Gerade waren die westlichen Alliierten in der Normandie gelandet, dann begann vor 80 Jahren am 22. Juni 1944 im Osten ein Großangriff der Roten Armee: Die „Operation Bagration“ entwickelte sich zur Katastrophe für die Wehrmacht.
Die ganze Welt konzentrierte sich im Juni 1944 auf eine Region im Norden Frankreichs – in der Normandie waren am 6. Juni die westlichen Alliierten in der Normandie gelandet. Mehr als 5.000 Schiffe und über 150.000 Soldaten waren beim Sturm auf Adolfs Hitlers sogenannte Festung Europa beteiligt. In erbitterten Gefechten sollten sie in den kommenden Wochen die freigekämpften Brückenköpfe erweitern.
Hitler und seine Generäle hatten die Invasion im Westen erwartet, der Diktator sogar herbeigesehnt. Er wollte Amerikaner und Briten bezwingen, doch irrte er sich sowohl beim Ort der Invasion als auch bei den Chancen auf einen Sieg. Im Osten erwarteten die Deutschen ebenfalls zu dieser Zeit eine Offensive – und wiederum verkalkulierten sie sich. Eher im Norden, eher im Süden der riesigen Ostfront lauteten die Vermutungen. Tatsächlich zielten die sowjetischen Planungen auf die deutsche Heeresgruppe Mitte in Belarus.
Die Bezeichnung „Operation Bagration“ hatte Josef Stalin ausgewählt. Fürst Pjotr Iwanowitsch Bagration (1765 bis 1812) war nicht nur ein georgischer Landsmann des Sowjetdiktators gewesen, sondern auch ein Held des „Vaterländischen Krieges“ von 1812 im Kampf gegen die Invasion von Napoleon Bonaparte. Da lag es nahe, im „Großen Vaterländischen Krieg“, wie der Abwehrkampf gegen die Deutschen seit dem Überfall 1941 genannt wurde, eine entscheidende Offensive nach Fürst Bagration zu nennen.
Nichts sollte dabei dem Zufall überlassen bleiben. Mehr als ein Dutzend Armeen konzentrierte die Rote Armee im rückwärtigen Gebiet, mehr als zwei Millionen Soldaten, über 5.000 Panzer, rund 5.000 Kampfflugzeuge und Zehntausende Geschütze, wie der Historiker Richard Overy in seinem Werk „Weltenbrand. Der große imperiale Krieg 1931 – 1945“ schreibt. Wie konnte dieser massive Aufmarsch den Deutschen aber verborgen bleiben?
Mehrere Gründe zeichneten dafür verantwortlich: Zum einen war die materielle Überlegenheit der Sowjetunion, die zudem in großem Ausmaß mit Gerät von den USA unterstützt wurde, mittlerweile erdrückend. Besonders in der Luft hatten die Deutschen nahezu kaum noch Möglichkeiten zur Aufklärung angesichts der feindlichen Übermacht. Zum anderen führte die Rote Armee umfangreiche Täuschungsmanöver durch, ähnlich wie es die westlichen Armeen vor der Landung in der Normandie betrieben hatten.
Die Heeresgruppe Mitte ahnte so nicht, was ihr bevorstand. Im Gegenteil, die Experten von der Feindaufklärung „Fremde Heere Ost“ hatten ihr einen „ruhigen Sommer“ prophezeit, wie Richard Overy zitiert. Und zugleich konstatiert: „Es war einer der krassesten Irrtümer des Krieges.“ Wohl wahr.
Am 22. Juni 1944 begann die „Operation Bagration“ mit massivem Artilleriebeschuss deutscher Stellungen. Ein Tag von hoher Symbolik, hatte doch drei Jahre zuvor Deutschland die Sowjetunion an diesem Tag überfallen und einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg begonnen. Vier sowjetische „Fronten“, sprich Großverbände, die 1. Baltische und die 1., 2. und 3. Belarussische gingen während der Großoffensive zum Angriff über, dieser gewaltigen Übermacht hatte die Heeresgruppe Mitte nichts entgegenzusetzen.
Deren Befehlshaber, Generalfeldmarschall Ernst Busch, hatte knapp eine halbe Million Mann unter seinem Kommando, davon aber nicht einmal 200.000 als „reguläre Kampftruppen“, wie Richard Overy betont. Der Mangel an Männern, Gerät und Munition war gewaltig. Zudem erwies sich Busch alles andere als geeignet für seine Aufgabe, seine Loyalität zu Hitler war für seine Karriere auschlaggebender gewesen als seine Befähigung zum Kommandeur einer deutschen Heeresgruppe.
So kam es, wie es kommen musste: Die Rote Armee rückte unaufhaltsam vor, am Boden und in der Luft, von wo aus ihre Schlachtflugzeuge Iljuschin Il-2, auch Schturmowik genannt, Schrecken verbreiten. Sowjetische Panzer rückten so unterstützt im Eiltempo vor, ihr Ziel: „schnell Angriffskeile tief in den Rücken der feindlichen Front“ zu treiben, so Richard Overy.