Paris Die französische Präsidentschaftskandidatin wirkt erstaunlich entspannt. Dabei waren die letzten Tage hart für Marine Le Pen, weil einige ihrer Vertrauten zur Konkurrenz abgewandert sind. Doch Le Pen lächelt und macht Witze, so über ihre eigene Rente: „Ich habe mir noch gar nicht ausgerechnet, wann ich in Rente gehen darf. Ach ja, meine drei Kinder zählen auch.“
Die 53-jährige Rechtsextreme spricht im Sitz ihrer Partei Rassemblement Nationwide (RN) im vornehmen Pariser Westen über das Thema Rente, im Gegensatz zu vielen Konkurrenten will sie das offizielle Rentenalter von 62 Jahren nicht hochsetzen. Sie erklärt auch: „Ich bin die Präsidentin, die sich für die Kaufkraft einsetzt.“ Das ist eines der großen Themen bei den Wahlen am 10. und 24. April.
Doch die anwesenden Medien interessieren sich mehr für den Konkurrenzkampf mit Éric Zemmour, 63. Deshalb kündigt eine Le-Pen-Sprecherin sicherheitshalber an: Sie beantwortet nur Fragen zum Thema Rente. Natürlich kommt man dann doch irgendwann auf Nicolas Bay, der Le Pens Partei gerade verlassen hat und zum rechtsextremen Konkurrenten Zemmour und dessen Partei Reconquête (Rückeroberung) abgewandert ist.
Le Pen beschwert sich, dass Bay schlecht über ihre Partei geredet hat. Er breitete seine Kritik in einem Interview mit der Tageszeitung „Le Figaro“ aus. Er sprach von „Zweifeln“ an Le Pens Strategie und glaubt an eine huge Abwanderung von Wählern zu Zemmour, der auf eine Mischung von konservativen und rechtsextremen Vorstellungen setzt. Bay kritisierte auch eine „Intoleranz gegenüber jeglicher Kritik“ in Le Pens Partei.
High-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Le Pen hat den Parteivorsitz 2011 von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen übernommen und derzeit während der Kampagne interimsmäßig ihrem Vertrauten Jordan Bardella übertragen. Sie ist die dritte Tochter des rechtsextremen Parteigründers, setzte sich aber mit ihrem zielstrebigen Charakter durch, der laut Vertrauten dem Vater ähnlich ist.
Le Pen bemüht sich um einen Imagewandel
In den vergangenen Jahren hat Le Pen ihre politische Linie sanfter gestaltet. Sie hat sich um einen Imagewandel bemüht, agiert nicht mehr gegen die EU und weniger gegen Muslime, ihre Wirtschaftslinie ist sozial, um die Arbeiterschicht anzusprechen. Sogar den Parteinamen Entrance Nationwide legte sie ab. Damit hat sie allerdings viele Unterstützer verloren, die sich nicht mehr wiederfinden.
Nicolas Bay ist nicht irgendwer, sondern ein Image für den Kampf der Rechtsextremen. Der 44-jährige Jurist vertrat unter Le Pens Beratern den Typ des traditionellen katholischen Familienvaters aus besserer Familie, eine erzkonservative Wählerschicht, von der sich ein Teil ebenfalls von rechtsextremem Gedankengut angezogen fühlt. Der ehemalige Kampagnensprecher von Le Pen und Europaabgeordnete gehörte zum Flügel von RN, der liberale Wirtschaftsideen vertritt und sich für den Schutz der französischen Identität starkmacht. Diese Ideen findet er nun besser bei Zemmour vertreten, der eine bessergestellte Wählerschicht anspricht als Le Pen.
Zemmour ist in eine Lücke gesprungen. Er ist noch rechter als Le Pen, hetzt gegen Flüchtlinge und spricht eine patriotische und bürgerliche Wählerschaft an. Die scheint es nicht zu stören, dass der wortgewandte TV-Moderator schon mehrmals wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Er gelangt in letzten Umfragen für den ersten Wahlgang mit rund 15 Prozent kurz hinter Le Pen mit rund 17 Prozent. Die Konservative Valérie Pécresse liegt gleich mit Zemmour, Präsident Emmanuel Macron bei 25 Prozent.
Le Pen bezeichnete Zemmour als radikal, er sei so, wie ihre Partei sich vor zehn Jahren gab. Doch sie ist in der Defensive gegenüber dem Newcomer in der Politik. Bay ist nicht der einzige Überläufer, in der letzten Zeit wechselten mehrere zu Zemmour, darunter der Anwalt Gilbert Collard, der die Galionsfigur von Le Pen im Süden warfare und dort Bessergestellte als Wähler anziehen sollte. Schon vor einigen Jahren, nach der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2017, hatte sich auch Marion Maréchal, die Nichte von Marine Le Pen, zurückgezogen.
Seit Wochen zögert diese, ob sie ihre Tante unterstützt oder gar den Gegner Zemmour. Sie kündigte an, sie tendiere eher zu Zemmour. Ihre Tante reagierte: „Das ist brutal.“ Maréchal, früher Abgeordnete im französischen Parlament, erklärte kürzlich, sie wolle zurück in die Politik. Sie setzte sich schon früher für eine große Einheit der Rechten und Rechtsextremen ein. Deshalb lockt Zemmour sie und stellt Maréchal den Posten der Premierministerin in Aussicht – sollte er gewinnen.
Die Partei verlor mehrere Zehntausend Anhänger
Eine Bedingung nannte er dafür: Sie muss sich vor dem ersten Wahlgang zu ihm bekennen. Damit könnte Zemmour gleich zwei Trümpfe ausspielen: Le Pen verletzen und die weiblichen Wähler umgarnen. Jean-Marie Le Pen erklärte unterdessen ein wenig halbherzig, er würde seine Tochter unterstützen, habe aber „Sympathie“ für Zemmour.
Marine Le Pen hat offenbar ein weiteres Downside. Bay spricht von 60.000 Parteianhängern im Jahr 2017. Heute seien es nur noch 20.000. Finanziell geht es der Partei nicht intestine. Le Pen hat Schwierigkeiten, Kredite für ihre Kandidatur in Europa zu bekommen. Sie zog vor knapp einem Jahr aus ihrem alten Parteisitz in Nanterre aus und verkleinerte sich. Der neue Sitz soll nach Angaben der Partei ein Drittel günstiger sein.
Trat Le Pen vor fünf Jahren noch in der Stichwahl gegen Macron an, ist es diesmal nicht sicher, ob sie so weit kommt. Ihre Kandidatur wirkt derzeit ein wenig wie ihr letztes Gefecht.
Mehr: Macrons Kampf um eine zweite Amtszeit entscheidet sich im konservativen Lager