Frankfurt Die Ampelkoalition will die non-public Altersvorsorge „grundlegend reformieren“, heißt es im Koalitionsvertrag. Handlungsbedarf gibt es vor allem bei der staatlich geförderten Riester-Rente, die in der Vergangenheit häufig in Kind einer Lebensversicherung abgeschlossen wurde.
Viele Deutsche sorgen immer noch nicht privat fürs Alter vor. Laut Bundesarbeitsministerium gab es zum Ende des dritten Quartals nur 16,2 Millionen Riester-Verträge. Hinzu kommt, dass niedrige Zinsen und die steigende Inflation viele Altersvorsorgeprodukte zunehmend unattraktiv machen.
Carsten Zielke, Geschäftsführer des unabhängigen Beratungshauses Zielke Analysis Seek the advice of, hat daher zwei zentrale Forderungen an die neue Bundesregierung. Sie soll den Verrentungszwang bei der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge abschaffen und die „angestaubte“ Rechnungslegung nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) bei den Versicherern durch die internationalen IFRS-Vorschriften ersetzen. Zielke ist vor allem bekannt für seine Lebensversicherer-Studie, die er regelmäßig mit dem Bund der Versicherten (BdV) vorstellt.
Ein Kernproblem der Riester-Produkte: Sie sehen vor, das Kapital zu erhalten und zu verrenten. Versicherer müssen das Geld daher überwiegend in festverzinsliche Papiere investieren. Nach Berechnungen von Zielke bekommen Verbraucher bei Riester-Verträgen im Schnitt für 100 eingezahlte Euro nur 110,30 Euro zurück. Bei jährlich 100 eingezahlten Euro ergebe sich nach 35 Jahren ein Kapital von 4820,63 Euro. Tatsächlich bleibe aber bei zwei Prozent Inflation ein Realwert von nur 2410,45 Euro übrig.
Prime-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
„Damit die Versicherer die Kundengelder stärker am Kapitalmarkt anlegen und eine angemessenere Rendite erzielen können, sollte die Regierung den Verrentungszwang aufheben und den Auszahlungsplan bis zum 85. Lebensjahr festlegen“, sagt Zielke. Nach dem 85. Lebensjahr solle dann die Gemeinschaft mit Steuergeldern aufkommen, so seine Idee.
Versicherer stellen lebenslange Rente als Vorteil dar
Die Versicherer stellen die lebenslange Rente dagegen als den zentralen Vorteil von Lebens- und Rentenversicherungen dar. „Eine sichere Altersvorsorge muss ein Leben lang reichen. Daher hat der Gesetzgeber bei Einführung der Riester-Rente sinnvollerweise eine lebenslange Verrentung des Kapitals vorgeschrieben“, sagte ein Sprecher des Branchenverbands GDV dem Handelsblatt.
Zudem sei bei der Riester-Rente eine Kapitalauszahlung möglich: „Versicherte können sich zu Rentenbeginn bis zu 30 Prozent des vorhandenen Kapitals auszahlen lassen, ohne die staatliche Förderung zu verlieren.“
Allerdings, so Zielke, gingen die Versicherer bei ihrer Kalkulation der Verträge von einer sehr hohen Lebenserwartung aus. Demnach rechnet die Branche bei Riester-Renten-Beziehern von einer Lebenserwartung von 93 Jahren – trotz einer tatsächlichen Lebenserwartung von 76,6 Jahren bei Männern und 83,4 Jahren bei Frauen.
Zielke kritisiert dabei, dass die Lebenserwartung in Deutschland ausschließlich von der Versicherungsindustrie berechnet werde. In anderen Ländern wie Australien, Großbritannien, den Niederlanden und den USA habe sich dagegen ein Zweitmarkt für die Absicherung von Langlebigkeitsrisiken entwickelt. Die Anbieter könnten schneller auf Änderungen in der Sterblichkeit, wie sie sich möglicherweise auch durch die Pandemie ergeben, reagieren.
Wer bereits einen Riester-Vertrag abgeschlossen hat, soll Zielke zufolge künftig wählen können. Kunden, die die lebenslange Rente wünschen, sollten diese auch bekommen. Allein der Zwang zur Verrentung solle aufgegeben werden.
Von einer Abschaffung des Verrentungszwangs könnten laut Zielke auch die Versicherer selbst profitieren. Zwar sei davon auszugehen, dass sich der Wettbewerb erhöht, da auch Banken und Vermögensverwalter verstärkt geförderte Altersvorsorgeprodukte anbieten könnten.
Lebensversicherer würden auf der Kapitalseite entlastet werden
Die Lebensversicherer würden aber stark auf der Kapitalseite entlastet werden. Die Solvenzquote, die angibt, inwiefern die Versicherer ihre Leistungsversprechen auch in Krisenzeiten einhalten können, würde sich nach Berechnungen Zielkes um den Faktor 1,6 bis 2,0 verbessern.
Würde man zusätzlich die HGB-Rechnungslegung wie in den meisten EU-Ländern durch die ökonomischere IFRS-Rechnungslegung ersetzen, ermögliche das den Versicherern, mehr in Realwerte wie Aktien zu investieren.
Denn bei Anwendung der HGB-Regeln müssen die Versicherer die Riester-Verträge mit historischen Zinssätzen kalkulieren, die sich im heutigen Umfeld nicht mehr rechtfertigen. Das belastet die Bilanz und schränkt die Handlungsmöglichkeiten ein. Bei IFRS dagegen wird mit dem realistisch zu erwirtschaftenden Zins gerechnet.
Der GDV setzt bei einer Reform der Riester-Rente vor allem darauf, dass die Förderung vereinfacht und die Beitragsgarantie von bisher hundert Prozent gelockert wird. Denn insbesondere mit der Absenkung des Höchstrechnungszinses auf 0,25 Prozent ab Januar 2022 können die Versicherer Riester-Produkte nicht mehr kostendeckend kalkulieren – viele ziehen sich daher aus dem Geschäft zurück.
Was die neue Bundesregierung genau umsetzen wird, ist offen. Laut Koalitionsvertrag will sie die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester prüfen. Auch ein öffentlich verantworteter Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit soll geprüft werden. Nicht nur die Versicherer stehen einem solchen Produkt skeptisch gegenüber. Auch Zielke präferiert eine privatwirtschaftliche Lösung.
Mehr: Weniger Garantien, mehr Risiko: Wie sich die Lebensversicherer in der Not neu erfinden