Hamburg, Düsseldorf Bei Edeka liegen keine Schokoriegel von Mars mehr in den Regalen, bei Aldi fehlen Cremes von Nivea. Dass Händler und Hersteller im Kampf um die Preise gerade über Kreuz liegen, spüren Kunden bei jedem Einkauf. Markenartikler wollen Händler vermehrt mit Lieferstopps unter Druck setzen.
So wird Deutschlands größter Lebensmitteleinzelhändler Edeka derzeit von 17 Konsumgüterherstellern nicht mehr beliefert. Einen Lieferstopp für Teile oder das komplette Sortiment haben etwa Pampers-Produzent Procter & Gamble, der Softdrinkanbieter Pepsi oder Persil-Hersteller Henkel verhängt.
Während Kunden davon genervt sind, gibt es auch Gewinner dieser Eskalation des Preisstreits. Und das sind nicht nur Eigenmarken wie „Ja“ von Rewe oder „Gut & Günstig“ von Edeka. Auch konkurrierende Unternehmen, die weiterhin liefern, haben dadurch einen Vorteil. Zudem drängen neue Hersteller in die Regale.
„Es gibt zahlreiche Marken, die von den Lieferstopps profitieren“, sagt Edeka-Chef Markus Mosa. Besonders deutlich sei der Effekt bei Tierfutter. Der US-Konzern Mars, der Edeka seit fast einem Dreivierteljahr nicht mehr beliefert, stellt nicht nur Schokoriegel her, sondern auch Tiernahrung der Marken Pedigree, Cesars, Frolic, Sheba oder Whiskas. Diese Ware fehlt ebenfalls bei Edeka.
Das freut die Konkurrenz: Edeka macht nun mehr Umsatz mit der Marke Purina des Schweizer Lebensmittelriesen Nestlé oder Produkten des Bremer Herstellers Vitakraft. Offenbar haben viele Tierhalter gewechselt: Nestlé hat Mars bei Tiernahrung mittlerweile als Marktführer abgelöst, zeigen Zahlen des Marktforschers Nielsen.
Lieferstopps führen aber nicht automatisch dazu, dass Kunden auf ihre gewohnten Hersteller verzichten. „Das hängt davon ab, wie resilient eine Marke ist“, sagt Christopher Spall, Geschäftsführer der Markenidentitätsberatung „Spall macht Marke“.
Mars dürfte kaum unter Lieferstopps leiden, Pepsi hingegen schon
Starke Produktmarken wie Mars-Schokoriegel oder Coca-Cola-Erfrischungsgetränke, die Marktführer sind, könnten sich Lieferstopps durchaus leisten. „Die Auswirkungen für Topmarken sind weniger dramatisch, als man vermutet“, sagt Spall.
Nur weil Mars-Riegel bei einem Händler in Deutschland fehlen, werde eine solch starke Marke nicht bedroht, so der Experte. Obwohl es im Streit mit Edeka um 450 Mars-Produkte mit einem Verkaufswert von 300 Millionen Euro geht – global erzielt Mars über 41 Milliarden Euro Umsatz.
Konkurrent Coca-Cola profitiert von den Lieferstopps des Getränkeherstellers Pepsi.
(Foto: Reuters)
Bei weniger profilierten Marken, die sich keine Monopolposition in den Köpfen der Kunden aufgebaut haben, seien die Folgen eines Lieferstopps viel größer, so Markenexperte Spall. Das bekommt etwa Pepsi zu spüren. Der Softdrinkhersteller, der ebenfalls mit Edeka im Preis-Clinch liegt, ist die ewige Nummer zwei der Branche. Marktführer Coca-Cola ist fünfmal so groß. Durch den Lieferstopp schadet sich Pepsi offenbar weiter. Denn seitdem es keinen Nachschub mehr von Pepsi gibt, ist bei den Edeka-Kaufleuten der Umsatz mit Coca-Cola-Getränken gestiegen.
Das gilt auch für die Snacks der Marke Lay’s, die ebenfalls zu Pepsico gehören. Weil sie in den Edeka-Regalen fehlen, profitieren Lorenz-Snacks aus dem Hause Bahlsen oder Chips der Marken Funny-Frisch und Chio des Düsseldorfer Herstellers Intersnack.
Siegeszug der No-Name-Ware
Wer zudem von den Lieferstopps profitiert, sind die Eigenmarken von Edeka. Nach Angaben von Edeka-Chef Mosa hat der Umsatz mit No-Name-Produkten um 24 Prozent zugelegt, während der Verkauf von Markenartikeln stagniert. Auch beim Konkurrenten Rewe seien die Erlöse mit Eigenmarken in Teilen des Sortiments um mehr als 50 Prozent gestiegen, sagt Rewe-Einkaufschef Hans-Jürgen Moog.
Aktuelle Zahlen des Marktforschers GfK belegen eine dramatische Marktanteilsverschiebung. Markenware hatte im ersten Quartal einen Umsatzanteil von 54 Prozent. Im Gesamtjahr 2021 waren es noch 59,4 Prozent. Markenhersteller haben in dem 149 Milliarden Euro schweren Markt seither acht Milliarden Euro an Umsatz eingebüßt. „Der Siegeszug der Handelsmarken hat sich fortgesetzt“, so GfK-Experte Robert Kecskes. Vor allem preiswerte Einstiegsmarken wie „Ja“ oder „Gut & Günstig“ legten am stärksten zu.
Führt diese Entwicklung dazu, dass sich Kunden dauerhaft von Marken entwöhnen? Henkel-Chef Carsten Knobel gibt sich unaufgeregt: „Verbraucher haben sich in makroökonomischen Krisenzeiten immer in Richtung Handelsmarken bewegt.“ Bei einer Normalisierung der wirtschaftlichen Situation habe sich das wieder korrigiert.
Markenexperte Spall sieht das ähnlich: „In volatilen Zeiten sind Marken als Vertrauensanker wichtiger denn je. Sie erleichtern Verbrauchern nicht nur die Kaufentscheidung, sondern bedienen ein zentrales Bedürfnis in Zeiten der Veränderung: Sicherheit.“ Gleichzeitig hätten Händler gerade „eine riesige Chance“, ihre Eigenmarken zu profilieren und damit Bindungskraft aufzubauen.
Supermärkte sind auf Marken angewiesen
Edeka-Chef Mosa will zwar weiter der Lebensmittelhändler in Deutschland sein, „der die meisten Markenartikel führt“. Doch er droht den Herstellern: „Wenn die anderen Händler weniger Marken führen, könnten wir natürlich unseren Anteil auch reduzieren.“
Sollte Edeka langfristig ohne so eine bekannte Marke wie Mars auskommen, hätte das zumindest Signalwirkung, warnt Christoph Treiber, Konsumgüterexperte bei der Beratung OC&C. „Das würde die Kräftebalance zugunsten der vier großen Händler in Deutschland verschieben.“
>> Lesen Sie auch: Streits mit Pepsi und Mars hinterlassen Spuren bei Edeka
Verzichten können Edeka und Rewe auf Marken allerdings nicht. Sie erzielen damit laut Branchenkennern 75 Prozent des Umsatzes. Und: Kunden, die etwa Produkte von Coca-Cola kaufen, würden im Schnitt mehr als 30 Euro für weitere Artikel ausgeben, während der durchschnittliche Einkauf nur bei knapp 17 Euro liege, ermittelte Marktforscher Nielsen.
Neue Marken in den Regalen
Nicht ohne Grund sind Supermärkte auf der Suche nach alternativen Marken. So kauft Edeka nun mit der Schweizer Supermarktkette Migros gemeinsam in Asien ein und führt in einigen Geschäften deren Eigenmarken wie die Schokolade Chocolat Frey oder die Kaugummimarke Skai ein. Das soll die Lücken füllen, die beispielsweise Wrigley’s und Airwaves von Mars hinterlassen haben.
Und selbst die Windelmarke Huggies, die der US-Konzern Kimberly-Clark vor gut zehn Jahren in Europa vom Markt genommen hat, könnte hierzulande ein Comeback erleben, weil unklar ist, wann der Preisstreit mit Pampers-Produzent Procter & Gamble endet. „Mitte des Jahres könnten wir Huggies ins Sortiment nehmen“, kündigt Edeka-Chef Mosa an.
Mehr: Weniger Vielfalt im Supermarkt – Hersteller streichen Sortiment zusammen