Russland will sich aus der Internationalen Raumstation zurückziehen. Was bedeutet das für die Zukunft der Raumfahrt? Astronautenkandidatin Insa Thiele-Eich klärt auf.
In Zukunft wird es neben der Internationalen Raumstation, an der zahlreiche europäische Länder sowie die USA, Kanada und Japan beteiligt sind, also auch eine chinesische Raumstation und – sollten die Russen ihre Ankündigung wahr machen – ein russisches Weltraumlabor geben.
Doch was bedeutet das für die westliche Weltraumforschung? Und welche Auswirkungen wird das heute und in Zukunft auf den Fortbestand der ISS und weitere Entdeckungen im Weltall haben? Darüber hat t-online mit der Meteorologin und Astronautenkandidatin Insa Thiele-Eich gesprochen.
Dr. Insa Thiele-Eich
Insa Thiele-Eich wurde 1983 in Heidelberg geboren und ist Meteorologin und wissenschaftliche Koordinatorin am Meteorologischen Institut der Universität Bonn. Sie engagiert sich seit Jahren für Klimaschutz und erforscht die Auswirkungen des Klimawandels. 2017 wurde sie bei der Initiative „Die Astronautin“ unter 400 Bewerberinnen dazu ausgewählt, als erste deutsche Astronautin neben Suzanna Randall zur Internationalen Raumstation zu fliegen. Ihr Vater ist der deutsche Astronaut Gerhard Thiele.
t-online: Am 26. Juli verkündete Juri Borissow, der Chef der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, dass sich Russland nach 2024 aus der Kooperation auf der ISS zurückziehen werde. Hat sich das Aus bereits abgezeichnet oder kam dieser Schritt letztendlich dann doch überraschend?
Insa Thiele-Eich: Für mich kam der Schritt nicht überraschend, aber die Endgültigkeit ist dann doch erschütternd. Hat man die Thematik von Anfang an mitverfolgt, hat sich dieser Konflikt in der Weltraumpolitik bereits seit Kriegsbeginn zumindest angedeutet. Erschwerend hinzu kam, dass Russland – im Gegensatz zur Nasa – den Laufzeitvertrag der ISS noch nicht über das geplante Ende nach 2024 verlängert hatte. Dass sich Russland jetzt letztendlich zu diesem radikalen Schritt entscheidet, ist bedauerlich.
Hat Russlands neue Weltraumpolitik möglicherweise auch etwas damit zu tun, dass Dmitri Rogosin, der ehemalige Roskosmos-Chef, erst vor wenigen Wochen durch Borissow ausgetauscht wurde? Rogosin zeichnete sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs vor allem durch großspuriges Gehabe und Kriegspropaganda in den sozialen Netzwerken und Medien aus.
Am Anfang des Krieges hatte ich noch das Gefühl, dass Rogosins Aussagen vor allem politisches Gehabe sind. Dass er dann durch Borissow ersetzt wurde, hinterließ kein gutes Gefühl. Denn bei ihm konnte man nicht abschätzen, wie seine Aussagen zu interpretieren sind – bei Rogosin wusste man ja, womit man zu rechnen hatte. Aber auch hier muss man bedenken: Ein russisches Aus bedeutet nicht, dass man ein paar Schalter umlegt und das Ganze damit erledigt ist. Selbst wenn Russland 2024 die Kooperation beendet, dauert der Abkopplungsprozess viele Monate, wenn nicht sogar Jahre.
Was genau bedeutet das? Der Roskosmos-Chef hat ja bereits zu verstehen gegeben, dass sich Russland an die vertraglich vereinbarten Pflichten halten wird. Dass der gesamte Vorgang zur Entkopplung des russischen Moduls und zum Abbau der russischen Systeme aber einen deutlich längeren Zeitraum als angekündigt umfasst, ist von russischer Seite aus nicht zu hören, obwohl sie es besser wissen müssten. Hier spricht man ja bereits davon, eine eigene Raumstation ins Weltall schicken zu wollen.
Russlands Aussage, jetzt eine eigene Raumstation innerhalb der nächsten Jahre bauen zu wollen, halte ich persönlich für sehr sportlich. Dass sie in so kurzer Zeit damit Erfolg haben könnten, würde mich überraschen. Auf jeden Fall wird man aber noch eine sehr lange Zeit miteinander sprechen müssen, bis der gesamte Vorgang der russischen Entkopplung abgeschlossen ist. Die Nasa schätzt die Dauer eines solchen Vorgangs auf über zwei Jahre. Was danach passiert, ist schwer abzuschätzen.
Rogosin hat ja auch immer damit gedroht, dass Russland das russische Modul der ISS einfach abkoppeln und dann zumindest zeitweise als eigene Raumstation betreiben könnte. Ist das überhaupt eine realistische Vorstellung? Wäre die ISS ohne das russische Modul überhaupt funktionsfähig?
Also dass Russland sein eigenes Modul abkoppelt und als Station betreibt, ist soweit ich weiß, technisch überhaupt nicht möglich. Beide Teile der ISS sind voneinander abhängig. Der russische Teil wird dafür benötigt, die Triebwerke der Station zu zünden und diese wieder in die richtige Umlaufbahn zu heben. Das ist notwendig, da die Station durch Reibungsverluste immer an Höhe verliert und deren Position von Zeit zu Zeit nachjustiert werden muss. Der andere Teil der ISS liefert hingegen die notwendige Energie. Das russische Modul hat nur ganz kleine Solarpaneele und könnte sich selbst überhaupt nicht mit Energie versorgen.