Er entspricht nicht dem Klischee junger Menschen, für die Freizeit wichtiger ist als Arbeit – er kennt aber welche. Wer viel leistet, müsse auch gut verdienen, sagt Tim Sers.
Die Wirtschaft stagniert. Schuld daran sei auch, dass Deutschland sich vom Leistungsgedanken verabschiedet, kritisieren Politiker und Unternehmer. Stimmt das? Wie denken die Menschen im Land darüber? Und was verstehen wir eigentlich unter Leistung? t-online geht diesen Fragen in einer Serie nach, lässt dazu bekannte und unbekannte Menschen zu Wort kommen. In dieser Folge:
Tim Sers, 24, gelernter Hörakustiker, macht gerade das Fachabitur, um dann zu studieren:
„Um etwas zu erreichen, muss man Leistung bringen. Das ist für mich heute völlig klar. Je mehr man leistet, umso besser sollte man dann aber auch dafür entlohnt werden. Das funktioniert nur leider nicht in jedem Job. Ich zum Beispiel habe eine Ausbildung zum Hörakustiker gemacht. Das ist ein anspruchsvolles Handwerk, man braucht unter anderem gute Physikkenntnisse, muss aber auch gut mit Menschen umgehen können. Auch deswegen macht mir der Beruf eigentlich viel Spaß.
Nur als Geselle hat man im Grunde keine Perspektive, mehr Geld zu verdienen. In Vollzeit habe ich 1.500 Euro netto verdient, wie soll man davon eine Familie ernähren? Selbst wenn ich meinen Meister gemacht hätte, hätte ich gerade einmal 600 Euro mehr bekommen. Deswegen hole ich jetzt mein Fachabi nach und will dann noch studieren – am liebsten Psychologie oder Wirtschaftspsychologie.
Zur Person
Tim Sers ist 24 und lebt in Langen bei Frankfurt. Nach dem Realschulabschluss hat er die Handelsschule besucht, danach eine Ausbildung als Hörakustiker gemacht und anschließend als Geselle gearbeitet. Zurzeit hat er eine Halbtagsstelle als Hörakustiker und besucht nachmittags ein Kolleg, an dem er sein Fachabitur macht. Ab nächstem Jahr möchte er Wirtschaftspsychologie studieren.
Ich hätte das natürlich einfacher haben können, wenn ich in der Schule schon einen Plan vom Leben gehabt hätte. Aber da war ich in der Pubertät und hatte überhaupt keine Lust mehr auf Lernen. Daher bin ich nach dem Realschulabschluss runter von der Schule. Ich war total orientierungslos, so wie viele meiner Freunde, wusste nicht, was ich eigentlich machen will, und habe deshalb erst einmal eine Berufsorientierung auf einer Handelsschule gemacht. Danach dann die Ausbildung zum Hörakustiker.
Heute stecke ich all meine Energie darin, weiterzukommen und finanziell unabhängig zu sein. Ich habe eine Sechs-Tage-Woche: Von Montag bis Freitag arbeite ich halbtags in meinem gelernten Beruf als Hörakustiker, am Nachmittag bis 19 Uhr, manchmal auch bis 21 Uhr gehe ich dann zur Schule, um mein Fachabitur nachzumachen. Weil das Geld vom Halbtagsjob nicht reicht für eine eigene Wohnung, jobbe ich samstags zusätzlich auf einer Baustelle. Das ist anstrengend, aber ich habe ein Ziel vor Augen. Mein Traum wäre es, irgendwann als Therapeut eine eigene Praxis zu haben.
Wie tickt die Jugend?
Dass die Jugend faul sei, ist ein Mythos. Das schreiben die Autoren der Trendstudie „Jugend in Deutschland 2023“. Denn ihre umfangreiche Befragung von jüngeren, mittleren und älteren Bevölkerungsgruppe zeigt deutlich, dass die Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft bei den 14- bis 29-Jährigen, wie auch bei den älteren Befragten, sehr stark ausgeprägt ist. Im Vergleich dazu sind es eher die 30- bis 49-Jährigen, die Geld und Spaß am stärksten für Leistung motiviert. Die Jungen schätzen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt als sehr gut ein, weshalb sie auch hohe Erwartungen an Arbeitgeber haben: Wichtig sind ihnen insbesondere eine gute Arbeitsatmosphäre, gute Vorgesetzte und die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Mehr dazu hören Sie vom Autor der Studie selbst in der Podcastfolge weiter unten.
Wenn ich mein Leben mit dem von einigen meiner Freunde vergleiche, denken da nicht alle so. Einer hat zum Beispiel auch eine Ausbildung gemacht als Kaufmann im Online-Marketing. Dem war das Geld, das er danach bei seinem Arbeitgeber hätte verdienen können, auch zu wenig – doch statt sich weiterzubilden, hat er ein bisschen gejobbt und bekommt nun seit drei Monaten Bürgergeld. Er sagt, das sei nur unwesentlich weniger, als das, was er in seinem alten Job bekam.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich diskutiere viel mit ihm darüber, auch dass es mich ärgert, weil ich ihn ja irgendwie mit meinen Steuern finanziere, aber er ist da bockig. Andere Freunde wohnen noch zu Hause, auch weil es billiger ist und vielleicht auch bequemer. Da sind manche noch ganz schön unselbstständig. Für mich wäre das nichts. Aber ich glaube, man kann nicht alle aus meiner Generation über einen Kamm scheren. Ich habe auch Freunde, die viel und gern arbeiten.
Meine Eltern haben mich sicherlich auch geprägt. Beide haben immer Vollzeit gearbeitet. Mit meiner Mutter diskutiere ich viel darüber, was wichtiger ist: Spaß bei der Arbeit oder der Verdienst. Sie sagt, Spaß bei der Arbeit sei ihr wichtiger, das Betriebsklima, nette Kollegen.
Wer so viel arbeitet, muss auch gut davon leben können.
Tim Sers
Bei meinem Vater habe ich früh verstanden, dass er für das, was er leistet, viel zu schlecht verdient: Er ist Koch aus Leidenschaft, arbeitet fast jedes Wochenende, an Feiertagen, oft 50 bis 60 Stunden in der Woche und bekommt dafür extrem wenig Geld. Dabei hat er Abitur. Er sagt trotzdem, dass er den Beruf liebt. Für mich wäre das nix. Ich finde, man muss, wenn man so viel arbeitet, auch gut davon leben können.
Auf Dauer will ich nicht so viel arbeiten wie im Moment. Aber gerade fühlt es sich für mich gut an. Leistung befriedigt ja auch. Wenn ich zum Beispiel für eine Klausur viel gelernt habe und dann eine gute Note bekomme, ist das ein echt gutes Gefühl. Oder wenn ich auf der Baustelle neue Sachen lerne, die ich dann auch zu Hause gut beim Heimwerken gebrauchen kann.“