Düsseldorf Der Zukunftspessimismus erreicht historische Höchststände. Nur noch 16 Prozent der Anleger erwarten beim Dax in drei Monaten steigende Kurse, knapp 40 Prozent aber fallende Notierungen. Das signalisiert die aktuelle Handelsblatt-Umfrage Dax-Sentiment.
Sentimentexperte Stephan Heibel, der die wöchentliche Handelsblatt-Umfrage auswertet, schaute zur Einordnung auf die umfangreicheren Daten des Analysehauses AnimusX, das seit 16 Jahren eine detaillierte Umfrage durchführt. Die Erkenntnis: Der Wert von minus 3,7 bei der Zukunftserwartung ist der drittniedrigste in der AnimusX-Historie, So viel Weltuntergangsstimmung gab es nicht einmal während der Coronapandemie.
Nur zweimal war der Blick der Anleger auf die Zukunft in den vergangenen sechzehn Jahren pessimistischer als heute: einmal im April des vergangenen Jahres. Es folgte ein Bärenmarkt. Und einmal im Sommer 2009. Es folgte eine Rally.
2022 stand der Dax sechs Monate später 15 Prozent tiefer. 2009 hingegen um 15 Prozent höher. Konträrer könnten die Entwicklungen nicht sein. Doch welchen Kurs dürfte der deutsche Leitindex angesichts des aktuell extrem hohen Zukunftspessimismus diesmal einschlagen?
Um das einzuschätzen, muss man sich die Zeit davor anschauen. 2009 kam der Dax aus einem Bärenmarkt, der von 2007 bis zum März 2009 angedauert hatte. Die ersten drei Monate der Erholung hatten Anleger noch nicht von dessen Nachhaltigkeit überzeugen können, der Pessimismus blieb groß. Dennoch war damals die große Finanzkrise gelöst. Es folgte ein mehrjähriger Aufschwung an den Aktienmärkten.
Im vergangenen Jahr hingegen verharrte der Dax in einem Bärenmarkt, der Ende 2021 begann und bis September 2022 andauerte, insgesamt zehn Monate. Kurz nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine setzte sich die Befürchtung durch, dass es kein schnelles Ende geben werde, und so sackte die Stimmung auf ein historisches Tief ab. Und tatsächlich folgten noch weitere sechs Monate mit fallenden Kursen.
Dramatischer Ausverkauf ist unwahrscheinlich
Aktuell hat der deutsche Leitindex den Tiefpunkt des Bärenmarkts vor sechs Monaten hinter sich gelassen, die Märkte sind im Bullenmodus. „Aus dieser Perspektive ist der Vergleich eher mit dem Jahr 2009 passend, die Rally könnte also durchaus weitergehen“, erläutert Heibel.
Allerdings verlief die Korrektur im vergangenen Jahr nicht so stark wie 2009. Außerdem sind die Kurse seit dem September-Tief 2023 stärker angestiegen als im Juni 2009, als die Anleger ebenfalls nicht mehr an weiter steigende Kurse glauben wollten.
„Pessimismus kann zum aktuellen Zeitpunkt der Rally durchaus gesund sein“, schlussfolgert der AnimusX-Inhaber. Viele globale Krisen sind bekannt und dürften seiner Einschätzung nach nicht zu einem dramatischen Ausverkauf führen. „Es braucht schon eine negative Überraschung, um die Aktienmärkte nennenswert in den Keller zu drücken“, meint Heibel.
Allerdings gibt es auch einen Wermutstropfen. Denn die extrem niedrige Investitionsbereitschaft lässt andererseits steigende Kurse als unwahrscheinlich erscheinen. Wenn der Dax weiter nach oben getrieben wird, dann durch ausländische Anleger.
Für den Sentimentexperten ist damit auch eine Verschnaufpause möglich, eine moderate Konsolidierung. „Daher würde ich die Stimmungslage dahingehend interpretieren, dass moderate Kursverluste in den kommenden Tagen eher Gelegenheiten zum Nachkaufen darstellen als Vorboten eines Crashs“, erläutert er.
Die Rally an den Aktienmärkten hat in der vergangenen Woche eine Verschnaufpause eingelegt. Unter geringen Schwankungen lief der Dax weitgehend seitwärts. Gute Quartalszahlen wurden von wieder aufkommenden Rezessionsängsten zunichtegemacht.
Aktuelle Umfragedaten
Die Stimmung hat sich angesichts der Seitwärtsbewegung eingetrübt. Das Anlegersentiment ist vergangene Woche auf 1,4 Punkte zurückgegangen. Noch vor einer Woche notierte dieser Indikator bei 3,5 Punkten und signalisierte damit fast schon eine Euphorie, die ab vier Punkten gilt.
Gleichzeitig herrscht unter den Anlegern wieder Verunsicherung, die Selbstgefälligkeit ist ins Minus gerutscht und liegt bei minus 0,2. Ihre Sorgen sind nachvollziehbar: Gute Unternehmenszahlen passen nicht in das Bild der Rezessionsangst, über die in vielen Medien berichtet wird. Zudem kommen nun die Befürchtungen um die US-Schuldenobergrenze hinzu.
Entsprechend der extrem negativen Zukunftserwartung ist auch die Investitionsbereitschaft der Anleger so niedrig wie seit zwei Jahren nicht mehr. Der Wert liegt bei minus 1,2.
Das Euwax-Sentiment der Börse Stuttgart, an der Privatanleger handeln, ist auf einen Wert von minus sieben gefallen. Negative Werte signalisieren einen zunehmenden Absicherungsbedarf, also einen höheren Anteil von Put-Hebelprodukten auf den Dax in den Depots der Privatanleger. Put-Produkte steigen im Wert, wenn die Kurse fallen.
Bislang hatten nur institutionelle Anleger ihre Absicherungsneigung erhöht. Das bestätigt das aktuelle Put-Call-Verhältnis der Frankfurter Eurex mit einem Wert von 4,8 erneut.
Das Put-Call-Verhältnis der Chicagoer Terminbörse CBOE derweil zeigt, dass die US-Anleger sich nur moderat absichern. Handelt es sich etwa nur um „the German Angst“? Denn auch die US-Fondsanleger zeigen sich zuversichtlich – ihre Investitionsquote haben sie um 20 Prozentpunkte auf 78 Prozent erhöht.
Die Differenz zwischen Bullen und Bären unter den US-Privatanleger zeigt mit einem Wert von minus acht moderaten Pessimismus an. Der Anteil der Bären liegt bei 35 Prozent, der der Bullen bei 27 Prozent. Der anhand technischer Marktdaten berechnete „Angst-und-Gier-Indikator“ der US-Märkte notiert bei 66 Prozent, was eine moderate Gier signalisiert.
Hinter Erhebungen wie dem Dax-Sentiment mit mehr als 8000 Teilnehmern stehen zwei Annahmen: Wenn viele Anlegerinnen und Anleger optimistisch sind, haben sie bereits investiert. Dann bleiben nur wenige übrig, die noch kaufen und damit die Kurse in die Höhe treiben können. Umgekehrt gilt: Wenn die Anlegerinnen und Anleger pessimistisch sind, haben sie mehrheitlich nicht investiert. Dann können nur noch wenige verkaufen und damit die Kurse drücken.
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