Bis Mittwochabend wurden aus dem Wrack der versunkenen Jacht „Bayesian“ weitere Leichen geborgen. Ob die Vermissten an Bord während des Unglücks überhaupt eine Chance hatten, erklärt der Kriminalbiologe Mark Benecke.
Spezialisierte Feuerwehrtaucher setzten am Mittwoch die Suche nach noch sechs Vermissten der Super-Jacht „Bayesian“ fort. Das 15 Jahre alte Luxus-Segelschiff war vor der italienischen Mittelmeerinsel Sizilien gesunken.
Nach Angaben der Feuerwehr ist das gesunkene Schiff auf dem Meeresgrund zur Seite gekippt, was die Suche nach den Todesopfern erheblich erschwerte. Hinzu kam, dass es praktisch keine Hoffnung auf Überlebende mehr gab.
Der Forensik-Experte Mark Benecke hat die Polizei schon in vielen Fällen unterstützt. Im Gespräch mit t-online erklärt er, aus welchen Gründen Menschen bei einem Schiffsunglück ertrinken, was mit ihnen dabei passiert und was die Einsatzkräfte bei der Bergung – auch von Leichen – beachten müssen.
t-online: Herr Benecke, die Vermissten sind während eines Sturms wohl auf einer Jacht ertrunken: Wie kann das passieren?
Mark Benecke: Das kann viele Gründe haben. Beispielsweise können Menschen in Schlaf-Kojen vom Wasser überrascht werden und dann in Panik nicht wissen, was zu tun ist. Das Wasser kann kalt sein, es kann ihnen etwas auf den Kopf fallen, sie können eingeklemmt sein oder das Boot hat sich gedreht, so dass sie nicht schnell genug herausfinden, wo oben und unten ist. Menschen können betrunken sein und zu langsam reagieren oder versuchen, andere zu retten und dabei aber zu tief unter Wasser geraten. Es gibt viele Wege, die auf Booten zum Ertrinken führen können.
Wie hoch sind die Überlebenschancen?
Bei echtem Ertrinken: null. Das Gehirn erhält unter Wasser weder Sauerstoff noch Nährstoffe und ist nach kurzer Zeit tot. Kinder können manchmal in eiskaltem Wasser erstaunlich lange überleben, aber das sind seltene Ausnahmen. Erwachsene haben keine Chance. Deren Gehirn schaltet einfach ab und kann nicht mehr hoch fahren. Das Zeitfenster für eine Rettung beträgt beim Ertrinken meist nur wenige Minuten.
Nun sollen die Vermissten rund 50 Meter unter Wasser im Wrack des Schiffs sein. Was passiert mit den Leichen?
Das hängt von der Wasser-Temperatur und den Lebewesen dort ab. Grundsätzlich verfaulen Leichen in fünfzig Meter Tiefe recht schnell, weil Bakterien aus dem eigenen Körper dort noch wachsen können. Das führt oft zum Aufblähen der Leichen. Aber wenn diese eingeklemmt sind, dann treiben sie trotz der Gas-Blähung durch bakterielle Gase nicht an die Oberfläche. Leichen sind – sie auch an Land – vor allem eine Nahrungs-Quelle, so dass je nach Gewässer Seesterne, Fische, Krebse und so weiter rasch an der sich ohnehin zersetzenden und erweichenden Leiche fressen. Die Knochen halten länger aus.
Dr. Mark Benecke ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständige für biologische Spuren und seit mehr als 20 Jahren international auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forensik aktiv.
Inwieweit spielt der Druck in der Tiefe eine Rolle?
Das spielt in fünfzig Meter Tiefe noch keine Rolle. Interessant wird es bei Opfern wie in der Titanic – dort lösen sich auch die Knochen der Leichen gleichsam auf, weil es in der Tiefe des Ozeans diese Stoffe oft nicht gibt, das ist so ähnlich wie bei Zucker, der in Wasser geworfen wird und sich dann auflöst. Es geht natürlich langsamer als bei Zucker. Der Vorgang ist aber sehr ähnlich. Deshalb haben die Such-Roboter im Wrack der Titanic auch keine Knochen gesehen beziehungsweise gefunden. Wie gesagt, das alles betrifft aber Leichen in geringerer Tiefe kaum. Diese werden eher aufgefressen, von Bakterien zersetzt und die Knochen bleiben übrig.
Gibt es Unterschiede zwischen Leichen im Meer und im See?
Biologisch jede Menge. In Seen können beispielsweise Kieselalgen verschluckt und mit dem Wasser beim Ertrinken „eingeatmet“ werden. Diese können dann bei den Ermittlungen helfen, indem sie verraten, wo die ertrinkende Person noch lebend Wasser verschluckte. Wasserleichen sind kriminalbiologisch schwer zu untersuchen, weil wir die Insekten, die dort an Leichen gehen, kaum kennen, und so die Liegezeit nur schwer bestimmen können. Manchmal geht es über Seepocken an Schuhen der Verstorbenen, aber auch nur ungenau. In kleineren Flüssen können auch Köcherfliegenlarven-Hüllen eine Rolle spielen. Diese heften sich beispielsweise außen an ein Auto, das samt Insassen versenkt wurde. Anhand der Länge der Köcher lässt sich die Liegezeit bestimmen.