Berlin Ein Investor des Hamburger Cloud-Start-ups Protonet hat vor dem Landgericht Dresden einen Sieg errungen, der weitreichende Konsequenzen haben könnte. Der Betreiber der Crowd-Funding-Plattform Seedmatch, OneCrowd Loans, muss ihm 5000 Euro Schadenersatz zahlen. Der Grund: Der über die Plattform geschlossene Investmentvertrag war unwirksam.
Der Seedmatch-Betreiber sagte dem Handelsblatt: „OneCrowd Loans GmbH wird gegen das Urteil Berufung einlegen, da wir uns gute Chancen einräumen, hier erfolgreich zu sein.“ Zu allen weiteren Fragen, die das Handelsblatt stellte, wollte sich das Unternehmen mit Blick auf den noch laufenden Rechtsstreit nicht äußern.
Es geht um einiges für OneCrowd Loans. Die Schadenersatz-Summe ist in diesem Einzelfall nicht spektakulär. Die Entscheidung könnte aber weit über den konkreten Fall hinaus bedeutsam sein: Denn eine für unwirksam befundene Klausel könnte auch in den Verträgen von Zehntausenden weiteren Investoren stehen, die die Plattform nach unternehmenseigenen Angaben genutzt haben.
„Ich habe über 20 Seedmatch-Verträge einsehen können, alle enthielten diese Klausel“, sagt Anwalt Lutz Tiedemann, der den Protonet-Investor vertritt.
Hätte die Entscheidung Bestand, wäre es ein Fiasko: Seedmatch ist eines der bekanntesten Crowd-Funding-Portale für Start-ups in Deutschland. Gründerinnen und Gründer können dort relativ einfach von einer großen Anzahl von Menschen jeweils relativ kleine Geldbeträge einsammeln und damit ihre Vision finanzieren. Die Einstiegssumme beträgt 250 Euro.
Laut dem Plattformbetreiber selbst sollen bisher in insgesamt fast 200 Finanzierungsrunden 73,5 Millionen Euro von 80.500 Nutzern eingesammelt worden sein. Prominente Beispiele sind das Flugtaxi-Unternehmen Volocopter, die Lebensmittelmarke Veganz und das Rechenzentrum-Start-up Cloud & Heat.
Der Fall Protonet
In dem vor Gericht verhandelten Fall ging es um ein Investment in das Server-Start-up Protonet. Die Firma hatte vor neun Jahren einen weit beachteten Crowd-Funding-Erfolg errungen, als es drei Millionen Euro von mehr als 18.000 Kleinstinvestoren einsammelte.
Mit dem Geld wollte es besonders datensichere Server für kleine Unternehmen und Privathaushalte entwickeln. 2017 musste Protonet allerdings Insolvenz anmelden. Der Investor, der dann mithilfe des Anwalts Tiedemann klagte, erlitt einen Totalverlust.
Tiedemann klagte für seinen Mandanten zunächst gegen Protonet selbst. Im Kern focht er dabei eine Nachrangklausel in den Investmentverträgen an, weil sie für Privatanleger nicht verständlich gewesen seien. Das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg gab ihm in zweiter Instanz recht.
Er hat nach eigenen Angaben zahlreiche Crowdinvestment-Verträge der Plattform gesehen, die nach einer jüngsten Gerichtsentscheidung unwirksam sind.
Doch nicht nur das. Protonet verkündete den Streit 2020 im laufenden Verfahren seinerseits an Seedmatch. So nennen es Juristen, wenn eine dritte Partei, die bisher an dem Verfahren nicht beteiligt war, über dessen Ausgang informiert wird. Für Tiedemann ein klares Indiz, dass zumindest Protonet eine Mitschuld bei Seedmatch sah.
Die unwirksame Klausel
In dem Verfahren vor dem Landgericht Dresden ging der Anwalt für seinen Mandanten nun gegen den Plattformbetreiber vor. Das Urteil ähnelt dem aus Hamburg: „Da die Beklagte ihre Vermögensanlage Privatanlegern angeboten hat, musste sie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen so gestalten, dass auch juristisch und kaufmännisch nicht vorgebildete Kunden sie ohne besondere Erläuterung verstehen können“, heißt es in der Begründung.
Die Details sind komplex. Vereinfacht gesagt bedeutete eine Vertragsklausel, dass die Crowd-Investoren, die über Seedmatch kommen, deutlich schlechter gestellt sind als alle anderen Investoren eines Start-ups und ein deutlich höheres Risiko eingehen, Geld zu verlieren.
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„Das Landgericht Dresden und auch das Hanseatische Oberlandesgericht waren der Ansicht, dass vereinbarte qualifizierte Nachrangklauseln dazu führen können, dass der Investor schwerwiegende Nachteile erleidet“, sagt Anwalt Lutz Tiedemann.
Die Forderung der Crowd-Investoren trete in einer Krise des Start-ups hinter den Forderungen anderer Gläubiger zurück. Vereinfacht heißt das, dass es gar nicht erst eine Insolvenz braucht, damit ein Totalverlust eintritt. Crowd-Investoren können laut Tiedemann auch dann den Anspruch auf Rückzahlung verlieren, wenn nur eine schwere wirtschaftliche Krise vorliegt.
Die möglichen Folgen
Durch die Unwirksamkeit der Klausel wird allerdings gleich der ganze Vertrag nichtig. „Wenn keine wirksame Nachrangklausel vorliegt, handelt es sich um ein Einlagengeschäft, für das Unternehmen eine Banklizenz benötigen“, sagt Tiedemann.
Er ist nach den jüngsten Entscheidungen überzeugt, dass Investoren bei Nicht-Vorliegen einer Banklizenz in einem solchen Fall Schadenersatzansprüche haben – und zwar „gegenüber Plattformbetreibern, Geschäftsführern und Start-up-Unternehmern“.
Auch für die Unternehmen und Geschäftsführer, die über Seedmatch Investorengelder eingeworben haben, könnten die Urteile im Fall Protonet also weitreichende Folgen haben. Dafür, dass viele über Seedmatch geschlossenen Verträge betroffen sein könnten, sprechen die unternehmenseigenen Werbebotschaften. Seedmatch warb explizit damit, „ausgereifte und standardisierte Verträge“ zu bieten. Auch dazu wollte Seedmatch keine Stellung nehmen.
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