Frankfurt In der Gesundheitspolitik dreht sich derzeit alles um die Coronapandemie. Mit Blick auf die effektiven Gesundheitsbelastungen allerdings spielen andere Krankheiten nach wie vor eine weitaus gewichtigere Rolle.
So gab es in Deutschland neben den 112.000 Covid-Todesfällen in den vergangenen beiden Jahren weitere rund 1,9 Millionen Sterbefälle aufgrund anderer Ursachen, darunter an vorderster Stelle Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die für ein Drittel aller Sterbefälle verantwortlich sind.
Krebs folgt mit schätzungsweise rund 460.000 Sterbefällen seit Anfang 2020 an zweiter Stelle der Todesursachen. Im Jahr 2020 allein starben nach Daten des Statistischen Bundesamts rund 231.000 Menschen an „bösartigen Neubildungen“, das entsprach 23,5 Prozent aller Sterbefälle. Etwa 500.000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich neu an Krebs.
Gemessen an der verlorenen Lebenszeit und -qualität ist die Belastung durch Krebs sogar noch höher einzustufen, als es die reinen Sterbezahlen nahelegen. Denn die Therapie ist mit vielen Nebenwirkungen verbunden, und Krebspatienten sterben vergleichsweise jung.
Im Jahr 2019 erlagen in Deutschland rund 7000 Menschen einem Krebsleiden, bevor sie das 50. Lebensjahr erreicht hatten. Quick 800 Krebsopfer waren jünger als 30 Jahre. Krebs ist damit die mit Abstand wichtigste krankheitsbedingte Todesursache bei jungen Menschen.
Insgesamt intestine ein Viertel der Krebstodesfälle entfiel zuletzt auf Personen, die jünger als 70 Jahre alt waren. Das durchschnittliche Sterbealter bei Krebserkrankungen liegt nach letzten verfügbaren Daten bei etwa 74 Jahren.
Im Schnitt sterben Krebspatienten damit etwa vier bis fünf Jahre früher als Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und schätzungsweise sieben bis acht Jahre früher als ein durchschnittlicher Covidpatient.
Einer Studie des Robert Koch-Instituts zufolge hat die Coronapandemie im Jahr 2020 in Deutschland rund 305.000 Lebensjahre gekostet. Grundlage für die Berechnung waren dabei rund 31.600 Sterbefälle mit Covid-19 als Haupttodesursache und die Annahme, dass jede dieser Personen im Mittel etwa 9,6 Lebensjahre verloren hat.
Für die Restlebenserwartung wurde dabei in Anlehnung an internationale Berechnungsmethoden „die maximale Lebenserwartung zugrunde gelegt, die in einem der 16 Bundesländer im Alter des Todes basierend auf den Sterbetafeln 2016/2018 des Statistischen Bundesamts gemessen wurde“. Diese dürfte sich demnach im Schnitt bei etwa 91 Jahren bewegen.
Gemessen an diesem Maßstab errechnet sich aus den mehr als 230.000 Krebstodesfällen in Deutschland ein Verlust von quick vier Millionen Lebensjahren professional Jahr, wobei Einbußen an Lebensqualität durch Therapien und Erkrankungen nicht einmal berücksichtigt sind. De facto verursacht Krebs damit jedes Jahr eine Krankheitslast, die an Worst-Case-Corona-Szenarien heranreicht.
Die meisten Krebspatienten sterben an Lungenkrebs
Auch weltweit sind Krebserkrankungen eine enorme Bürde. Das zeigen etwa die jüngsten Analysen im Rahmen der International-Burden-of-Illness-Studie, einer von der WHO und der Harvard Universität initiierten Studie zur Erfassung von globalen Krankheitsdaten. Danach gehen derzeit weltweit professional Jahr rund 250 Millionen gesunde Lebensjahre (disease-adjusted life years, DALY) als Folge von Krebserkrankungen verloren.
Knapp ein Viertel davon durch Lungenkrebs, rund zehn Prozent durch Darmkrebs. Auch auf globaler Ebene ist Krebs ist damit inzwischen zweitgrößter Belastungsfaktor für die Gesundheit. Seit 2010 hat sich danach der jährliche Verlust an Lebensjahren um 16 Prozent erhöht.
Die jüngst von Wissenschaftlern der Washington College in der Fachzeitschrift „Jama Oncology“ veröffentlichte Analyse vermittelt allerdings auch einige optimistic Signale: Die altersstandardisierte Krebsinzidenz ist danach zwischen 2010 und 2019 nicht mehr weiter gewachsen, die Sterblichkeitsrate hat sich um 5,9 Prozent verringert. Das veranlasse zu vorsichtigem Optimismus, dass man Fortschritte in der frühen Diagnose und der Behandlung gemacht habe, schreiben die Autoren. Allerdings konzentrierten sich diese Verbesserungen vor allem auf einkommensstarke Länder.
In Deutschland sanken die altersstandardisierten Krebs-Sterberaten nach Daten des RKI zwischen 2009 und 2019 bei Männern um zwölf Prozent und bei Frauen um fünf Prozent. Das durchschnittliche Sterbealter bei Krebserkrankungen erhöhte sich in diesem Zeitraum um etwa zwei Jahre.
Die Pharmabranche dürfte zu diesem positiven Development in den letzten beiden Jahrzehnten mit mehreren neuen Ansätzen und Wirkstoffklassen beigetragen haben, darunter vor allem mit zielgerichteten Wirkstoffen gegen Wachstumstreiber von Krebszellen sowie neuartigen Immuntherapien.
Vor allem bei Leukämien und Brustkrebs sowie teilweise auch bei Lungen-, Darm- und Hautkrebs brachten diese Therapien Fortschritte und bessere Überlebensraten. Krebsmedikamente avancierten dank dieser Erfolge zur umsatzstärksten Produktkategorie im Arzneimittelmarkt.
Deutsche Pharmafirmen spielen bei der Bekämpfung von Krebs nur eine kleine Rolle
Deutsche Forscher und Unternehmen waren an diesem Aufschwung in der Krebstherapie allerdings kaum beteiligt. Die neuen Konzepte und Therapieklassen wurden vielmehr ganz überwiegend von Wissenschaftlern in den USA sowie in der Schweiz und Großbritannien entwickelt.
Progressive Zelltherapien haben in den letzten Jahren große Erfolge bei der Bekämpfung von Leukämien gezeigt. Hier greift eine gentechnisch veränderte Chimäre Antigen Rezeptor-Zelle an, um den Tumor zu zerstören.
(Foto: © eye of science / Agentur Focus)
Die etablierten deutschen Pharmahersteller Bayer, Merck und Boehringer spielen daher im globalen Onkologiegeschäft bisher nur eine ganz untergeordnete Rolle mit einem Umsatzanteil von zusammen allenfalls zwei bis drei Prozent.
Immerhin deutet sich inzwischen eine gewisse Trendwende an. Alle drei Konzerne haben ihre Onkologieforschung im Laufe der letzten Jahre verstärkt. Bayer und Merck verbuchten zuletzt mehrere Zulassungserfolge, wenn auch eher in Nischenbereichen.
Zudem ist die deutsche Biotech-Szene inzwischen stärker in der Onkologieforschung vertreten. Rund ein halbes Dutzend deutscher Biotech-Firmen zum Beispiel arbeitet an neuartigen Zelltherapien gegen Krebs. Die Mainzer Biontech verfolgt darüber hinaus numerous weitere neue Ansätze, darunter mRNA-basierte Krebsvakzine. Das Unternehmen testet inzwischen insgesamt 16 potenzielle Krebsmedikamente in klinischen Studien.
Wie erfolgreich all diese Projekte sind, wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre herausstellen. Klar ist aber auch, dass der Bedarf an besseren Krebstherapien auf absehbare Zeit riesig bleiben wird.
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