Heute ist Heils Parteifreund Olaf Scholz der Chef im Kanzleramt. Und der Arbeitsminister sieht eine Likelihood für einen neuen Anlauf zu seinem Vorhaben: „Ich bin dafür, dass wir aus dem coronabedingten ungeplanten Großversuch zum Homeoffice grundlegende Konsequenzen für die Arbeitswelt ziehen“, sagte Heil der Deutschen Presse-Agentur. Die Ampelkoalition werde „moderne Regeln für mobiles Arbeiten in Deutschland“ und einen Rechtsanspruch auf Homeoffice schaffen.
Demnach sollen Arbeitgeber ihren Beschäftigten künftig das Arbeiten von zu Hause aus ermöglichen müssen, wenn keine betrieblichen Gründe dagegen sprechen. „Aber wenn der Arbeitgeber keine betrieblichen Gründe nennen kann, dann gilt der Rechtsanspruch, Homeoffice in Anspruch nehmen zu können“, betonte Heil. Dies trage zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei.
Es gibt nur ein Drawback: Auch im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht nichts von einem Rechtsanspruch auf Homeoffice. Darin heißt es nur: „Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten erhalten einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice.“ Äußern Arbeitnehmer den Wunsch, von zu Hause aus zu arbeiten, dann müssen Arbeitgeber mit ihnen darüber reden.
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Widersprechen können sie dem Wunsch der Beschäftigten nur, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. „Das heißt, dass eine Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf“, heißt es im Koalitionsvertrag weiter.
Arbeitgeber betreiben bereits Textual content-Exegese
Nach Heils Äußerung beginnt nun der Streit um die Auslegung des Textes. In Teilen der Koalition gebe es offensichtlich „ein Durcheinander zwischen Parteiprogramm und Koalitionsvertrag“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter. „Denn der Koalitionsvertrag der Ampelparteien sieht nicht die Schaffung eines Rechtsanspruchs, sondern einen Erörterungsanspruch bei Homeoffice vor.“
In ihrem Wahlprogramm hatte die SPD dagegen ein Recht auf Homeoffice versprochen. „Grundsätzlich sollen Beschäftigte bei einer Fünftagewoche mindestens 24 Tage im Jahr mobil oder im Homeoffice arbeiten können, wenn es die Tätigkeit erlaubt“, heißt es darin. Das ist genau der Passus, den Heil im Herbst 2020 schon in seinen dann vom damaligen Koalitionspartner Union gestoppten Gesetzentwurf geschrieben hatte.
Ob eine solche Regelung in der Regierungskoalition mehrheitsfähig wäre, ist unklar. „Die Ampel-Parteien haben vereinbart, dass jeder die Möglichkeit bekommt, Homeoffice einzufordern“, sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion und frühere Verdi-Chef Frank Bsirske dem Handelsblatt.
Arbeitgeber sollten dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen können, wenn Homeoffice aus betrieblichen Gründen nicht möglich sei. „Wir Grüne werden uns dafür einsetzen, dass dieses Recht zügig eingeführt wird. Damit stärken wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, reduzieren Verkehr und ermöglichen mehr Freizeit durch weniger Pendelei“, sagte Bsirske.
Beim liberalen Koalitionspartner gibt man sich zurückhaltender: Die Ampel werde ausweislich des Koalitionsvertrages einen modernen Rahmen für das cell Arbeiten schaffen, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, der das Kapitel Arbeit und Soziales mitverhandelt hatte.
Die Regierung werde einen pragmatischen Erörterungsanspruch einführen, wie er in den Niederlanden schon seit Jahren erfolgreich umgesetzt werde. „So lassen wir auch die alte Diskussion um einseitige Rechtsansprüche hinter uns“, sagte Vogel. „Wir begrüßen, dass sich Arbeitsminister Hubertus Heil bei diesem wichtigen Thema auf den Weg macht und wir damit nach Jahren des GroKo-Stillstands endlich vorankommen“, führte der FDP-Politiker aus. Man werde gemeinsam mit ihm daran arbeiten, dass dabei die vereinbarten Ziele des Koalitionsvertrags erreicht werden.
Die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) und CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann mahnt die Liberalen, auf die Einhaltung des Koalitionsvertrags zu achten und nicht darüber hinauszugehen: „Ein Rechtsanspruch à la Heil wäre ein Konjunkturprogramm für Arbeitsgerichte“, sagte Connemann dem Handelsblatt.
Der Plan für einen Rechtsanspruch auf Homeoffice zeige: „Minister Heil kennt den betrieblichen Alltag nicht oder er misstraut den Arbeits- und Tarifvertragsparteien.“ Wer mobiles Arbeiten wirklich fördern wolle, müsse für den erforderlichen Rahmen sorgen. „Dafür muss der Arbeitsminister endlich seinen Widerstand gegen eine Reform des Arbeitszeitgesetzes aufgeben“, forderte Connemann. Arbeitnehmer müssten selbst die Zeiten für ihre Arbeit bestimmen dürfen.
Coronabedingt gilt derzeit für Beschäftigte noch eine Homeoffice-Pflicht. Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts arbeiteten im Dezember 27,9 Prozent der Beschäftigten zumindest zeitweise von zu Hause aus. Im August waren es 23,8 Prozent, ein Höchststand wurde im März 2021 mit 31,7 Prozent erreicht.
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