Düsseldorf Die russische Invasion in die Ukraine überschattet den Neustart von Sennheiser. Der Audiospezialist hat sich aus dem Russlandgeschäft zurückgezogen. „Unternehmerische Verantwortung darf sich nicht auf Worte beschränken, sondern muss auch die Bereitschaft umfassen, Verlust hinzunehmen“, sagt Co-Chef Andreas Sennheiser im Interview mit dem Handelsblatt. „Frieden ist wichtiger als Geschäftemachen.“
Mitarbeitende haben spontan den Transport von Angestellten des Vertriebspartners aus Dnipro über Ungarn in die Wedemark organisiert. Sie unterstützen die 17 geflüchteten Frauen und Kinder weiter im Alltag.
Das Familienunternehmen aus Wedemark bei Hannover hat sich Anfang des Monats aufgespalten – 77 Jahre nach der Gründung. Das schwächelnde Shopper-Geschäft mit Kopfhörern oder Soundbars wurde an den Schweizer Hörgerätespezialisten Sonova verkauft. Unter dem Dach des finanzstarken Companions habe die Sparte größere Chancen, profitabel zu wachsen, erklärt Andreas Sennheiser die Beweggründe. Die Produkte werden weiter unter der Marke Sennheiser verkauft.
Die Brüder Sennheiser fokussieren sich nun ganz auf Mikrofone und Audiotechnik für Profis. „Die Firma ist kleiner, agiler, kurzzyklischer und profitabler“, sagt Daniel Sennheiser. Die Nachfrage nach Audiotechnik für Livestreaming, Podcasts und Musikproduktionen im Heimstudio wachse. Daneben rüsteten Universitäten und Unternehmen Hörsäle und Konferenzräume für hybride Formate aus. Bei Liveevents gebe es starken Nachholbedarf.
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Sehr geehrte Herren Sennheiser, die Welt blickt mit großer Sorge auf Putins Krieg in der Ukraine. Betreibt Sennheiser seine Geschäfte in Russland weiter?
Daniel Sennheiser: Wir haben entschieden, den Verkauf in Russland komplett einzustellen und auch nicht mehr dorthin zu liefern. Dort können wir derzeit mit gutem Gewissen kein Geschäft machen. Das ist in erster Linie eine ethisch-moralische Entscheidung. Andere Faktoren, die das Geschäft erschweren, kommen noch hinzu. Durch den Rubel-Absturz werden Importprodukte teurer, Lieferwege und Zahlungsströme sind durch die westlichen Sanktionen ja quick zum Erliegen gekommen.
Wie sehen Sie die Rolle und Verantwortung westlicher Unternehmen?
Andreas Sennheiser: Mit unserem Rückzug aus dem Russlandgeschäft erhöhen wir – wie viele andere Unternehmen auch – den Druck auf das russische Regime, einzulenken. Unternehmerische Verantwortung darf sich nicht auf Worte beschränken, sondern muss auch die Bereitschaft umfassen, Verlust hinzunehmen. Frieden ist wichtiger als Geschäftemachen.
Vitae Andreas und Daniel Sennheiser
Bolschoitheater, Erlöserkirche und Kremlpalast in Moskau sind mit Audiotechnik von Sennheiser ausgestattet. Wie wichtig ist das Russlandgeschäft für Ihr Unternehmen?
Daniel Sennheiser: In Russland ist Sennheiser schon seit Sowjetzeiten aktiv, vor allem in der Ausstattung des Kulturbereichs. Wie viele andere Unternehmen hatten wir die Erwartung, dass der Markt mit der Öffnung von Russland sehr groß werden könnte. Allerdings ist das Geschäft nicht so gewachsen wie erhofft.
Wie viele Mitarbeiter sind vor Ort?
Andreas Sennheiser: Seit 2006 haben wir eine eigene Niederlassung in Moskau mit 45 lokalen Mitarbeitern, davon 28 im Bereich Profiausstattung. Mit der Belegschaft vor Ort sind wir in täglichem Austausch. Wir bezahlen sie erst einmal weiter. Sie haben ja nichts falsch gemacht und arbeiten seit vielen Jahren loyal für uns.
Sennheiser produziert Mikrofone und Audioausstattung – Technik, die grundsätzlich auch vom Militär benötigt wird.
Daniel Sennheiser: Als deutsches Familienunternehmen haben wir einen Wertekompass. Schon unser Großvater und unser Vater haben prinzipiell entschieden, keine Mikrofone oder Audiotechnik zu produzieren, die in Kriegsgeräten eingesetzt werden. Wir haben Aufträge in diese Richtung regelmäßig auf dem Tisch und haben sie immer abgelehnt – etwa Technik, die triangulieren kann, woher Schüsse kommen. Wenn ein Militärorchester unsere Mikrofone haben will, liefern wir das.
Sennheiser machte bisher 85 Prozent des Umsatzes außerhalb Deutschlands und ist wie viele Mittelständler stark vom Auslandsgeschäft abhängig. Nach den Erfahrungen mit Putin: Sollten Unternehmen in autokratisch regierten Ländern wie etwa China überhaupt noch Geschäfte machen?
Daniel Sennheiser: Wir können nicht für andere sprechen. In den Ländern, in denen wir Produkte verkaufen, können wir das Geschäft mit unserem Gewissen intestine vereinbaren. Doch die Welt ist zu komplex geworden. Das ist letztlich immer im Einzelfall zu entscheiden. Sennheiser steht für Austausch, Kultur, Musik und Gemeinschaft. Unsere Technik kommt bei Olympischen Spielen wie zuletzt in Peking genauso zum Einsatz wie beim „Tremendous Bowl“ in den USA oder dem „Eurovision Tune Contest“.
Wer sind Ihre Kunden?
Andreas Sennheiser: Wir konzentrieren uns zum einen auf Künstler, zum anderen auf Veranstaltungs- und Konferenztechnik. Dabei geht es um den Austausch multinationaler Unternehmen. Damit fördern wir die internationale Zusammenarbeit. Wir liefern aber bewusst keine Mikrofone zur Überwachung und Ähnliches.
Putins Krieg hat weitreichende Auswirkungen auf die world vernetzte Wirtschaft. Wichtige Komponenten fehlen, Chips werden noch knapper. Welche Folgen befürchten Sie für die Produktion von Sennheiser?
Daniel Sennheiser: Viele Rohstoffe wie Aluminium kommen aus Russland, Energie wird sicher noch teurer. Seltene Erden von dort braucht es für unsere Neodym-Magneten. Das Recycling Seltener Erden ist schon seit vielen Jahren ein wichtiges Thema und gewinnt durch den Krieg weiter an Relevanz. Der Chipmangel struggle für uns auch schon 2021 ein limitierender Faktor.
Welche Lehren ziehen Sie aus Pandemie und Putins Krieg? Müssen Lieferanten und Fertigung wieder verstärkt in die EU?
Daniel Sennheiser: Früher kamen viele unserer Teile aus China. Deshalb haben wir vor Jahren bewusst unsere eigene Fabrik in Rumänien aufgebaut. Daneben produzieren wir in Deutschland und den USA. In der Pandemie waren wir häufig besser lieferfähig als unsere Mitbewerber. Trotzdem sind wir alle abhängig von Asien, allein wegen der Mikrochips.
Andreas Sennheiser: Was der Krieg für unser weltweites Geschäft bedeutet, darüber lässt sich nur spekulieren. Keiner weiß, wie lange er währt und wie weit die Lage noch eskaliert. Sennheiser hat einen Krisenstab eingerichtet, der täglich Maßnahmen bespricht. Das ist ja nicht unsere erste Krise.
Sennheiser konzentriert sich wieder auf das Profigeschäft
Wie hat Sennheiser andere Krisen überstanden?
Daniel Sennheiser: Schon vor der Corona- und der Chipkrise mussten wir Sennheiser vor drei Jahren strategisch neu aufstellen. Seit Anfang des Monats konzentrieren wir uns nach über 50 Jahren wieder komplett auf unser Geschäft für Profis. Die Firma ist kleiner, agiler, kurzzyklischer und profitabler. So können wir aus eigener Kraft überdurchschnittlich wachsen und auf Krisen schneller reagieren.
Seit diesem Monat ist das Unternehmen aufgespalten, eine historische Zäsur. Kein Familienunternehmer trennt sich leichtfertig von seiner lange Zeit größten Sparte.
Andreas Sennheiser: Wir kamen zu dem Schluss, dass all unsere Sparten große und gute Wachstumschancen haben – wenn sie den richtigen Rahmen bekommen. Audiotechnik für Profis, Neumann-Studiomikrofone und Enterprise-Kommunikation wie Konferenztechnik können wir aus eigener Kraft zu mehr Blüte zu führen. Aber für das unstable Shopper-Geschäft mit Kopfhörern und Soundbars brauchen wir einen finanzstarken Companion, um profitabel zu wachsen. Unter dem Dach des Schweizer Hörgerätespezialisten Sonova hat die Sparte größere Chancen.
Daniel Sennheiser: Das ist die beste Lösung für alle – auch für die Mitarbeiter. Irgendwann zieht ein Form aus dem Elternhaus aus, weil es sich allein besser entwickeln kann.
Wie hat die Belegschaft den Verkauf aufgenommen?
Daniel Sennheiser: Es ist regular, dass es erst einmal Verunsicherung gibt. Aber als innovatives Unternehmen waren wir von der Kultur her immer schon sehr chancenorientiert.
Andreas Sennheiser: Wir spüren eine Aufbruchstimmung in der gesamten Belegschaft. Allerdings mussten wir auf dem Campus überall getrennte Zugangssysteme installieren und die Mitarbeiter schulen. Ehemalige Kollegen dürfen in der Kantine zusammen Mittag essen, aber nicht mehr über das Geschäft reden.
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Die Klangqualität von Sennheiser steht außer Frage. Trotzdem haben die Kopfhörer seit Jahren an Newcomer wie Beats und Konzerne wie Samsung oder Sony Marktanteile verloren. Haben Sie die Wettbewerber unterschätzt?
Daniel Sennheiser: Bei Marke und Design haben wir sehr erfolgreich aufgeholt. Das Geschäftsmodell hat sich aber komplett verändert. Ein Kopfhörer ist heute nur noch eine Schnittstelle zu einem großen Ökosystem, sei es von Apple, Samsung, Google oder Amazon. Sonova hat einen anderen Ansatz. Der Anbieter von Hörlösungen will seine Zielgruppe verjüngen und braucht dafür eine starke Shopper-Marke wie Sennheiser.
Apple hat das Begin-up Beats 2014 für rund drei Milliarden Greenback übernommen – das Dreifache des damaligen Umsatzes. Der Verkaufspreis Ihrer Kopfhörersparte klingt deutlich bescheidener: 200 Millionen Euro, weniger als ein Jahresumsatz, dazu jährliche Lizenzgebühren für die Marke Sennheiser. Hat Apple auch bei Ihnen angeklopft?
Andreas Sennheiser: Mit dem erzielten Preis sind wir äußerst zufrieden. Es gab sehr viele Interessenten, auch große Konzerne. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Wichtig struggle uns, dass Sonova als europäisches Unternehmen ähnliche Werte teilt.
Sie konzentrieren sich jetzt nur noch auf Ausrüstung für Profis. Wie sehen Sie die Perspektiven? Schließlich waren Liveevents in der Pandemie kaum möglich.
Andreas Sennheiser: Das vergangene Jahr struggle trotzdem sehr erfolgreich in allen Bereichen. Auch 2022 erwarten wir ein deutliches Wachstum. Seit der Pandemie gibt es immer mehr Livestreaming, Podcasts und Musikproduktionen im Heimstudio. Immer mehr Influencer drehen zu Hause Tiktok- oder Youtube-Movies. Dafür liefern wir die passende Audiotechnik.
Daniel Sennheiser: Daneben rüsten Universitäten und Unternehmen Hörsäle und Konferenzräume für hybride Formate aus. Zudem gibt es einen starken Nachholbedarf bei Liveevents. Bei allem geht der Development zu 3D-Klang. Hier ist Sennheiser seit 30 Jahren Pionier.
Apropos Klang: Auf der CES 2020 hat Sennheiser mit Continental ein innovatives Audiosystem fürs Auto vorgestellt. Das erzeugt angeblich einen Klang wie im Konzertsaal. Ist das neue Geschäftsfeld schon serienreif?
Andreas Sennheiser: Wir haben weitgehend Serienreife erzielt und arbeiten mit verschiedenen Autoherstellern an konkreten Projekten. Das Fahrzeug kann zum Konzertsaal oder Managerbüro werden. So kann künftig der Fahrer ohne Kopfhörer Musik hören, während der Beifahrer gleichzeitig eine Konferenzschalte per Freisprechanlage hat.
Inwieweit werden Partnerschaften für Mittelständler immer wichtiger?
Daniel Sennheiser: Unsere Produkte sind immer mehr Teil von Systemen. Wir arbeiten auch sehr eng mit Microsoft und Zoom in Sachen Enterprise-Kommunikation zusammen. Das ist befruchtend für alle. Partnerschaften erfordern jedoch ein Umdenken bei den Mitarbeitern und bei uns in der Führungsetage.
Wie lässt sich verhindern, dass Know-how abgeschöpft wird?
Andreas Sennheiser: Indem man besser und schneller ist. Wer angstbesessen ist und sich nicht auf einen offenen Austausch von Wissen einlässt, der kann die Möglichkeiten einer Kooperation nicht voll ausschöpfen.
Die Herren Sennheiser, vielen Dank für das Interview.
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