Berlin Trotz der massiven Corona-Infektionswelle im Land kalkuliert Volkswagen für dieses Jahr in China wieder mit Wachstum. Die Zahl der Neuansteckungen werde ab der zweiten Jahreshälfte weiter zurückgehen, sagte VW-Chinavorstand Ralf Brandstätter vor Journalisten. „Besonders bei Elektrofahrzeugen ist eine starke Dynamik zu erwarten.“
VWs Auslieferungen in China fielen 2022 um etwa 100.000 auf 3,18 Millionen Fahrzeuge – ein Neun-Jahres-Tief. Die strikte Null-Covid-Politik und immer wiederkehrende Lockdowns hatten die gesamte Industrie im Land zurückgeworfen. In der Folge ist Chinas Automarkt im vergangenen Jahr nur um 1,4 Prozent auf 21 Millionen Fahrzeuge gewachsen. Auch Volkswagen strich seine Ziele zusammen.
Chinachef Brandstätter ist fest überzeugt, dass das bevölkerungsreichste Land der Erde nach den jüngsten Coronalockerungen wieder zur Normalität zurückkehren wird. Nach dem chinesischen Neujahrsfest Ende Januar sei zwar noch einmal mit einer Infektionswelle zu rechnen. Doch auch dadurch werde sich nichts an der grundsätzlichen Öffnungspolitik der chinesischen Regierung ändern.
Wie stark genau VW in China wachsen werde, sagte Brandstätter nicht. Er schätze jedoch, dass der gesamte chinesische Automarkt 2023 um vier bis fünf Prozent zulegen werde – wovon auch VW profitiere. Bei Hybriden und vollelektrischen Modellen lag der Anteil 2022 chinaweit bei den Gesamtverkäufen bei rund 25 Prozent. 2023 dürften es gut 30 Prozent werden, so Brandstätter. VW hatte in der Volksrepublik zuletzt gut 155.000 vollelektrische Fahrzeuge verkaufen können, ein Wachstum von 68 Prozent.
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China-Geschäft von Volkswagen: Verbrenner sei Dank
„Der Elektromarkt in China wächst schneller als gedacht. Auch schneller, als die chinesische Regierung erwartet hatte“, sagte VW-Vorstand Brandstätter. In der Bevölkerung sei das Interesse an Elektrofahrzeugen groß. Dazu trage vor allem der günstige Strompreis in China bei; ein Verbrennerauto zu betanken sei in der Volksrepublik deutlich teurer. Außerdem gibt es in den größeren Städten wegen der hohen Emissionen Einfahrtsbeschränkungen für Verbrenner. E-Autos haben hingegen freie Fahrt.
Volkswagen verdient in seinem wichtigsten Absatzmarkt China noch immer das meiste Geld mit dem Verkauf von Benzin- und Dieselfahrzeugen. Hier konnte VW seinen Marktanteil 2022 um 1,4 Punkte auf 19,4 Prozent steigern. In der Elektromobilität liegen jedoch Konkurrenten wie Tesla oder BYD in der Volksrepublik vorn, die etwa bei Ladezeiten und digitaler Ausstattung mehr zu bieten haben als Volkswagen.
„Wir sorgen uns unverändert um das Chinageschäft von Volkswagen“, sagt Daniel Röska, Analyst vom Dienstleister Bernstein. Er kalkuliert mit einem schlechten Jahr für den deutschen Autokonzern, mit einer Erholung sei erst 2024 zu rechnen. Volkswagen müsse sich auf eine wachsende Bedrohung durch lokale chinesische Hersteller vorbereiten. Außerdem verzögere sich die Plattformentwicklung bei VW, was zu weiteren Problemen führe.
Anders als Brandstätter sieht Röska die jüngsten Coronalockerungen kritisch. Die Produktion von Neuwagen werde wahrscheinlich schneller wachsen als die tatsächliche Nachfrage. Außerdem kämen immer noch weitere chinesische Elektrohersteller als neue Anbieter hinzu. Die gesamte Autobranche in China könnte damit dazu gezwungen sein, wieder umfassend Rabatte und andere Verkaufsnachlässe zu geben, was zusätzlich die Erträge belaste.
Zuletzt hatte Tesla mit großen Preissenkungen in China für Unmut bei seinen Kunden gesorgt. Müsste VW Rabatte geben, wäre der Autobauer wegen seiner hohen Abhängigkeit vom chinesischen Automarkt dann besonders unter Druck, so Röska.
Tesla, BYD: Volkswagens harte Konkurrenz in China
„Der Wettbewerb in China ist hart“, betonte auch Brandstätter. VW werde sich gegenüber der wachsenden Konkurrenz jedoch behaupten. „Wir werden diese Herausforderung annehmen“, sagte er, „wir werden mit der Geschwindigkeit des Marktes mithalten“. Die Autos aus Deutschland würden viel stärker den Wünschen der chinesischen Kunden angepasst.
Außerdem werde VW „mehr in China für China“ entwickeln. Dazu gehöre etwa, dass Volkswagen im südchinesischen Anhui ein eigenes Entwicklungszentrum mit 2500 Ingenieuren aufbaue. Zusätzlich zu Wolfsburg könne daraus ein „zweites Hauptquartier“ für die technische Entwicklung entstehen. Außerdem stockt die konzerneigene Softwareeinheit Cariad ihre Belegschaft in China auf. Aus aktuell etwa 600 Entwicklern sollen in diesem Jahr rund 1200 werden.
Mit Brandstätter leitet seit August erstmals seit mehreren Jahren wieder ein Manager das Chinageschäft von Volkswagen, der auch im Vorstand des Konzerns sitzt. Der 54-Jährige war zuvor VW-Markenchef.
(Foto: Volkswagen AG)
Eine wichtige Rolle spielen zunehmend neue Joint Ventures mit lokalen chinesischen Zulieferern. Noch im alten Jahr hatte der VW-Konzern eine Zusammenarbeit mit Horizon Robotics angekündigt. Gut zwei Milliarden Euro will Volkswagen in ein neues Gemeinschaftsunternehmen investieren, das Lösungen für das autonome Fahren entwickeln soll. Diese neuen Softwareentwicklungen für autonom fahrende Autos werden nur in China verwendet. „Damit werden wir uns noch stärker auf das chinesische Ökosystem einlassen“, betonte Brandstätter.
Wie in Europa will Volkswagen auch in China lokale Modell-Ikonen aus der Verbrennerwelt in das neue Elektrozeitalter übertragen. Lavida oder Bora sind in der Volksrepublik genauso bekannt wie Golf und Tiguan in Deutschland. Für die chinesischen Modell-Ikonen könnte es dadurch auch nach der Elektrifizierung eine Zukunft geben, deutete Brandstätter an.
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Branchenkenner sind skeptisch, ob das am Ende reicht. „Auf dem größten und wichtigsten Automarkt der Welt haben die deutschen Autohersteller bei der Elektromobilität bisher gegenüber den einheimischen Marken das Nachsehen“, warnt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach.
VW-Chinachef Brandstätter: Besuch in Uiguren-Provinz geplant
Der VW-Vorstand warnte zudem vor einem Rückzug aus der Volksrepublik. „Wir dürfen unsere Position in China nicht absichtlich aus politischen Gründen schwächen“, sagte Brandstätter. Eine Entkoppelung vom chinesischen Markt könne nicht die Antwort auf die Probleme des 21. Jahrhunderts sein. Volkswagen wolle auch in Zukunft eine führende Rolle in China einnehmen, baue zugleich aber seine Position in anderen Teilen der Welt wie etwa in Nordamerika aus. Das sorge für eine neue Balance im gesamten Volkswagen-Geschäft.
Brandstätter kündigte an, dass er im Februar in die chinesische Provinz Xinjiang reisen wolle. Volkswagen war wiederholt von Menschenrechtsorganisationen dafür kritisiert worden, dass der Konzern in der Uiguren-Region ein eigenes Werk betreibt. Die Regierung in Peking wird dort schwerer Menschenrechtsverletzungen verdächtigt. Nach den Coronaöffnungen kann Brandstätter jetzt erstmals nach Xinjiang reisen.
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