Behördenchaos, soziale Brennpunkte und kein einziger Dax-Konzern – deshalb machten Investoren einen großen Bogen um Berlin. Nun gibt es die zweite Chance.
Negative Aspekte an der Bundeshauptstadt zu finden, ist unglaublich einfach. Berlin bietet massenhaft Kritikpunkte, und gefühlt werden es täglich mehr. Ob Silvesterausschreitungen in Neukölln und Kreuzberg, destruktive Wohnungspolitik oder dreckige Straßen, wohin man schaut – die Liste ließe sich verlängern bis zu Behördenterminen, auf die man mitunter Jahre warten muss.
Doch Berlin ist für viele die attraktivste Stadt der Welt. Investoren aus dem Ausland haben es längst erkannt und lächeln, wenn die AfD mal wieder vorschlägt, das Berghain zu schließen und den Kotti als „No-Go-Area“ klassifiziert. Obgleich man Letzteres zu manchen Zeiten durchaus so sehen kann, nicht nur als Angehöriger mancher Minderheit im Land.
Der Aktienprofi
Daniel Saurenz ist Finanzjournalist, Börsianer aus Leidenschaft und Gründer von Feingold Research. Mit seinem Team hat er insgesamt mehr als 150 Jahre Börsenerfahrung und bündelt Börsenpsychologie, technische Analyse, Produkt- und Marktexpertise. Bei t-online schreibt er über Investments und die Lage an den Märkten, immer unter dem Fokus des Chance-Risiko-Verhältnisses für Anleger. Sie erreichen Daniel auf seinem Portal www.feingoldresearch.de.
Zweite Chance
Trotzdem bietet Berlin zum Jahreswechsel 2024 eine zweite Chance am Immobilienmarkt. Denn Investoren wie Warren Buffett sind keine Anleger, die experimentell bei überteuerten Start-ups investieren. Er interessierte sich früh für Haribo, erwarb einen deutschen Motorradhersteller und ist seit Ewigkeiten bei Firmen wie Apple, Coca-Cola oder IBM investiert.
Seit einigen Jahren hat er den Berliner Immobilienmarkt für sich entdeckt, und viele Investoren aus dem Ausland folgten. Genau die wittern jetzt günstige Einstiege. Als Beispiel können Pakete genannt werden, wie sie vom Immobilienunternehmen Vonovia derzeit verkauft werden. Da gibt es Altbau-Wohnungen im Prenzlauer Berg in direkter Nachbarschaft zur hippen Stargarder Straße, die unter 3.000 Euro den Quadratmeter angeboten werden.
Zugegeben – Mieteinnahmen zwischen sechs und acht Euro den Quadratmeter sind für Kapitalanleger nicht die Welt. Doch wenn ein solches Objekt in einigen Jahren leerstehend sein sollte oder sich die Preise für vermietete Objekte wieder erholen, könnte eine Spekulation interessant sein.
Berlin als Spezialfall
Denn Berlin ist eine ganz besondere Kiste. Aufgrund eines faktisch nicht existierenden Mietspiegels und eines seit den 1990er-Jahren unübersichtlichen Mietmarktes wohnen Mieter für 20 Euro kalt neben solchen für sechs Euro kalt im selben Haus. Diese Phänomene sind in München, Frankfurt oder Hamburg nicht zu beobachten. Wer also scharf kalkuliert, winkt momentan bei schlecht vermieteten Einheiten und zugleich gehobenen Preisen ab. Die zweite Chance ergibt sich nun aber als Wette auf die Zinsentwicklung.
Noch vor wenigen Wochen waren Zinsen für zehnjährige Finanzierungen von fünf Prozent befürchtet worden. Geht die Europäische Zentralbank 2024 einen Weg, wie ihn die amerikanische Notenbank Fed plant, könnten Immobilienzinsen aber bis auf 2 oder 2,5 Prozent sinken. Dann sollte sich auch der schlecht vermietete Bestand erholen. Bei Neubauten sind die Preise in Berlin ohnehin kaum gesunken, die Mieten bewegen sich auf einem ganz anderen Niveau.
Die Blase ist geplatzt
Kurioserweise schreiben in diesen Tagen manche Experten von der geplatzten Blase Berlin. Dies ist etwas fragwürdig, da ohnehin jede Immobilie einer eigenen Betrachtung bedarf und zum anderen Berlin nicht mit Nürnberg, Pforzheim oder Essen vergleichbar ist, sondern eher mit London, Paris oder New York. Auch wenn das die Berlin-Skeptiker vermutlich zum Lachen bringen wird.
Buffett bekundete sein Interesse just zu einem Zeitpunkt, da die deutschen Medien verstärkt von einer Blase sprachen. Die Preise in Berlin waren 2019 und 2022 explodiert. Dabei handelte es sich zu einem großen Teil um Nachholeffekte. Denn der Immobilienmarkt in Deutschland nahm sich von 1995 bis 2010 eine lange Verschnaufpause, während es in den USA oder Großbritannien mit den Preisen massiv aufwärts ging.
Großinvestoren sehen das Vergleichsumfeld
Die erste Welle der Preissteigerung speziell in Berlin war nicht mehr als ein Glätten der extremen Unterbewertung. Hinzu kommt aber der Faktor Deutschland und der Faktor Berlin im Speziellen. Personalchefs großer Unternehmen wie Google, SAP oder Amazon nennen Clubs wie das Berghain als Standortfaktor für ausländische Bewerber.
Die Entspanntheit von Berlin-Mitte dazu, das Flair sonntags im Mauerpark – und schon sieht Berlin für viele merklich attraktiver aus als Paris. Dass man für einen Teller Sushi in Berlin noch immer einen Bruchteil dessen hinlegt, was in San Francisco oder London zu zahlen ist, lockt ebenso wie die für Ausländer im Vergleich immer noch akzeptablen Mieten.