Warum er in der Anhörung beim Amt nicht erzählt habe, dass er von der Polizei festgehalten worden sei?
Weil ihm dazu keine Fragen gestellt worden seien, sagt Herr E.
Ob er Belege für seine Mitgliedschaft bei der HDP vorlegen könne?
Könne er, die müsse er aber zuerst einmal besorgen.
Aber verhandelt werde heute, das Amt habe ihn bereits darauf hingewiesen, dass es die Belege brauche. Warum die immer noch fehlten?
Er sei zu kurzfristig über die Verhandlung informiert worden.
Ob er mit seinem Anwalt darüber gesprochen habe?
Nein, mit dem habe er damals nur über die Einreichung der Klage gesprochen.
Eine Stunde lang gehen die Fragen im Dreieck Anderl-Dolmetscherin-Herr E. hin und her. Dann erweitert Anderl den Kreis, fragt, ob der Anwalt noch Fragen habe?
Anderl scheint das nicht zu verblüffen. Sie hebt ein letztes Mal ihr Diktiergerät, fasst noch einmal zusammen, erklärt dann: Sie könne Herrn E. und die Gründe, warum er die Türkei verlassen habe, verstehen. Aber normales Mitglied in der HDP gewesen zu sein, reiche aktuell nicht für den Schutzstatus in Deutschland – dafür müsse man eine offizielle Funktion, ein höheres Amt in der Partei bekleidet haben.
Auch jetzt will sie nicht sofort entscheiden, das Protokoll noch einmal durchgehen. Herr E.s Anwalt werde Post erhalten. „Danach können Sie noch vors Oberverwaltungsgericht gehen.“
Herr E. verlässt den Raum, sein Anwalt packt seine Tasche, tritt auf den Flur. Die Aussicht auf das negative Urteil scheint ihn nicht zu stören.
„Für uns ist das Asylverfahren nur das Sprungbrett“
Für manchen Anwalt spielt die Aussicht auf Erfolg hier keine Rolle. Die Verhandlungen beim Verwaltungsgericht seien egal, erklärt einer, der in Berlin viele Asylklagen übernimmt, am Rande eines Verfahrens. „Für uns ist das Asylverfahren nur das Sprungbrett ins Aufenthaltsrecht.“
Fast keiner der Fälle hier nämlich gehe anders aus als beim Amt. Wer dort nicht alle Argumente vorgetragen habe, habe kaum Chancen darauf, das Ruder noch herumzureißen.
Doch während das Asylverfahren laufe, könnten die Mandaten Jobs suchen, arbeiten, Deutsch lernen – das erhöht für Menschen in der Türkei die Chancen enorm, ohne Asyl in Deutschland bleiben zu können. Noch besser aber sei eine Ehe mit einer deutschen Frau, am besten: mit Nachwuchs. Der Anwalt lacht. „Ich rate jedem meiner Mandanten als Erstes: Heirate, krieg Kinder!“
Das Verfahren am Verwaltungsgericht ist für solche Juristen nicht mehr als ein Spiel auf Zeit. Ein simpler Kniff, um das System mit seinen eigenen Mitteln auszudribbeln.
Er macht keinen Hehl daraus, dass Anwälte wie er so eine Menge Geld für wenig Arbeit verdienen können. Bei eher aussichtslosen Fällen verschickt würden Standardschreiben, immer dieselben, dazu ein Termin wie dieser bei Gericht. Das macht für ihn nicht einmal zwei Stunden Arbeit – aber ein Honorar, das hoch ausfallen kann.
Und das Asylverfahren ist erst der Anfang, die erste Bindung an oft höchst ertragreiche Mandanten. So sei das eben mit Mandanten, die kaum Deutsch sprechen und deren Bildung oft schlecht sei.
Wieder lacht der Anwalt herzlich. „Ich nenne das: die Biografie des Kurden.“
„Nicht zu schaffen“
Die Preise für solche Anwälte zahlen nicht nur ihre Mandanten. Sondern auch Richter wie Laura Anderl, deren Verhandlungssäle sie belegen. Die wissen, dass die meisten Kläger, die vor ihnen stehen, keine Chancen haben. Genaue Zahlen nennt das Gericht nicht, die Statistik sei kompliziert. Aber: „Man kann allgemein sagen, dass die überwiegende Zahl der Klagen in keinem der Bereiche Erfolg hat“, teilt ein Sprecher mit.
Es ist Sisyphusarbeit – aussichtslos, freudlos, hart in der Sache. Und der Berg, den die Richter jeden Tag erklimmen, generiert sich noch immer durch den Rückstau aus den Ausnahmejahren 2016, 2017, 2018.
Trotzdem ist die Haltung von Anderl und ihren Kollegen in Gesprächen deutlich: Das mache den Rechtsstaat aus, jeder hier habe das Recht auf ein faires Verfahren. Man könne nicht ausschließen, dass die vorherigen Behörden Fehler machen.
Aber Verfahren in nur drei Monaten abzuschließen, wie die Politik es jetzt will? „Das ist absehbar nicht zu schaffen“, so formuliert es ein Sprecher des Verwaltungsgerichts Berlin. Es ist höflich-moderat für: Vergesst es, unmöglich.
In Berlin hat es seit 2016 keine nennenswerten personellen Verstärkungen gegeben. Es wäre der Berg, den die Politik zuerst angehen müsste – damit die Justiz den ihren schaffen kann.
*Name von der Redaktion geändert