Hape Kerkeling verkleidete sich als Rico Mielke oder parodierte klassische Musik mit dem legendären „Hurz!“-Sketch. Und jetzt? Ist er längst eine politische Größe.
Im März dieses Jahres nimmt alles seinen Anfang. Damals trifft sich t-online mit Hape Kerkeling zu einem Interview – und wenige Tage später schlägt das Ergebnis Wellen. Der Entertainer macht seinem Ärger Luft, spricht von einer „Katastrophe“, weil Menschen die AfD wählen, und spricht sich eindeutig für ein Verbot der Partei aus: „Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass Faschismus jemals durch Diskussion beendet wurde“, beginnt er und fügt an: „Ich höre immer nur, es wäre zu riskant, diese Partei zu verbieten. Diese Argumentation halte ich für geradezu grotesk.“
Inzwischen ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. Unzählige Interviews und Auftritte Kerkelings sind seitdem hinzugekommen. Jüngst ein Interview bei Sandra Maischberger in der ARD. Auch dort wiederholt der 59-Jährige sein Credo: „Welcher Idiot ist Mitglied in einer Partei, die teilweise rechtsradikal ist? Das kann kein wirklicher Demokrat sein“, wettert der Entertainer und Buchautor dort über die AfD und ihre jüngsten Wahlerfolge in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.
Ist die einst von ihm erdachte Kunstfigur Horst Schlämmer, die in ihrer Wesensart schon 2009 dem Typus des „Wutbürgers“ ähnelte, auf Kerkeling selbst übergegangen? Verfolgt auch der Komiker eine politische Mission? Wird es statt der Horst-Schlämmer-Partei (HSP) bald das Bündnis-Hape-Kerkeling (BHK) geben, mit der damals so einprägsam wie humorvoll gemeinten Formel „liberal, konservativ und links“?
Vermutlich nicht. Kerkeling ist kein Politiker – und will es allem Anschein nach auch nicht werden. Der Gedanke an einen Hape Kerkeling in einem Plenarsaal oder auf einem Parteitag bleibt eine Imagination, die seiner Horst-Schlämmer-Rolle vorbehalten ist. Und doch hat sich etwas verändert. Aus dem Komiker, dem Grandseigneur der guten Laune, ist ein Mahner geworden.
Die Heiterkeit mag noch vorhanden sein, doch die Ernsthaftigkeit hat die Oberhand gewonnen. Schon vor langer Zeit hat Hape Kerkeling der Showbranche abgeschworen, seine Kostüme von Rico Mielke über Uschi Blum bis Königin Beatrix an den Nagel gehängt. Vor ziemlich genau zehn Jahren zog er sich zurück aus dem Fernsehen – und tritt seitdem als nachdenklicher Autor auf, der Lesungen gibt und eher im Hintergrund Synchronrollen spricht, statt im Scheinwerferlicht Kunstfiguren zu mimen.
Seine Autobiografie „Der Junge muss an die frische Luft“ lässt bereits 2014 erahnen, was Kerkeling im Innersten umtreibt. Er wächst in einer antifaschistischen Familie auf, beherzigt die Ideale einer freien und toleranten Welt. Die Beobachtungsgabe ist seit jeher eine der obersten Fertigkeiten eines Komikers – und Hape Kerkeling ist mit ihr gesegnet, er ist ein Naturtalent. Schon als kleiner Junge spielt er seiner todkranken Mutter, die starb, als Kerkeling gerade mal acht Jahre alt war, Sketche vor. Kerkelings Material ist der Alltag im nordrhein-westfälischen Recklinghausen, und sein Vorbild ist Loriot.
Kerkeling schlüpft in Rollen, weil es ihm Spaß bereitet. Doch in ihm ist schon immer das Bedürfnis verankert, ernst genommen zu werden. Seine frühere Musik- und Literaturlehrerin am Recklinghäuser Marie-Curie-Gymnasium erinnert sich 2018 in einem „Spiegel“-Porträt an Kerkelings erste Bühnenerfahrung in der Schulaula. Er habe unbedingt die Cäsar-Rolle spielen wollen und mit so viel Ernst vorgesprochen, dass daraus eine lustige Nummer wurde. Die Lehrerin rief Kerkeling zu: „Hans-Peter, lass mal gut sein, du machst lieber die komische Rolle.“
Das Erbe meines Großvaters, der im Konzentrationslager war, sehe ich tatsächlich für mich als Verpflichtung.“
Hape kerkeling
Rückblickend wirkt diese Szene wie eine Erklärung für seine Verwandlung – in die eine wie die andere Richtung. Zu Beginn seiner Karriere im WDR wird er zum Star, weil er mit Unbekümmertheit, Witz und Einfallsreichtum die Massen begeistert. Damals sieht keiner die Schattenseiten, die Gedanken eines Mannes, der mit der Oberflächlichkeit und den Eitelkeiten hinter den Kulissen hadert. Man habe ihm immer gesagt, „sei lustig, bleib deiner Linie treu“, so beschreibt er das „Schuster, bleib bei deinen Leisten“-Prinzip, das ihm die Senderchefs einzubläuen versuchten. Er fühlt sich eingeengt, doch keiner sieht sein Dilemma.