Langwierige Genehmigungsverfahren gelten als Bremse für große Industrieprojekte.
(Foto: dpa)
Berlin Die Planungen für große Bauvorhaben könnten wahrscheinlich deutlich schneller vorankommen, wenn der Gesetzgeber die Mitspracherechte von Bürgern beschneiden würde. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten der Kölner Wirtschaftskanzlei Luther für den Verband der Chemischen Industrie (VCI).
„Ein möglicher Ansatzpunkt für die Erzielung beschleunigender Effekte sind die Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung“, schreiben die Juristen. Insbesondere gelte dies für den „aufwendigen Erörterungstermin“ im umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz.
Die Experten halten einen solchen Termin zum mündlichen Austausch über vorgebrachte Einwendungen gegen ein Projekt für entbehrlich und einen Verzicht auch europarechtlich für möglich. Rechtlich sei es „nicht geboten, der Öffentlichkeit neben der Abgabe von Stellungnahmen in Textform auch eine Möglichkeit zum mündlichen Austausch zu geben. Das Unionsrecht verlangt dies nicht“, heißt es in dem Gutachten.
Die bisherige Verfahrenspraxis stufen die Juristen auch wegen knapper Ressourcen aufseiten der Genehmigungsbehörden und der Vorhabenträger als „besonders zeitintensiv“ ein. Dies betrifft unter anderem die Terminvorbereitung, die „regelmäßig viel Zeit“ in Anspruch nehme.
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Sie umfasst etwa die Anfertigung von Stichwortzetteln für jeden denkbaren mündlichen Vortrag und könne insbesondere bei streitigen Großprojekten bis zu einer probeweisen Simulation des Termins und Kommunikationstrainings mit spezialisierten Agenturen und Rechtsanwaltskanzleien gehen, schreiben die Experten in ihrer Experience.
Tesla-Kritik an deutscher Bürokratie
Die Wirtschaft fordert seit Langem schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland. „Bei Genehmigungsverfahren für neue Wind- und Solaranlagen bewegen wir uns wie ein Koalabärchen beim Mittagsschlaf – gar nicht“, kritisierte zuletzt Christian Kullmann, Präsident des VCI sowie Vorstandsvorsitzender von Evonik.
Auch der US-Elektroautohersteller Tesla, der derzeit in Grünheide bei Berlin seine erste europäische Fabrik baut, sieht die Verfahrenspraxis in Deutschland kritisch. Bis heute gibt es keinen Zeitplan für die Erteilung einer endgültigen Genehmigung für das Werk in Brandenburg.
Die ersten Autos sollten bereits 2021 vom Band rollen. Umweltschützer und Anwohner haben Hunderte Einwände erhoben – unter anderem wegen Umweltrisiken, die sie sehen, und wegen des Wasserverbrauchs im Autowerk und in der Batteriefabrik, die Musk dort plant.
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Naturschützer und Anwohner sehen die Öffentlichkeitsbeteiligung als Möglichkeit, auf adverse Konsequenzen für die Umwelt hinzuweisen, die mit einem Bauprojekt verbunden sein könnten. „Die Bürgerbeteiligung gehört im demokratischen Rechtsstaat zu Planungsverfahren unabdingbar dazu“, sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner, dem Handelsblatt. Um oftmals langwierige Verfahren zu beschleunigen, schlug er vor, Behörden besser personell und mit digitaler Technik auszustatten. Außerdem sollten bei Naturschutzfragen bundesweit einheitliche Regeln gelten.
Die Juristen der Kanzlei Luther geben indes zu bedenken, dass der Erörterungstermin in der Praxis häufig nicht der „verfahrensförderlichen Diskussion“ des konkreten Vorhabens diene.
Ampel will Planungsverfahren digitalisieren
Oftmals würden vielmehr „allgemeine gesellschaftliche und politische Erwägungen des Umweltschutzes und zu den Realitäten einer modernen Industriegesellschaft in einem dicht besiedelten Land sowie zum globalen Klimaschutz vorgebracht“. Hierdurch verfehle der Erörterungstermin nicht selten sein im Gesetz formuliertes „Ziel, die für die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens relevanten und rechtzeitig erhobenen Einwendungen zu erläutern und dadurch eine Befriedung herzustellen“.
Kürzere Planungs- und Genehmigungsverfahren sind ein Kernprojekt der neuen Bundesregierung. In ihrem Koalitionsvertrag kündigen SPD, FDP und Grüne etwa an, die Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsprozessen „priorisiert“ umzusetzen.
Die Juristen der Kanzlei Luther begrüßen die Pläne. Das EU-Recht und das Umweltvölkerrecht ermunterten sogar zu einer stärkeren Nutzung der Informationstechnologie in Genehmigungsverfahren. Die umfangreichen Aktenordner, die bisher in den Amtsstuben der Genehmigungsbehörden eingesehen werden können, dürfen demnach durch Unterlagen im Web ersetzt werden.
Angesichts einer Verbreitung von Internetbreitbandanschlüssen in über 90 Prozent der deutschen Haushalte erscheine es nicht unzumutbar, der Öffentlichkeit ausschließlich den Internetzugriff auf die Planungs- und Genehmigungsunterlagen zu eröffnen, heißt es in dem Rechtsgutachten.
DUH-Experte Müller-Kraenner hält das für unzureichend. „Persönliche Erörterungstermine, an denen sich Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen und gesellschaftlichen Schichten beteiligen können, sind für eine barrierefreie Bürgerbeteiligung essenziell und können nicht gleichwertig durch rein schriftliche oder Onlineverfahren ersetzt werden“, sagte er.
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