Kriegsmüdigkeit dürfte sich im Westen schneller einstellen als in Russland.
(Foto: AP)
Wladimir Putin kann den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen – allerdings verliert er ihn auch nicht. Die russischen Angreifer und ukrainischen Verteidiger liefern sich Stellungsgefechte um Ortschaften im Osten des Landes, größere Geländegewinne gab es zuletzt nicht mehr. Beide Seiten sind erschöpft nach elf Monaten Krieg.
Doch was, wenn Putin das Patt länger durchhält als die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer? Diese Sorge wird ungern ausgesprochen, aber wer sich in Brüssel umhört, spürt schnell, wie sehr sie die Spitzen von EU und Nato umtreibt. Darum wird jetzt die Lieferung von westlichen Kampfpanzern vorbereitet. Das Tabu fällt in der Hoffnung, dass immer schwerere westliche Waffen die Wende bringen.
„Wir dürfen Russland nicht unterschätzen“, mahnt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Handelsblatt-Interview. Die schlechte Moral und mangelnde Ausrüstung der russischen Truppen gleicht Putin damit aus, dass er immer neue Kräfte an die Front wirft.
200.000 Soldaten hat er im vergangenen Herbst mobilisiert, weitere dürften folgen. Skrupel, sie als Kanonenfutter zu verheizen, plagen ihn nicht. Großen Teilen der russischen Bevölkerung hat der Kreml eingebläut, dass ihr Mutterland einen Existenzkrieg gegen den „kollektiven Westen“ austrägt.
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Mit solcher Propaganda stärkt Putin die Leidensbereitschaft der russischen Bevölkerung. Anzeichen, dass die internationale Isolation oder der Niedergang der russischen Wirtschaft Unruhen auslösen oder gar Putins Macht gefährden könnte, gibt es nicht.
In Europa hält Front noch
Kriegsmüdigkeit dürfte sich im Westen schneller einstellen als in Russland. Zwar hilft der milde Winter den Europäern: Das Katastrophen-Szenario von Stromausfällen und Produktionsstilllegungen ist ausgeblieben, ebenso die befürchteten Massenproteste. Doch der wahre Stresstest steht noch bevor – der kommende Winter, auf den sich Europa nicht mehr durch Großeinkäufe von russischem Erdgas vorbereiten kann.
Jede Woche analysiert Moritz Koch, Leiter des Handelsblatt-Büros in Brüssel, im Wechsel mit anderen Brüsseler Korrespondenten Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der EU. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen ihn unter: [email protected]
Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es den westlichen Verbündeten fallen, die Ukraine mit Milliardenprogrammen zu stützen. Deutlich wird das schon in den USA: Die neue republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus umfasst Trumpisten, die Waffen- und Finanzhilfen an Kiew zurückfahren wollen. Teile des rechten Spektrums in Amerika sympathisieren offen mit Putin. In Europa hält die Front noch weitestgehend. Nur wie lange?
Brüsseler Diplomaten befürchten, dass Putin eine neue Offensive vorbereitet. Aus dem Norden, Osten und Süden, ähnlich wie im vergangenen Jahr, aber dieses Mal nicht kopflos, sondern kalkuliert. Schon jetzt ist die ukrainische Armee gezwungen, Verteidigungslinien zu verstärken – und damit ihre Kräfte im Osten auszudünnen.
Die Eskalationsangst stand Lieferungen westlicher Kampfpanzer lange im Weg. In Brüssel tritt sie nun hinter eine andere Angst zurück: Wenn Putin sein Minimalziel – die Zerschlagung der Ukraine – doch noch erreicht, wird die Lehre für Despoten in aller Welt sein: Aggression bringt Ruhm, sie zahlt sich aus.
Westliche Kampfpanzer könnten der Ukraine helfen, Putins Eroberungspläne zu durchkreuzen, sie sind den russischen Modellen deutlich überlegen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der nicht mehr liefern will als gerade nötig, wird sich dieser Logik nicht länger entziehen können. Die Ukraine muss ihr verlorenes Gebiet zurückerobern können, weil Putin scheitern muss, damit Europa sicher bleibt.
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