Privatisieren, sanieren, stilllegen: Die Treuhand hatte eine zentrale Rolle bei der Umwandlung der DDR-Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft. Bis heute gilt sie als „Trauma der Einheit“.
Dass mehr als 30 Jahre nach der Deutschen Einheit die Bundesrepublik immer noch gespalten ist, zeigt eindrücklich eine Karte, die an den Tagen nach der Europawahl in sozialen Medien kursierte:
Während die westdeutschen Bundesländer mehrheitlich schwarz (für die Union) eingezeichnet waren, sah es im Osten Deutschlands komplett anders aus. Hier dominierte bis auf wenige Wahlbezirke die blaue Farbe, die für die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme AfD steht.
Neu ist die Erkenntnis eines gespaltenen Deutschlands indes nicht: Wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung bereits 2020 offenbarte, fühlen sich rund 60 Prozent von den Menschen in Ostdeutschland wie Bürger zweiter Klasse; 83 Prozent gaben gar an, in der Zeit nach der Wiedervereinigung unfair behandelt worden zu sein.
Doch wieso? Wer diese Frage beantworten will, stößt schnell auf eine Superbehörde: die Treuhand. Sie war für die Umwandlung der DDR-Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft zuständig. Bis heute ist sie höchst umstritten, in Ostdeutschland ein Hassobjekt.
Dierk Hoffmann, Professor in der Berliner Abteilung des Instituts für Zeitgeschichte München, forscht seit Jahren zur Treuhand. Er sagt t-online: „Die Treuhandanstalt ist seit über 30 Jahren eine Projektionsfläche für enttäuschte Hoffnungen und politische Interessen.“
Die Behörde sei Anfang der 1990er-Jahre „ein Blitzableiter für das politische System der Bundesrepublik“ gewesen. „Mit ihr verbinden viele Menschen in Ostdeutschland Massenarbeitslosigkeit, Deindustrialisierung und soziale Entwurzelung. Diese erfahrungsgeschichtliche Dimension der Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft ist wichtig“, so der Historiker.
Die Idee der Treuhandanstalt, deren Gründung am 1. März 1990 von der letzten SED/PDS-Regierung unter Hans Modrow beschlossen wurde, war zunächst: Das Volksvermögen sollte zusammengehalten werden, später sollten die Bürger dann daran beteiligt werden. Doch der Charakter änderte sich, als drei Monate später die Volkskammer einem Treuhand-Gesetz zustimmte: Nun ging es um die Privatisierung des volkseigenen Vermögens.
Die Ausgangslage aber war alles andere als günstig. Die DDR-Wirtschaft war in großen Teilen marode, viele Industrieanlagen waren veraltet. Dazu waren die Absatzmärkte im Ostblock weggebrochen. Dann kam der „D-Mark-Schock“. Die Währungsunion am 1. Juli 1990 mit einer Umstellung der Löhne und Gehälter im Kurs von 1:1 belastete die Betriebe deutlich, viele Firmen waren über Nacht nicht mehr wettbewerbsfähig.
Vorsitzender des Treuhand-Verwaltungsrats wurde ausgerechnet ein westdeutscher Top-Manager: Detlev Rohwedder, Vorstandschef des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch. Nach der Ermordung Rohwedders im April 1991, zu der sich die RAF bekannte, folgte ihm die CDU-Politikerin Birgit Breuel.
Die Strategie der Treuhand folgte offiziell einem Dreiklang: „Schnell privatisieren, entschlossen sanieren, behutsam stilllegen.“ Im Gedächtnis blieben dabei die spektakulären Fälle der Treuhand: die umstrittene Auflösung der Fluggesellschaft Interflug und der von dubiosen Begleitumständen überschattete Werften-Verkauf. Hier ging es um womöglich veruntreute Subventionszahlungen von der Treuhand an den Käufer der Werft. Oder der verzweifelte Kampf der Bergleute in Bischofferode gegen die Schließung ihres Kaliwerkes.
Die Hauptkritik ist aber bis heute: Die Treuhand hat zu schnell stillgelegt und zu wenig saniert. Westdeutsche Kapitalinteressen hätten dominiert.
„Der Vorwurf des Ausverkaufs der DDR resultiert aus dem Umstand, dass circa 80 Prozent der ostdeutschen Betriebe nach der Privatisierung in westdeutsche Hände gingen“, sagt Historiker Hoffmann. „Dabei wird jedoch oft vergessen, dass die Privatisierung 1990 in Ost und West als probates Mittel zur Lösung der ökonomischen Probleme der DDR galt. Es gab also 1990 einen (wenn auch brüchigen) Privatisierungskonsens.“
Die niederschmetternde Bilanz: Von vier Millionen Industriearbeitsplätzen blieb nur ein Drittel übrig, von rund 8.500 volkseigenen Betriebe musste ein Drittel geschlossen werden.