„Ilmenau – Himmelblau“: Das Motto der Goethestadt in Thüringen könnte bei der Landtagswahl politische Realität werden. Liegt der AfD-Zulauf an der Teilung der Ortschaft?
In Ilmenau nehmen sie es mit der akademischen Viertelstunde sehr genau. Um 18.14 Uhr startet an diesem Mittwoch die Podiumsdiskussion zu den Landtagswahlen im Auditorium Maximum, dem größten Hörsaal der ansässigen Technischen Universität. Wegen „technischer Probleme“ mit dem Livestream fange sie leider später an, sagt die Moderatorin, die sich kurz darauf als „Marieke“ vorstellt, ins Mikrofon.
Auch wenn die Veranstaltung etwas holperig beginnt: Nach einer kurzen Vorstellungsrunde geht es für die sechs anwesenden Politiker der SPD, FDP, Grüne, CDU, Linke und AfD direkt zur Sache. „Vervollständigen Sie bitte den Satz: ‚Es soll nie wieder … passieren'“, fordert Marieke die Diskutanten auf. Jens Dietrich, der AfD-Spitzenkandidat im Südlichen Ilmkreis, antwortet: „Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt“.
„Das darf es nie wieder geben?“, pariert Marieke sogleich. Viele der rund 60 Studierenden und TU-Mitarbeitern im Hörsaal lachen. Jens Dietrich versucht seinen Fauxpas mit einem schnellen „Nein“ zu retten und schiebt hinterher, „dass es keinen Krieg gibt und keine gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die hart ausgetragen werden“ geben dürfte.
Doch da war der Satz bereits in der Welt. Was klar wird an diesem Mittwochabend: Der AfD-Politiker ist hier an der TU Ilmenau in der Abseitsposition.
Außerhalb von Seminaren und der Unimensa sieht das Bild in Bezug auf die AfD jedoch anders aus. Die Stadt ist politisch gespalten.
Am Sonntag stehen Landtagswahlen in Thüringen an: Auch in Ilmenau dürfte die Partei, deren Thüringer Landesverband als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, auf einen deutlichen zweistelligen Prozentwert kommen. Erst bei der Kreistagswahl wurde die AfD mit errungenen 14 Sitzen stärkste Kraft im Ilmkreis.
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Dass Spitzenkandidat Björn Höcke indes bald den Ministerpräsidenten des Freistaates stellt, ist zwar unwahrscheinlich. Doch die AfD könnte trotzdem in vielen politischen Entscheidungen das Zünglein an der Waage sein. Manch einer in Ilmenau befürchtet, das Motto „Ilmenau – Himmelblau“ könne politische Realität werden.
Woher aber rührt der AfD-Zulauf in Ilmenau? Einer 39.000-Einwohner-Stadt, in der Goethe gewirkt hat, hier gar sein bekanntes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“ an die Wand des Jagdaufseherhäuschens auf dem Kickelhahn geschrieben haben soll?
Es ist die Bahnschiene, die durch den Ort führt und die Teilung der Stadt deutlich macht.
Auf der rechten Seite erstreckt sich am Stadtrand der Campus der einzigen Technischen Universität Thüringens. Mehr als 4.400 Studierende besuchen hier Vorlesungen und Seminare für Elektrotechnik, Maschinenbau oder Informatik. Etwa die Hälfte kommt aus dem Ausland. Bereits zu DDR-Zeiten war hier eine Technische Hochschule ansässig. Auch eine Start-up-Schmiede sitzt auf dem Campus.
Das Unigelände mit seinen zahlreichen Beton- und Glasbauten ist an diesem Mittwoch – dem 275. Geburtstag Goethes – jedoch verwaist: Es sind Semesterferien. Auf dem Campus sind hauptsächlich Studierende anzutreffen, die an der Podiumsdiskussion teilnehmen oder an deren Organisation beteiligt waren – wie Fabian de Planque.
Der 33-Jährige studiert im Master Maschinenbau an der TU, hofft, sein Studium Mitte nächsten Jahres abzuschließen. De Planque fürchtet den Zulauf für die AfD. „Man muss stets betonen, dass die AfD keine demokratische Partei ist.“ Man dürfe sie nicht auf eine Stufe mit den anderen Parteien stellen, so der Student.
Sein Kommilitone Falk Matthes ist nicht sonderlich froh darüber, dass der rechtspopulistische Politiker Dietrich hier sprechen darf. „Doch das gehört nun mal dazu“, sagt der 34-Jährige, der sich als studentischer Konsul an der Universität engagiert und von sich selbst sagt, „linksgerichtet“ zu sein. Beide diskutieren regelmäßig über die AfD, fürchten, dass die TU an Attraktivität für ausländische Studierende verliert, wenn die Partei weiter an Zulauf gewinnt.