angriff auf die „Crocus City Hall“ beteiligt waren. Eine endgültige Bestätigung liegt bisher aber nicht vor.
Der Vorfall hat zu Beschwerden russischer ultranationalistischer Militärblogger geführt. Sie warfen Russland Unfähigkeit vor, nach dem Terroranschlag am 22. März auf die Stadthalle in Crocus bei Moskau, bei dem 130 Menschen starben, gegen den islamistischen Extremismus im Land vorzugehen. Damals reklamierte der IS den Anschlag im Nachgang für sich. Mehr dazu lesen Sie hier.
Die Militärblogger konzentrierten sich in ihren Beiträgen vorwiegend auf die Geiselnahme in der Haftanstalt, um die wahrgenommene Verbreitung des islamistischen Extremismus in Russland und im russischen Strafvollzugssystem zu bemängeln. Sie verbreiteten auch die angeblichen Identitäten, Zugehörigkeiten und Anklagen jedes einzelnen Gefangenen sowie Filmmaterial, das die Inhaftierten mit IS-Flagge, IS-Utensilien und Messern in der Haftanstalt gezeigt haben soll. Die Echtheit dieser Informationen und Bilder ließ sich bis zuletzt nicht unabhängig überprüfen.
Die Ultranationalisten beklagten zudem, dass die Behörden nicht hart genug gegen extremistische Gruppen vorgehen würden – das bei verwendeten sie rassistische Rhetorik. Darüber hinaus beschwerten sich die Blogger, dass die Justizvollzugsanstalt es Gefangenen erlaubte, ihrem religiösen Glauben entsprechend einen Bart zu tragen und wiesen darauf hin, dass der Vorfall für einen muslimischen Feiertag geplant war: Am 16. Juni wird das Eid al-Adha-Fest begangen. Es ist neben dem Fest zum Ende des Ramadan die wichtigste Feierlichkeit im Islam und erinnert an die Bereitschaft von Stammvater Abraham, einen Sohn zu opfern, um Gott seinen Glauben zu bezeugen.
Auf der Beschwerdeliste der Blogger steht außerdem die fehlende Sicherheit in dem Gefängnis, wodurch der Ausbruch möglich gewesen sei. Der angeblich schlechte Allgemeinzustand des Strafvollzugssystems ist den Bloggern ebenfalls ein Dorn im Auge.
Dafür machten sie Reformen verantwortlich, die Mitte der 2000er Jahre unter dem damaligen Präsidenten, Dmitri Medwedew, umgesetzt wurden. Nicht zuletzt sei die Situation in den Gefängnissen auch ein Ergebnis der schlechten Bezahlung. Mitarbeiter im Strafvollzugsdienst würden nicht angemessen entlohnt.
Der Kreml versuchte unterdessen, den Eindruck zu erwecken, er gehe seit dem Anschlag in der „Crocus City Hall“ hart gegen inländischen Extremismus vor. Dem widersprechen verschiedene Medienberichte. So schrieb das russische oppositionelle Portal „Baza“, dass die Gefangenen den Ausbruch über Monate hinweg geplant haben sollen. Außerdem hätten sie mit Akteuren des IS in Verbindung gestanden, die unter anderem Waffen und Kommunikationsgeräte zu den Gefangenen ins Gefängnis schmuggelten.
Das oppositionelle Portal „Verstka“ berichtete, dass es Hinweise auf eine Überbelegung in dem Gefängnis gegeben hatte, allerdings hätten Untersuchungen diesbezüglich angeblich keine Verstöße festgestellt.
Einige russische Beamte scheinen damit zufrieden zu sein, diese Situation kurzfristig herunterzuspielen, schreibt das ISW. Der Denkfabrik verwies weiter darauf, dass der Kreml den Vorfall vom 16. Juni nutzen könnte, um weiterhin die Notwendigkeit zu konstruieren, im Inland hart gegen jeden Extremismus vorzugehen. Gleichzeitig könnte der Vorfall zur Verschleierung des Sicherheitsversagens des russischen Staates dienen.