Bangkok Die Folgen der Ukrainekrise reichen weit über Europa hinaus: In Asien droht die Eskalation im Donbass einen Keil zwischen die westlichen Staaten und einen ihrer wichtigsten Accomplice zu treiben. Indien weigert sich vehement, das Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu verurteilen.
Damit stellt das Land die Indo-Pazifik-Strategie des Westens vor eine große Belastungsprobe. Sowohl die EU als auch die USA müssen sich fragen, ob auf die Regierung in Neu-Delhi wirklich Verlass ist.
Offensichtlich wurden die gravierenden Meinungsunterschiede zwischen dem Westen und Indien, das die Europäer und Amerikaner zuletzt als zentralen Mitstreiter in Asien sahen, in der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats: Der Vertreter des indischen Außenministeriums drückte lediglich seine Besorgnis über die „Spannungen an der russisch-ukrainischen Grenze“ aus. Russlands Entscheidung, Truppen in die von Separatisten kontrollierten Gebiete Donezk und Luhansk zu entsenden, ließ er unerwähnt. Auch eine Forderung nach der territorialen Unversehrtheit der Ukraine battle von ihm nicht zu hören.
Indien setzte sich damit klar von anderen westlichen Verbündeten im Indo-Pazifik-Raum ab. Sowohl Japan als auch Australien warfen Russland vor, die Souveränität der Ukraine rechtswidrig zu verletzen. Sie kündigten eine harte Reaktion auf Russlands Anerkennung von Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten an.
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Japan und Australien bilden zusammen mit den USA und Indien den sicherheitspolitisch ausgerichteten Zusammenschluss Quad. Unter dessen Dach wollen die vier Mitglieder einen Gegenpol zu Chinas wachsendem Einfluss bilden.
Indien pflegt enge Beziehung zu Russland
Dass Indien aus der Gruppe der vermeintlich Gleichgesinnten nun ausschert, fällt in den USA auf. „Indien ist der einzige Quad-Teilnehmer, der das russische Fehlverhalten duldet“, kommentiert Derek J. Grossman, Indo-Pazifik-Experte der US-Denkfabrik Rand Company. „Das gibt kein gutes Bild ab“, fügt er hinzu.
Indiens Absage an ein gemeinsames Vorgehen mit dem Westen in der Ukrainekrise ist die Folge einer jahrzehntealten außenpolitischen Doktrin, nach der sich das Land aus internationalen Konflikten möglichst herauszuhalten versucht – und einer traditionell engen Beziehung mit Russland.
Noch Anfang Dezember besuchte Kremlchef Putin seinen indischen Amtskollegen Narendra Modi in Neu-Delhi und betonte: „Wir betrachten Indien als eine Großmacht, eine freundliche Nation und einen bewährten Freund.“ Dieser erwiderte, die Freundschaft zwischen Indien und Russland sei trotz grundlegender geopolitischer Veränderungen immer eine Konstante geblieben. Während der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze längst begonnen hatte, beteuerten die beiden Länder ihre „besonders privilegierte strategische Partnerschaft“.
So berichtet das Handelsblatt über die Entwicklungen in der Ukrainekrise:
Besonders konkret wird die russisch-indische Partnerschaft in Rüstungsgeschäften. Deutlich mehr als die Hälfte der indischen Militärausrüstung stammt aus Russland. Seit 1991 lieferten russische Rüstungskonzerne Waffen im Wert von 70 Milliarden US-Greenback auf den Subkontinent. Im vergangenen Jahr begann Russland mit der Auslieferung des russischen Raketenabwehrsystems S-400, für das Indien 5,4 Milliarden Greenback ausgibt.
Indien ist Großkunde für das Raketenabwehrsystem.
(Foto: dpa)
Der 2018 abgeschlossene Rüstungsdeal hatte in den USA für große Verärgerung gesorgt. Sowohl die Regierung des früheren Präsidenten Donald Trump als auch dessen Nachfolger Joe Biden stellten wegen des Geschäfts Sanktionen gegen Indien in Aussicht.
Zuvor hatten die USA die Türkei bereits wegen des Kaufs des gleichen Raketenabwehrsystems mit Strafmaßnahmen belegt.
Ein schwer aufzulösendes Dilemma
Im Fall Indiens haben die Amerikaner ihre Drohungen bisher aber nicht wahrgemacht. Die Regierung in Washington signalisierte damit, wie wichtig ihr die guten Beziehungen mit Indien angesichts der gemeinsamen Rivalität mit China sind. Sollte sich der Konflikt um die Ukraine weiter zuspitzen, dürfte der Druck auf Indien steigen, sich zwischen den beiden Partnern Russland und Amerika zu entscheiden.
Manjari Chatterjee Miller, die Internationale Beziehungen an der Universität Boston lehrt, sieht das Land vor einem schwer aufzulösenden Dilemma: „Wenn es Moskau kritisiert, wird Indien einen wichtigen historischen Freund vor den Kopf stoßen und Russland näher an China treiben“, meint sie. Wenn Neu-Delhi hingegen die Regierung in Moskau unterstütze, werde das Land „seine Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, einem neueren, aber äußerst wertvollen strategischen Accomplice, beschädigen“. Sich gar nicht zu äußern sei ebenfalls keine gute Possibility, da Indien damit riskiere, beide Seiten zu verärgern und als unzuverlässiger Accomplice zu gelten.
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Auch Sushant Sareen, Ökonom bei der indischen Denkfabrik Observer Analysis Basis, hält schwierige Entscheidungen für unausweichlich: „Früher oder später werden wir uns in die eine oder andere Richtung bewegen müssen und mit den Konsequenzen leben.“ Mit dem Westen habe Indien zwar viel gemeinsam. Er frage sich aber, ob die westlichen Staaten tatsächlich zuverlässig seien.
Zu den Gründen, weshalb sich Indien nicht ohne Weiteres hinter die Außenpolitik der EU und der USA stellen möchte, gehört nämlich auch die indische Wahrnehmung, mit eigenen Problemen in der Nachbarschaft oftmals alleingelassen zu werden – etwa mit Blick auf die Auseinandersetzungen mit Pakistan. Aber auch bei den tödlichen Zusammenstößen im Grenzkonflikt mit China im Jahr 2020 hätte sich die Regierung in Neu-Delhi mehr Unterstützung gewünscht, weiß die Indienexpertin der Denkfabrik Brookings, Tanvi Madan. „Von den Europäern battle damals nicht viel zu hören – wegen deren eigener Abhängigkeit von China.“
Anders als im Ukrainekonflikt verfolgt die indische Regierung in der anhaltenden Auseinandersetzung mit China über die Grenzziehung im Himalaja eine eindeutige Place, die Außenminister Subrahmanyam Jaishankar diese Woche bei einem Besuch in Paris bekräftigte: „Uns ist absolut klar, dass wir keiner Änderung des Established order zustimmen werden.“
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