Brüssel, Moskau, London, New York Trotz der Bemühungen der Europäer schwindet die Probability auf eine friedliche Lösung des Konflikts mit Russland um die Ukraine. Der russische Präsident Wladimir Putin hat die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine als unabhängige Staaten anerkannt. Der Kremlchef unterzeichnete am Montagabend ein entsprechendes Dekret. Das Staatsfernsehen übertrug dwell.
Gleichzeitig schloss Putin mit den Vertretern der beiden prorussischen Separatistenrepubliken einen Vertrag über „Freundschaft und Beistand“. Damit wird eine Stationierung russischer Soldaten dort möglich. Zuvor hatte Putin eine öffentliche Sitzung des nationalen Sicherheitsrats angeordnet und sich vor laufenden Kameras die Rückendeckung seiner engsten Berater zusichern lassen.
Am Abend richtete Putin in einer Fernsehansprache schwere, teils weird Vorwürfe an die Ukraine, die USA und die Nato. So warnte er, dass in der Ukraine Atomwaffen hergestellt werden könnten. „Wir wissen, dass es bereits Berichte gab, die Ukraine wolle ihre eigenen Atomwaffen herstellen. Das ist keine leere Prahlerei“, sagte der Kremlchef. „Die Ukraine verfügt tatsächlich immer noch über sowjetische Nukleartechnologien und Trägersysteme für solche Waffen.“
Die EU will mit Sanktionen auf Russlands Entscheidung reagieren. Die Strafmaßnahmen sollen diejenigen treffen, die an der Anerkennung der von prorussischen Separatisten gehaltenen Ostgebiete der Ukraine beteiligt seien, erklärten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Montagabend.
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Auch die US-Regierung wird mit Strafmaßnahmen auf Russlands Entscheidung reagieren. US-Präsident Joe Biden werde in Kürze eine entsprechende Anordnung erlassen, teilte eine Sprecherin des Weißen Hauses am Montag mit.
Bundeskanzler Olaf Scholz, der noch am Montagnachmittag mit Putin telefonierte, konnte den Kremlchef nicht von seinem Beschluss abbringen.
Damit stehen die Zeichen auf Konfrontation. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte bei der im Fernsehen übertragenen Sitzung des nationalen Sicherheitsrats, die Ukraine habe erhebliche Truppen zusammengezogen, er vermute, das Land wolle die von den Separatisten besetzten Gebiete zurückerobern.
Solche Behauptungen könnten von Russland als Vorwand für einen Angriff genutzt werden. Auch Putin ergriff bei der denkwürdigen Inszenierung das Wort. Er sehe keine Chancen mehr für eine Umsetzung der Minsker Abkommen, durch die die Ostukraine befriedet werden soll.
„Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass es keine Aussichten“ für das Abkommen gebe, sagte er – und entzog damit den diplomatischen Initiativen von Deutschland und Frankreich die Grundlage.
Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron hatte sich Scholz für eine Wiederbelebung des sogenannten Normandie-Codecs eingesetzt, bei dem die Ukraine und Russland unter Vermittlung von Deutschland und Frankreich über die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen beraten.
Wie es nun weitergeht, bietet viel Stoff für Spekulationen. Womöglich gibt sich Russland mit der Einverleibung der ukrainischen Ostgebiete zufrieden. Kiew, die Hauptstadt der Ukraine, würde dann dem befürchteten Sturm entgehen.
Doch die Anerkennung allein ist schon ein Akt der Aggression, ein Angriff auf die territoriale Unversehrtheit eines souveränen Landes und aller Voraussicht nach der Auftakt für einen Wirtschaftskrieg mit der EU, Großbritannien und den USA. Der Westen hat Russland mit „hohen Kosten“ gedroht – und ein umfassendes Sanktionspaket vorbereitet.
Die geheimen Verhandlungen darüber sind praktisch abgeschlossen. Wochenlang brüteten Spitzenbeamte der EU-Kommission über den Plänen, hielten Rücksprache mit Mitgliedstaaten, konferierten mit den USA, Kanada und Großbritannien. Das Ergebnis ist ein abgestimmtes Bündel von Strafmaßnahmen.
Einige Particulars gebe es noch zu klären, aber im Großen und Ganzen, so hört man es in Brüssel von verschiedener Seite, habe man sich verständigt. Die EU betrachtet die Einigung als Erfolg ihrer gemeinsamen europäischen Außen- und Verteidigungspolitik. Kommissionschefin Ursula von der Leyen und ihren Beratern ist es gelungen, die EU als zentralen Akteur der Abschreckungsbestrebungen zu etablieren. In vergangenen Krisen battle Brüssel oft ein Nebenschauplatz, dieses Mal nicht.
Allerdings hat die Abschreckung nicht funktioniert. Moskau nimmt die Wirtschaftsstrafen offenbar in Kauf. Es sei zwar schwer, unter Sanktionen zu leben, aber der Druck werde mit der Zeit abnehmen, prophezeite Dmitrij Medwedjew, der ehemalige Präsident, der heute als stellvertretender Leiter des russischen Sicherheitsrats amtiert.
Tatsächlich sind die Sanktionen von Kompromissen geprägt – ein Ausdruck des Bemühens, die Wirksamkeit der Maßnahmen zu maximieren und ihre Rückwirkung auf Europa zu minimieren. „Sanktionen müssen effektiv, aber nachhaltig sein“, so formuliert es der italienische Premier Mario Draghi.
Kapitalsperren für russische Banken
Das Sanktionspaket sieht umfassende Kapitalsperren für russische Banken vor – aber keinen Ausschluss vom Zahlungsdienstleister Swift. Es wird ein Exportverbot bestimmter Hightech-Komponenten geben – allerdings kein generelles Handelsembargo.
Und es umfasst mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Stopp der Ostseepipeline Nord Stream 2 – jedoch keinen allgemeinen Boykott von Rohstoffausfuhren.
Ob die vereinbarten Sanktionen nun im vollen Umfang oder zunächst schrittweise verhängt werden, ist bisher unklar. Die ersten Äußerungen von der Leyens und Michels deuten allerdings eher auf ein schrittweises Vorgehen hin.
Der britische Premierminister Boris Johnson hatte am Wochenende bekräftigt, dass der Westen bei einer Invasion die „härtestmöglichen Sanktionen“ verhängen werde. Man werde nicht nur das Umfeld Putins treffen, sondern alle Unternehmen, die von strategischem Interesse für Russland seien, sagte er der BBC.
Die Firmen würden daran gehindert, Kapital an den westlichen Finanzmärkten zu sammeln. Auch sollen sie keine Devisen wie Greenback und Pfund mehr handeln dürfen.
London ist die Hauptstadt des globalen Devisenhandels. 43 Prozent des weltweiten Umsatzes werden der Financial institution für Internationalen Zahlungsausgleich zufolge hier abgewickelt. 31 russische Konzerne und Banken sind an der London Inventory Alternate zweitgelistet, darunter Rosneft, Gazprom und Sberbank.
Alle diese Firmen könnten mit Sanktionen belegt werden. Die Aktien könnten vom Handel ausgesetzt, jegliche Geschäfte mit den Firmen verboten werden. Ähnliche Schritte planen die USA.
Fraglich ist, ob Johnson so weit gehen würde. Denn damit würde er auch die westlichen Geschäftspartner, Investoren und Kunden dieser Firmen treffen. Der Energiekonzern BP etwa hält ein Fünftel der Anteile an Rosneft. Auch große Vermögensverwalter wie Blackrock sind investiert.
Enge Verflechtungen mit russischer Wirtschaft
Die EU steht vor einem ähnlichen Dilemma. Finnland und die baltischen Staaten sind eng mit der russischen Wirtschaft verflochten. Sanktionen würden sie schwer treffen. Daher gibt es in Brüssel Pläne, diese Länder zu unterstützen.
In den USA wiederum steht die Sorge um die Finanzbranche im Fokus: Das Weiße Haus steht im engen Austausch mit den Wall-Road-Instituten. Schon im Januar trafen sich Supervisor von Goldman Sachs, JP Morgan Chase, Citigroup und Financial institution of America mit Vertretern der US-Regierung.
Auch Russland hat sich vorbereitet: Die Unternehmen haben ihre Kredite bei ausländischen Banken seit 2014 halbiert, und die Regierung hat ihre Devisen- und Goldreserven erhöht.
Aus Sicht der Ratingagentur Fitch könnte Russland neuen Sanktionen besser standhalten. Zunächst wäre wohl vor allem die russische Bevölkerung betroffen: Ihr drohen dramatisch höhere Preise, auch für Nahrungsmittel, und eine Entwertung von Ersparnissen.
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