Auf LinkedIn präsentieren viele Schlipsträger sich und ihre Arbeit im besten Licht – und manche auch Hass, Sexismus und Menschenverachtung. Nun macht dort auch ein Hilfsprojekt für Betroffene Karriere.
Mobbing und Hass im Netz – viele denken da an Facebook-Kommentare oder Tweets, an Videos bei YouTube oder TikTok, vielleicht an Telegram-Nachrichten, aber nicht an ein Businessnetzwerk, nicht an LinkedIn.
Doch auch dort, wo sich die Nutzer vornehmlich für Kunden und Arbeitgeber von der besten Seite zeigen wollen, gibt es all das, sagt jetzt einer, der es selbst erfahren hat. Johannes Ceh ist Unternehmensberater und wurde selbst zur Zielscheibe – bis er aus der eigenen Betroffenheit heraus eine Hilfsorganisation gegründet hat. „Seit Corona und dem Ukraine-Krieg explodieren Hass, Hetze, Sexismus und Cybermobbing auf LinkedIn“, berichtet er. „Da konnte ich so nicht mehr zuschauen.“
LinkedIn, der internationale Konkurrent zum deutschen Netzwerk Xing, hat rund 20 Millionen deutschsprachige Nutzer. Gut sieben Millionen waren nach jüngsten Zahlen mindestens einmal im Monat eingeloggt – das Netzwerk wird nicht zuletzt dank des immer raueren Tons im Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) für viele Menschen immer relevanter.
Was den meisten dabei gar nicht bewusst sein dürfte: Auch auf LinkedIn tragen sich Dinge zu, die Menschen schwer zusetzen. Klarnamenpflicht würde hier nichts helfen, weil sich dort Nutzer nicht scheuen, mit Namen, Foto und Visitenkarte „digitale Gewalt“ auszuüben, so Ceh. „Dass dann Menschen auch so agieren, kann sich kaum jemand vorstellen“, meint er.
Ihm zeigten sich die Abgründe, als er einem Nutzer nach dessen antisemitischem Posting widersprach und sich auch durch dessen Drohungen nicht zum Schweigen bringen lassen wollte. Schließlich musste er erleben, dass auch seine Kunden kontaktiert wurden. Das war im Frühjahr 2020, ein „Reichsbürger“ auf dem Portal habe über mehrere Wochen hinweg das Leben einer kleinen Gruppe von Nutzern bedroht. „Und ich war einer davon.“
Selbst von „Reichsbürgern“ bedroht worden
Er wollte dem etwas entgegensetzen und ist dafür vor Kurzem geehrt worden. Sein Projekt „Digital Streetworker“ leistet „Erste Hilfe für digitale Gewalt im beruflichen Kontext“. Das im Kern vierköpfige ehrenamtliche Team hilft LinkedIn-Nutzern in Krisensituationen wie sexualisierter Anmache und Stalking, Cybermobbing oder Hatespeech. Es hat nach seinen Angaben 2.000 Menschen beigestanden und kooperiert mit dem Projekt „Love-Storm – Gemeinsam gegen Hass im Netz“ unter dem Dach des aus der Friedensbewegung hervorgegangenen Vereins „Bund für Soziale Verteidigung“. Spenden decken den laufenden Betrieb und sollen vielleicht auch ermöglichen, jemanden anzustellen.
Es ist Engagement, das Ceh so nie angestrebt hatte. Ihn belastet es bis heute emotional sehr, wie wenig Resonanz es in solchen Situationen oft gibt, er kann mit seinen Erfahrungen sehr beharrlich auftreten. Damals habe ihm fast niemand geglaubt – eben weil LinkedIn als vorwiegend beruflich genutztes Netzwerk gilt, in dem sich Nutzer vermeintlich im besten Licht präsentieren wollen.
Deshalb hat auch das Bundesamt für Justiz als Aufsichtsbehörde für Netzwerke LinkedIn anders behandelt: Es wurde nicht als soziales Netzwerk eingestuft, es sei ja „Berufsplattform“. Anders als bei Facebook oder X sah das Justizministerium keine „Empirie, dass von beruflichen Netzwerken besondere Gefahren für den öffentlichen Meinungsaustausch oder die öffentliche Sicherheit ausgehen würden“. LinkedIn fiel so anders als Facebook, Instagram, YouTube & Co. nie unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). „Ein Systemfehler, der ein Gesetz zum Schutz von Menschen aushebelt“, beklagt Ceh. Trotz der Beschwerden und Hinweise korrigierte das Amt seine Einschätzung nie.
Netzwerk-Gesetz galt für LinkedIn nicht
Das NetzDG sollte eigentlich Netzwerke stärker dazu zwingen, die Rechte angegriffener Nutzer zu beachten. Ein Ziel sollte die „Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit der Meldewege“ sein. Bei LinkedIn wäre Bedarf gewesen – die „Zeit“ beschrieb 2022, dass man dort nur mit einem Geheimtipp weiterkomme: „Man muss in die LinkedIn-Suche die Worte „LinkedIn Social Support Team“ eintippen“.