Im Wahlkampf hat Olaf Scholz mit seiner Defensivstrategie ein kleines Wunder vollbracht. Wegducken, sich zurücknehmen, andere die Fehler machen lassen. Diese Politik auf leisen Sohlen hat den SPD-Politiker gegen alle Prognosen ins Kanzleramt gebracht.
Doch als Kanzler funktioniert dieser passive Politikstil nicht mehr. Zumindest nicht in einer Lage, in der sich das Land mit einer Doppelkrise aus Pandemie und einer möglichen russischen Invasion in der Ukraine konfrontiert sieht.
Scholz hat den Vertrauensvorschuss, den ein jeder Kanzler hat, in der Ukrainekrise ein Stück weit verspielt. Seine Zurückhaltung, das Herunterspielen, ja quick Banalisieren offenkundiger Konflikte im westlichen Bündnis und die Kakofonie in der SPD haben Zweifel an Scholz’ Fähigkeiten als Krisenmanager genährt – wegen der er maßgeblich zum Bundeskanzler gewählt wurde. Und die er in der Vergangenheit durchaus unter Beweis stellte.
Die Reise nach Washington ist deshalb mehr als ein klassischer Antrittsbesuch. Auch mehr als ein besonderes Treffen in Zeiten großer Krisendiplomatie im Angesicht eines möglichen Krieges auf europäischem Boden.
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Für Scholz geht es darum, in der Außenpolitik aus dem Schatten seiner Amtsvorgängerin herauszutreten. Scholz muss als Kanzler eines Landes, das in seinem Verhältnis zu Russland einen Sonderweg in Europa gegangen ist, jetzt aktiv gestalten. Er muss vor allem in Washington jeden Zweifel zerstreuen, Deutschland sei ein unzuverlässiger Companion. Die Signale, die zuletzt aus der Bundesregierung kamen, waren vor allem in der Frage der Ostseepipeline Nord Stream 2 widersprüchlich.
Angela Merkel konnte gegenüber Russland nicht nur reagieren, sondern auch agieren, denn die USA wussten immer: Die Kanzlerin pflegt zu Putin ein ordentliches Verhältnis, Alleingänge wird es mit ihr aber nicht geben. Scholz muss sich dieses Vertrauen noch erarbeiten. Die vergangenen Wochen haben dazu eher wenig beigetragen.
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