Berlin, Düsseldorf Man merkt Peter Chaljawski die Ergriffenheit an. „Die Welle an Solidarität in der Wirtschaft und in der deutschen Bevölkerung finde ich großartig und wichtig“, sagt der Gründer und Chef des E-Commerce-Unternehmens Berlin Manufacturers Group (BBG). „Die Menschen vor Ort spüren, dass die Welt an ihrer Seite steht.“
Der Unternehmer wurde selbst in der Ukraine geboren, kam mit vier Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland, auch viele seiner Mitarbeiter haben Familie und Freunde in dem Land, in dem Putins Krieg tobt.
Für den 35-Jährigen conflict deshalb schnell klar, dass er helfen muss. So unterstützt BBG eine Gruppe von freiberuflichen Mitarbeitern bei der Flucht aus dem umkämpften Odessa. Mitarbeiter in der Zweigniederlassung in der Slowakei betreuen an der Grenze Menschen, die aus der Ukraine flüchten. Der Onlinehändler hat auch eine Drehscheibe für Hilfstransporte in Berlin eingerichtet.
Das Schicksal der Menschen in der Ukraine berührt viele Unternehmerinnen und Unternehmer. Laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind bereits mehr als eine Millionen Menschen aus den Kriegsgebieten geflohen, der Großteil ist zunächst in Nachbarländern wie Polen untergekommen.
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Dorthin hat der Münchener Agar- und Baustoffhändler Baywa am Donnerstag einen ersten Sattelschlepper geschickt, beladen mit Trinkwasser, Hygieneartikeln und Babynahrung für die Menschen in einem Erstaufnahmelager an der Grenze zur Ukraine. In Kooperation mit den Johannitern sollen in den nächsten Tagen bis zu 20 weitere Lastwagen folgen.
Logistiker organisieren Lager- und Transportkapazitäten
Entsprungen ist die Idee einer privaten Initiative aus der Nachbarschaft, inzwischen ziehen im Konzern mit weltweit 21.000 Mitarbeitern alle mit. Der Einkauf telefoniert die Lieferanten ab, die Logistiker organisieren Lager- und Transportkapazitäten – und die Baywa-Stiftung verspricht, jede eingegangene Spende von Mitarbeitern zu verdoppeln. Ziel sei es, dass „die Hilfe schnell und direkt bei den betroffenen Menschen ankommt“, sagt Baywa-Chef Klaus Josef Lutz.
Einen ersten Sattelschlepper mit Hilfsgütern auf den Weg nach Polen geschickt.
(Foto: BayWa AG)
Eine Woche nach Beginn der Kämpfe in der Ukraine helfen zahlreiche Firmen und Belegschaften mit, das Nötigste für Geflüchtete zu organisieren – Kleidung, ein Dach über dem Kopf, Nahrungsmittel. Manchmal geht es auch einfach darum, eine Verbindung zu den Menschen in der Heimat herzustellen. So verlangen die Deutsche Telekom und Vodafone für Anrufe und SMS in die Ukraine derzeit kein Geld.
„Ich finde es bemerkenswert, welche Solidarität und Anteilnahme nicht nur Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, sondern auch viele deutsche Unternehmen jetzt zeigen“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dem Handelsblatt.
Am vordringlichsten sei, dass geflüchtete Menschen sicher bei nach Deutschland ankommen, intestine aufgenommen und untergebracht würden. Wichtig sei aber auch, dass die Menschen schnell eine Perspektive erhielten. Die Bundesregierung arbeite mit den europäischen Partnern daran, die rechtlichen Voraussetzungen für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme der Geflüchteten zu schaffen. „Dann haben Unternehmen noch einmal ganz andere Möglichkeiten zu helfen.“
„Ich finde es bemerkenswert, welche Solidarität und Anteilnahme nicht nur Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, sondern auch viele deutsche Unternehmen jetzt zeigen.“
(Foto: imago pictures/photothek)
So haben sich am Donnerstag die EU-Innenminister geeinigt, erstmalig die sogenannte „Massenzustrom“-Richtlinie zu aktivieren. Ziel ist, Geflüchteten auch ohne langwieriges Asylverfahren einen zeitlich befristeten Aufenthaltsstatus, soziale Sicherung und Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren.
>> Lesen Sie hier: Wie die EU-Staaten die Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine organisieren wollen
Wenn das geschafft sei, könne man auch an erfolgreiche Initiativen wie „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ anknüpfen, sagte Habeck. In dem beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) angesiedelten und vom Wirtschaftsministerium geförderten Netzwerk engagierten sich quick 3000 Unternehmen bisher bei der Integration von Menschen, die vor den Kriegen in Afghanistan, Syrien oder dem Irak geflohen waren. „Das ist gelebte Verantwortung, auf die wir stolz sein können“, so Habeck.
Auch jetzt unterstützt der DIHK Unternehmen, die helfen wollen, etwa mit einer Übersicht der am dringendsten benötigten Hilfsgüter. Zahlreiche Firmen engagieren sich bereits. Die Einzelhändler Rossmann und Rewe spenden Wasser und Nahrungsmittel und organisieren zum Teil sogar selbst die Lieferung in die Ukraine. Ein Transport musste aufgrund von Kampfhandlungen von der ursprünglich geplanten Route abweichen und hat schließlich eine Eskorte bekommen, heißt es bei Rossmann.
Die Schwarz-Gruppe mit ihren Handelssparten Lidl und Kaufland hat eine Spende von zehn Millionen Euro zugesagt, um Geflüchtete in grenznahen Gebieten zu versorgen. Der Autokonzern VW und der Energieversorger RWE haben zum selben Zweck jeweils eine Million Euro gespendet, Vodafone 500.000 Euro.
Zunächst Versorgung mit dem Nötigsten: Bayerische Busunternehmer verstauen Hilfslieferungen für Geflüchtete.
(Foto: Landesverband Bayerischer Omnibusunternehmen e.V.)
Manche Firmen engagieren sich ganz praktisch: Busunternehmen, die gespendete Hilfsgüter Richtung Osten transportieren, nehmen auf dem Rückweg Geflüchtete mit. Auf einen entsprechenden Aufruf des Landesverbands Bayerischer Omnibusunternehmen meldeten sich innerhalb eines Tages rund 50 Busunternehmer aus Bayern, die sich kurzfristig mit über 100 Fahrzeugen auf den Weg nach Polen machen. Die Deutsche Bahn oder Flixbus nehmen Geflüchtete kostenlos mit.
Kostenlose Unterbringung
Auch bei der Suche nach einer Bleibe hilft die Wirtschaft. Das US-Unternehmen Airbnb will bis zu 100.000 Flüchtlingen aus der Ukraine eine kostenlose Unterbringung in Polen, Deutschland, Ungarn oder Rumänien ermöglichen. Finanziert werden soll das Angebot vom Unternehmen, dem eigenen Flüchtlingsfonds und den Gastgebern.
Die Deutsche Messe AG in Hannover richtet eine Messehalle als Behelfsunterkunft her, der Klinikbetreiber Asklepios bringt Geflüchtete in leer stehenden Immobilien des Konzerns unter.
Der Gruppenkonten-Anbieter Elinor, die gemeinnützige GLS Financial institution, die Suchmaschine Ecosia und die Spendenplattform Betterplace haben gemeinsam eine Onlineplattform erstellt, auf der sich Menschen anmelden können, die mindestens zwei Wochen lang ein Zimmer an Geflüchtete geben können.
Mittlerweile haben sich quick 50.000 Unterstützer gefunden, die mehr als 120.000 Betten anbieten. Mitarbeiter der Unternehmen kümmern sich jetzt darum, die Geflüchteten mit den Gastgebern zusammenzubringen.
Beim Einzelhändler Rewe werden Lebensmittel für den Transport verpackt.
(Foto: Rewe)
Langfristig wird es auch um die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten gehen, wenn eine rasche Rückkehr in die Ukraine nicht möglich sein sollte. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) berichtet bereits von vielen Anfragen. Zwar betont BA-Chef Detlef Scheele, dass es zuallererst um humanitäre Hilfe vor allem für Frauen und Kinder gehe.
Dennoch ist die Bereitschaft von Unternehmen groß, Geflüchteten auch einen Job anzubieten oder bei der Vermittlung zu helfen. „Es ist auch eine Frage der Menschenwürde, dass die Geflüchteten hier so rasch wie möglich einen Job bekommen“, sagt der Unternehmer Marcus Diekmann.
Zusammen mit den Digitalunternehmen Enterprise-on.de, Minubo, Vow to the New und Shopware hat er kurzerhand unter jobaidukraine.com ein Jobvermittlungsportal aufgebaut. Bei der Jobakquise hilft auch die Initiative „Händler helfen Händlern“, in der 4700 Unternehmen organisiert sind.
„Das nächste Thema ist dann die Sprache“, sagt DIHK-Präsident Peter Adrian. „Hier brauchen wir unbürokratische Sprachangebote vor Ort und auch in digitalen Formaten.“
Mehr: Wirtschaft hilft – Interview mit dem DIHK-Präsidenten Peter Adrian