Bad Neuenahr, Köln, Düsseldorf Ausbleibende Auslandsgäste, eine drohende Mehrwertsteuererhöhung in der Gastronomie, eine zerstörte Urlaubsregion an der Ahr: Es sind nur drei Beispiele für die Sorgen, die Deutschlands Hoteliers, Reiseveranstalter und Gastronomen aktuell beschäftigen. Entsprechend groß sind die Hoffnungen in die geplante „Nationale Tourismusstrategie“ des Bundeswirtschaftsministeriums. „Die Wettbewerbsfähigkeit und Krisenfestigkeit der Tourismusbranche zu stärken“, lautet deren erklärtes Ziel.
Mit der Münchener Managementberatung Dr. Fried & Partner hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wenige Tage vor der Auftaktveranstaltung in der vergangenen Woche sogar einen externen Dienstleister verpflichtet, um eine „Nationale Plattform Zukunft des Tourismus“ einzurichten. Der Tourismusausschuss des Bundestags trommelte wichtige Branchenvertreter wie den Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), den Deutschen Reiseverband (DRV) und die Reisebüro-Organisation VUSR zusammen, um deren Anliegen für die künftige Strategie abzufragen.
Doch Habecks Kick-off sorgt für Enttäuschung. Auf gar keinen Fall werde er dieses Jahr in Urlaub fliegen, verkündete der Minister den Spitzenvertretern deutscher Tourismusverbände. Statt das Klima zu belasten, sollten die Deutschen in der Heimat bleiben, in seinem Wohnort nahe Flensburg sei es im Übrigen auch ganz schön.
Hotels und Gaststätten stehen vor starker Mehrwertsteuererhöhung
Die Reisebranche sieht ihre Sorgen nicht ernst genommen. Dabei ist sie ein erheblicher Wirtschaftsfaktor: In Deutschland setzt sie jährlich rund 330 Milliarden Euro um, sorgt für vier Prozent der deutschen Wertschöpfung und stellt laut Berechnungen des BTW direkt oder indirekt jeden elften Arbeitsplatz. Doch das wird in Habecks Zukunftsplänen nicht erwähnt.
Stattdessen stellt er der Branche, so jedenfalls erzählen es Mitglieder des Tourismusausschusses im Bundestag, CO2-Abgaben und Strafzahlungen bei nicht erfüllten Umweltanforderungen in Aussicht. „Eine groteske Veranstaltung und völlige Zeitverschwendung“, berichtete eine Teilnehmerin der Auftaktveranstaltung. Andere sprachen von einem „Rohrkrepierer“.
Die Branche hat sich dabei vom Corona-Einbruch längst noch nicht erholt. Gerade einmal 76 Prozent des Übernachtungsniveaus von 2019 wurden im vergangenen Jahr erreicht. Bereits auf der Reisemesse ITB Mitte März hatte Dieter Janecek (Grüne), Koordinator der Bundesregierung für den Tourismus, für Irritationen gesorgt.
Er blieb den Urlaubsanbietern Antworten auf die drängende Frage schuldig, wie es in ihren meist hochverschuldeten Betrieben aufwärtsgehen soll. Und auch die in seinem Grußwort enthaltene Forderung nach Dekarbonisierung verunsicherte die Branche eher.
Für Verunsicherung sorgt auch die anstehende Mehrwertsteuererhöhung. Hatte der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) gleich zu Beginn der Pandemie den Steuersatz auf Speisen von 19 auf sieben Prozent gesenkt, wird die Ermäßigung voraussichtlich ab Anfang 2024 wieder gestrichen.
Aus Sicht des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) eine kaum zu tragende Zusatzbelastung. „Angesichts der enormen Kostensteigerungen bei Lebensmitteln, Energie und Gehältern, Mitarbeitermangel und der Tilgung pandemiebedingter Kredite könnten die Herausforderungen für die Betriebe kaum größer sein“, klagt Geschäftsführer Jürgen Benad.
Kaum Hilfe für den Tourismus im Ahrtal angekommen
Auch das Arbeitsrecht macht den deutschen Hotel- und Gastronomiebetrieben zu schaffen. Mit der gesetzlichen Höchstgrenze von zehn Stunden Arbeitszeit am Tag kommt die Branche seit jeher oft kaum aus, die verbindliche Zeiterfassung unterbinde flexible Lösungen im Einzelfall. „Wenn wir nicht zusätzliche Mitarbeiter aus dem Bett klingeln wollen“, kritisiert Dorint-Aufsichtsratschef Dirk Iserlohe, „ist bei Hochzeitsveranstaltungen in unseren Häusern ab ein Uhr nachts Schluss.“
Anstelle der starren Arbeitszeitregelungen wünscht sich Iserlohe – wie viele in der Branche – eine flexible Wochenarbeitszeit, was auch den Fachkräftemangel mildern könnte. Doch über die Personallücken, die Corona in der Branche hinterlassen hat, will die „Nationale Plattform Zukunft des Tourismus“ bis 2025 erst einmal diskutieren.
Der Bundeswirtschaftsminister stößt mit seinem Klimakurs auf Unverständnis in der Tourismusbranche.
(Foto: dpa)
Schnelle Unterstützung wünscht man sich auch im Ahrtal, das Mitte Juli 2021 durch eine verheerende Flut großflächig zerstört wurde. Habeck hatte vergangenen Herbst im Tourismusausschuss des Bundestags eine bessere Koordinierung beim Wiederaufbau angekündigt. In der beliebten Urlaubsregion, die vor der Katastrophe für einen jährlichen Tourismusumsatz von 260 Millionen Euro stand, ist vom Wirken Habecks bislang nichts bekannt. „Ob ein Bundesbeauftragter noch eingesetzt wird, halte ich für fraglich“, sagt Hotelier Günter Uhl, der dem Dehoga-Kreisverband Ahrweiler vorsteht. „Sinnvoll wäre es allemal.“
Auch in vielen anderen Urlaubsgebieten Deutschlands ist die Stimmung mau. Trotz der abflauenden Pandemie bleiben insbesondere die Gäste aus dem Ausland aus. Im März lagen die Ankünfte weiterhin 15 Prozent unter den Zahlen von 2019. Nicht unschuldig ist daran die Bundesregierung. So verhindert aktuell eine dramatische Lage in deutschen Konsulaten, dass in wichtigen Quellmärkten wie Südafrika, China, Indien, den Golfstaaten, Vietnam, Indonesien oder Thailand Touristen-Visa fristgerecht ausgestellt werden.
CO2-Sparvorgabe für Reiseverkehr
In Indien etwa benötigten die deutschen Behörden zuletzt mitunter 16 Wochen bei der Terminvergabe. „Touristen aus Übersee suchen sich deshalb andere Ziele in Europa“, berichtet CDU-Tourismussprecherin Anja Karliczek. „Sie reisen dann vor allem nach Frankreich, Österreich, in die Niederlande und die Schweiz, die Schengen-Visa für Touristen und Geschäftsreisende rasch und vergleichsweise unkompliziert erteilen.“
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Karliczeks Kleine Anfrage im Bundestag beantwortete eine Staatssekretärin von Annalena Baerbock (Grüne): „Aufgrund unterschiedlicher Kapazitäten der Visastellen der Schengen-Staaten in China und einem sehr unterschiedlichen Aufkommen an Reisenden“, schrieb sie, „können trotz aller Bemühungen zuweilen unterschiedliche Priorisierungsentscheidungen zu unterschiedlichen Visumvergabepraktiken unter den Schengen-Staaten führen.“
Für Deutschland, dem nach Italien und Spanien weltweit drittwichtigsten Reiseziel – noch vor Frankreich und den USA –, steht angesichts solcher Schicksalsergebenheit viel auf dem Spiel. Gerade einmal 68,1 Millionen Übernachtungen ausländischer Gäste zählte die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) 2022 hierzulande, und damit 24 Prozent weniger als vor der Pandemie.
Auf die Rückkehr von Urlaubsgästen aus Übersee legt das Bundeswirtschaftsministerium dennoch keinen großen Wert. Die DZT, die in dessen Auftrag seit 1948 die Reisedestination Deutschland vermarktet und dafür vergangenes Jahr 34,5 Millionen Euro Staatsgeld bekam, erhielt von Habeck eine klare Anweisung: Sie solle „im Rahmen ihrer Kampagnen darauf hinwirken, die CO2-sparsameren Beförderungsmittel wie Bahn und Bus für die Anreise nach Deutschland (…) stärker in den Vordergrund zu rücken“, formulierte er im Arbeitsprogramm zur „Nationalen Tourismusstrategie“.
Das Ahrtal war vor der Flutkatastrophe eine gut besuchte Destination. Noch immer warten touristische Betriebe auf angekündigte Hilfen.
(Foto: imago images/Reiner Zensen)
Tourismuspolitiker wie Anja Karliczek halten das für bedenklich: „Die neue Vorgabe lässt eine Vernachlässigung und weniger Präsenz in Übersee-Quellmärkten mit besonders kaufkräftigen Kunden befürchten.“
Markus Heller, Projektleiter der Consultingfirma Dr. Fried & Partner, hält dagegen. Dem Wirtschaftsminister gehe es keineswegs darum, durch die Vermeidung von Tourismus die Umwelt zu retten, sagt der Münchener Berater. Habeck sei es wichtig, „einen Ressourcen-Kahlschlag zu verhindern und das Phänomen des Massentourismus in nachhaltige Bahnen zu führen.“
Auf Nachfrage im Bundeswirtschaftsministerium argumentiert eine Sprecherin, der Tourismus in Deutschland bleibe von den Folgen der globalen Klimakrise nicht verschont. Das habe etwa die verkürzte Wintersportsaison durch geringen Schneefall belegt: „Kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist derart auf Erhalt intakter Umwelt angewiesen.“
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Ob dies am Ende zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Urlaubsanbieter verbessern kann – auch dies ein Ziel der „Nationalen Tourismusstrategie“ –, bleibt abzuwarten. Bislang hilft Urlaubsanbietern der Einsatz für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Buchungsgeschäft nur bedingt, wie jüngst der „States of Mind Travel Report“ des Versicherers Allianz zeigte. Dort bekundeten zwar 41 Prozent der Befragten, sich der Umweltauswirkungen des Reisens bewusst zu sein. Doch nur einer von fünf Reisenden erklärte sich bereit, tiefer in die Tasche zu greifen, um ihren ökologischen Fußabdruck auszugleichen.
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