Die Lebenserwartung der Deutschen sinkt. Der Grund: Die Todesursache Nummer eins bleiben Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Deutschland gehört in Westeuropa zu den Schlusslichtern bei der Lebenserwartung und verliert weiter den Anschluss. Das zeigt eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, die die Sterblichkeitstrends über mehrere Jahrzehnte untersucht hat. „Hinsichtlich der Todesursachen erklärte sich der Rückstand vornehmlich durch eine höhere Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, schreibt das Team im „Bundesgesundheitsblatt“.
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Jüngst warnte auch die WHO: Über 10.000 Europäer sterben täglich an einer Herz-Erkrankung, das sind vier Millionen Menschen im Jahr.
Zahlen für Deutschland aus dem Jahr 2022 (neuere liegen nicht vor) ergeben: Über 358.000 Menschen starben in diesem Jahr an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Nach Angaben des Robert Koch-Institutes sind das etwa 40 Prozent aller Sterbefälle. Die häufigsten Erkrankungen, die diesem Spektrum zugeordnet werden, sind demnach die koronare Herzkrankheit (eine Verengung der Herzkranzgefäße), der Herzinfarkt und der Schlaganfall.
In Deutschland ist jedoch die Sterblichkeit in Zusammenhang mit diesen Krankheiten sehr unterschiedlich verteilt, wie der folgende Atlas zeigt.
Das Frappierende: Die Inzidenz – also die Zahl der Todesfälle pro 100.000 Einwohnern – kann in einem Bundesland (etwa in Sachsen-Anhalt) mehr als doppelt so hoch sein wie in den Ländern mit der niedrigsten Sterberate (im Vergleich zu zum Beispiel Hamburg oder Berlin).
Und auffällig ist zudem: Fast alle ostdeutschen Länder – außer Berlin – sind am stärksten betroffen. Welche Gründe gibt es dafür?
Armut als Faktor für chronische Krankheiten
Der Herzbericht 2022 der Deutschen Herzstiftung gibt als mögliche Erklärung etwa zur hohen Herzinfarkt-Sterblichkeit an: „Ein Einfluss sozioökonomischer Faktoren, ein Anteil an der Umschichtung der Bevölkerungszusammensetzung sowie ein unterschiedliches Risikoprofil kommen in Betracht.“
Übersetzt heißt das: Im Osten sind die Menschen im Schnitt älter und ärmer als im Westen. Hinzu kommen Faktoren wie Bildung und gesundheitliche Aufklärung.
Im Interview mit t-online erklärte der Sozialmediziner und Epidemiologen Enno Swart auf die Frage, wie Armut chronische Krankheiten begünstigt: „Da spielt wirklich viel rein. Das sind zum Beispiel Menschen, die sehr kleinen Lebensraum für sich und ihre Familien haben oder an lauten Straßen wohnen. Alleinerziehenden fehlt es oft an Geld – und damit der Zugang zu gesunden Lebensmitteln. Mangelt es an Bildung, die ja in Deutschland mehr als in vielen anderen Ländern noch von der sozioökonomischen Situation im Elternhaus abhängig ist, oder konkreter an Gesundheitskompetenz, begünstigt dies ein ungesundes Gesundheitsverhalten, das mit Alkohol, Rauchen, mangelnder Bewegung usw. einhergeht.“
Welche Rolle spielt das Stadt-Land-Gefälle?
Enno Swart verwies zudem auf ein anderes wesentliches Merkmal: das Gefälle von Stadt und Land: „In der Provinz gibt es vielerorts kaum noch Landärzte beziehungsweise diese gehen vielfach in den nächsten Jahren in Rente. Und im Osten gibt es deutlich mehr ländliche Regionen und weniger Großstädte. Dieses Problem wird aber die westlichen ländlichen Regionen in naher Zukunft auch treffen.“
Auch eine Studie des Max-Planck-Institutes kommt zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, an einem Herzinfarkt zu sterben, in ländlichen Regionen höher ist als in der Stadt. Im MDR erklärte einer der an der Studie beteiligten Wissenschaftler, der Demografie-Experte Sebastian Klüsener: „Wir haben festgestellt, dass im ländlichen Raum gerade in den Altersgruppen 70 bis 89 die Wahrscheinlichkeit an einem Herzinfarkt zu sterben um bis 20 Prozent höher ist als im städtischen Raum.“
Weniger Fachärzte im Osten
Doch woran liegt das? Ein Indiz könnte die Dichte der Fachärzte sein. Beim Blick in die Statistik des Herzberichtes wird deutlich: Im Osten gibt es vergleichsweise wenig Kardiologen, also Fachärzte für Herzmedizin. 2021 kamen auf einen Herz-Facharzt in Sachsen-Anhalt 26.781 Einwohner, in Mecklenburg-Vorpommern über 31.000 Einwohner, in Thüringen sogar mehr als 34.000. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg sind es nur etwa 22.000.
Doch so einfach scheint die Antwort nicht allein zu sein. Klüsener und sein Team kamen zu einem anderen Ergebnis: „Die höhere Sterblichkeit (bei Herzinfarkten, Anmerkung der Redaktion) ist vor allem auf die höhere MI-Inzidenz (Myokardinal-Infarkt, medizinisch für Herzinfarkt) in ländlichen Regionen zurückzuführen, während die Sterblichkeit weitgehend ähnlich ist.“