München Was Adolf und Rudolf Dassler für Herzogenaurach, das waren die Brüder Hans und Lorenz Wagner für Jetzendorf und Vierkirchen. Die einen bauten einst in Mittelfranken die Turnschuhfirmen Adidas und Puma auf, die anderen nördlich von München die Wanderschuhfabriken Hanwag und Lowa.
Schon lange haben die Gründerfamilien nichts mehr zu sagen bei Adidas und Puma. Trotzdem gönnen sich die Rivalen bis heute keinen Zentimeter Platz in den Regalen der Sporthändler. Nicht anders verhält es sich auch bei Hanwag und Lowa.
Und so wie Puma alles daransetzt, zum großen Konkurrenten Adidas aufzuschließen, so macht sich jetzt auch Hanwag auf, Lowa vom Thron der deutschen Bergstiefelhersteller zu stoßen.
Hanwag-Chef Thomas Gröger wagt sich dazu auf neues Terrain. „Wir sind 100 Jahre bei zwei Fertigungsarten geblieben“, sagt der Firmenlenker. Der Mittelständler bietet bislang entweder zwiegenähte oder klebegezwickte Modelle.
Das heißt: Die Sohle wird angenäht oder mit dem Schaft verklebt. Bei diesen beiden traditionellen Verfahren lassen sich die Schuhe leicht wiederbesohlen. Dabei soll es aber nicht bleiben: „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, unser Portfolio mit einer neuen Fertigungstechnologie zu erweitern, um den Bedarf am Markt zu erfüllen“, sagt Gröger.
Lowa ist um ein Vielfaches größer
Im kommenden Frühjahr wird es erstmals Schuhe mit angespritzten Sohlen von Hanwag geben. Dabei wird die Sohle in einer Gussform hergestellt und direkt mit dem Oberschuh verbunden. Diese Modelle sind leichter und zudem ein wenig günstiger. „Unsere Händler wollen von uns auch alltagstaugliche Schuhe“, erklärt Gröger.
Der Wettbewerber Lowa bietet derartige Schuhe schon seit einem Vierteljahrhundert an. Auch deshalb ist Lowa heute so viel größer als Hanwag. Lowa wird dieses Jahr eigenen Angaben zufolge mehr als drei Millionen Paar Schuhe verkaufen. Hanwag nennt keine Zahlen, Branchenschätzungen zufolge kommt die Marke auf intestine 450.000 Paar.
Beide Marken haben eine bewegte Vergangenheit. Der Schuster Hans Wagner gründete die Vorläuferfirma von Hanwag, HaWa, 1921 in Vierkirchen. Bruder Lorenz zog zwei Jahre später mit Lowa im benachbarten Jetzendorf nach. Mit Adolf Wagner machte sich ein weiterer Bruder selbstständig. Seine Firma Hochland existiert indes nicht mehr.
Hans und Lorenz fertigten zunächst traditionelle Haferlschuhe. Im Krieg produzierten beide Stiefel für die Wehrmacht. Schon in den 50er-Jahren musste Lowa indes das erste Mal Insolvenz anmelden, überstand die Krise allerdings. Als der Winterurlaub zum Massenvergnügen wurde, stiegen beide Betriebe groß ins Geschäft mit Skischuhen ein.
In den 90er-Jahren schied das letzte Mitglied der Familie Wagner bei Lowa aus, die Firma befand sich in einer finanziell prekären State of affairs. Als Retter heuerte Werner Riethmann an, der bis heute Teil der Geschäftsführung ist und ein Viertel der Anteile hält. Unter seiner Regie erschloss Lowa das Geschäft mit leichten Bergstiefeln und Outside-Halbschuhen. Als Mehrheitseigentümer kam Familie Zanatta an Bord, Besitzer der Tecnica-Gruppe mit Marken wie Moonboot, Blizzard und Nordica. Den Italienern gehören heute die weiteren 75 Prozent der Anteile.
Hanwag blieb bis 2004 in Familienbesitz. Nach dem frühen Tod seiner zuvor bereits als Geschäftsführerin agierenden Tochter verkaufte Eigentümer Josef Wagner den Betrieb an das schwedische Unternehmen Fenix Outside. Die börsennotierte Gruppe wird von der Gründerfamilie Nordin beherrscht, ihr gehören unter anderem auch die Marken Fjällräven und Globetrotter.
Lowa ist erfolgreicher als je zuvor
Heute stehen beide Marken intestine da, Lowa steuert gar auf einen Rekord zu: „Sollte es nicht noch zu unvorhersehbaren Corona-Stillständen kommen, dann wird es das beste Jahr unserer Geschichte“, sagt Lowa-Chef Alexander Nicolai. Die Firma werde deutlich über 200 Millionen Euro Umsatz erzielen. In der Pandemie drängen die Konsumenten in die Natur, die Auftragsbücher sind voll. „Momentan schaffen wir es nicht, die stark gestiegene Nachfrage zu 100 Prozent zu erfüllen“, betont der Supervisor.
Für Hanwag veröffentlicht Eigentümer Fenix keine gesonderten Zahlen. Nur so viel: In den ersten neun Monaten des Jahres ist der Umsatz der Fenix-Gruppe um intestine neun Prozent auf 459 Millionen Euro geklettert. Der Gewinn stieg um rund ein Fünftel auf 45 Millionen Euro. In der Sparte „Manufacturers“, zu der Hanwag gehört, wuchsen die Einnahmen jedoch nur um sechs Prozent auf 117 Millionen Euro. Der Grund: Es habe Schwierigkeiten in der Lieferkette gegeben.
Im Gegensatz zu Konzernen wie Adidas und Puma haben die bayerischen Wanderschuhmarken ihre Produktion in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht nach Asien verlegt, sondern sind in Deutschland geblieben. Wichtigster Wettbewerber im Inland ist der Familienbetrieb Meindl aus dem bayerischen Kirchanschöring. Die wohl bekanntesten europäischen Konkurrenten sind Scarpa und La Sportiva aus Italien. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bauten die Firmen zusätzlich Werke in Osteuropa auf, nach dem Ende des Balkankriegs auch in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens. Auch das Materials stammt größtenteils aus Europa.
Das hat Vor- und Nachteile. „Zum Glück betreffen uns die Probleme in der Lieferkette in Asien nicht“, sagt Lowa-Chef Nicolai. „Aber auch wir können die Fertigung nicht so schnell ausbauen, wie es nötig wäre.“ Lowa fertigt etwas mehr als jeden zehnten Schuh am Stammsitz in Jetzendorf.
Das Gros der Ware stammt aus einer Fabrik mit 1700 Mitarbeitern in der Slowakei, die Lowa vor zwei Jahren übernommen hat. Dort investiert Nicolai kräftig: „Wir sind gerade dabei, neue Nähereien zu eröffnen. Außerdem haben wir zusätzliche Maschinen bestellt. Gleichzeitig errichten wir eine neue Halle, eine weitere ist in Planung.“
Hanwag-Chef Gröger musste zu Jahresbeginn in großem Stil neue Auftragsfertiger anheuern, um die vielen Bestellungen abzuarbeiten: „Wir nutzen seit diesem Jahr vier zusätzliche Fabriken in Bosnien, es reicht trotzdem noch nicht“, ärgert sich der Supervisor.
Vietnam verhagelt Adidas und Puma das Geschäft
Mit ihrer Strategie, voll auf die Produktion in Europa zu setzen, stehen die Wanderschuhhersteller trotzdem deutlich besser da als die großen Sportkonzerne. Denn sie können vergleichsweise schnell und zuverlässig liefern. Adidas und Puma leiden unterdessen schwer darunter, dass die Fabriken ihrer Lieferanten in Vietnam wegen Corona zum Teil wochenlang stillstanden.
Bei aller Rivalität: Hanwag und Lowa gehen respektvoll miteinander um. Zum 100. Geburtstag von Hanwag schaltete Lowa-Boss Nicolai diesen Sommer eine Gratulationsanzeige im Händler-Fachblatt SAZSport.
Darauf zu sehen sind zwei Wander-Wegweiser mit den Firmennamen, die in unterschiedliche Richtungen zeigen. Darunter der Spruch: „Zwei Brüder, zwei Wege. Aber immer guade Schuah!“ In zwei Jahren wollen sie bei Lowa das runde Jubiläum feiern. Mal sehen, was sich Hanwag-Chef Gröger einfallen lässt.
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