Der schreckliche russische Angriffskrieg in der Ukraine, gepaart mit der Befürchtung, Deutschland könne im Verteidigungsfall clean dastehen, hat innerhalb kürzester Zeit zu einem rüstungspolitischen Umdenken der Bundesregierung geführt.
Schon im laufenden Jahr soll das seit Langem verfehlte Zweiprozentziel für die Rüstungsausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) erreicht werden. Zur schnellen Aufrüstung soll ein „Sondervermögen Bundeswehr“ außerhalb des Bundeshaushalts in den nächsten Jahren zusätzliche kreditfinanzierte Ausgaben von 100 Milliarden Euro für Rüstungsprojekte ermöglichen.
Weil eine Aufnahme von so hohen zusätzlichen Krediten im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse nicht möglich ist, soll nun das Grundgesetz entsprechend geändert werden.
Man magazine die Entschlossenheit und den undogmatischen Pragmatismus des FDP-Finanzministers Christian Lindner in Sachen Finanzpolitik und Umgang mit der Schuldenbremse loben. Solchen Pragmatismus zeigte er bereits mit dem Nachtragshaushalt 2021, bei dem, unter Berufung auf die Coronaausnahme von der Schuldenbremse, ungenutzte Kreditermächtigungen von 60 Milliarden Euro aus dem Jahr 2021 zur Befüllung des Klima- und Transformationsfonds (KTF) genutzt wurden.
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Aus diesem sollen dann in den nächsten Jahren klimarelevante Ausgaben getätigt und Investitionen gefördert werden. Leider passt der Pragmatismus aber nicht zu der verbalen Strenge, mit der er ansonsten an der Schuldenbremse festhält: Im Jahr 2023 soll sie als Image der Solidität wieder streng und ohne Ausnahme gelten.
Unehrliches Festhalten an der Schuldenbremse
Die von Lindner zur Schau gestellte Strenge magazine er mit Blick auf die FDP-Klientel für notwendig halten. Sie ist jedoch unehrlich. Denn auch wenn die Bundesregierung 2023 und in den Folgejahren formal wieder zur Schuldenbremse zurückkehren sollte, würde die Ampelkoalition de facto einige Jahre lang in zweistelliger Milliardenhöhe höhere Schulden aufnehmen, als mit der Schuldenbremse eigentlich vereinbar ist.
Erstens würde dies über den KTF zur Förderung von Klimaschutzinvestitionen geschehen und zweitens nun auch noch über das „Sondervermögen Bundeswehr“ für die Aufrüstung. Denn die Sondervermögen werden 2022 mit Kreditermächtigungen versorgt, die dann erst in den Folgejahren außerhalb der Schuldenbremse für höhere Kredite genutzt werden.
Die Tatsache, dass nach dem Nachtragshaushalt nun auch noch eine Grundgesetzänderung für notwendig gehalten wird, um die notwendigen Kredite aufnehmen zu können, ist nichts anderes als der Offenbarungseid zur Schuldenbremse, denn mit ihr sollten seit 2010 neue kreditfinanzierte Sondervermögen gerade ausgeschlossen werden.
Wie von Kritikern vorausgesagt, erweist sich die Schuldenbremse damit endgültig als nicht in der Lage, den konjunkturellen und investiven Herausforderungen zu begegnen. Anstatt die Schuldenbremse willkürlich durch eine ökonomisch zweifelhafte Privilegierung von Rüstungsausgaben zu korrigieren, sollte die Bundesregierung den Mut zu einer umfassenden Reform aufbringen. Diese muss alle öffentlichen Investitionen begünstigen und größere konjunkturpolitische Spielräume einräumen.
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