New York, Düsseldorf Die Ankündigungen folgen Schlag auf Schlag. Am Dienstag erklärte der schwedische Pkw-Hersteller Volvo, einen Zugang zu Teslas Ladenetz in Amerika, den sogenannten Supercharger-Stationen, zu erhalten.
Volvo-Fahrer können aufgrund der Vereinbarung zwischen den beiden Autoherstellern ab kommendem Jahr rund 12.000 Tesla-Ladesäulen in den USA, Kanada und Mexiko nutzen. Volvo übernimmt zudem als erster europäischer Automobilhersteller Teslas nordamerikanischen Ladestandard (NACS).
Für Tesla-Chef Elon Musk ist der Run auf sein Supercharger-Netzwerk ein Erfolg. Tesla, das zuletzt mit schwächelnden Absatzzahlen kämpfte, kann die zusätzlichen Einnahmen gut gebrauchen.
In Nordamerika hat sich der Konzern als Elektropionier eine einzigartige Position auf dem Lademarkt erarbeitet. Nach Angaben des US-Energieministeriums machen Teslas Supercharger rund 60 Prozent aller US-Schnellladestationen aus.
„Auf unserem Weg, bis 2030 vollelektrisch zu fahren, wollen wir das Leben mit einem Elektroauto so einfach wie möglich machen“, erklärte Volvo-Cars-Chef Jim Rowan. „Der Zugang zu einer einfachen und bequemen Ladeinfrastruktur“ sei ein „Haupthindernis“ beim Umstieg auf die E-Mobilität. Dank Tesla beseitige man diese Hürde nun in Nordamerika.
Lob von Experten
Marktbeobachter sehen Tesla durch die Ankündigungen gestärkt. „Die Umfragen zeigen klar, dass für potenzielle Käufer von Elektrofahrzeugen neben der ,Reichweitenangst‘ auch die ,Ladeangst‘ das größte Kaufhindernis ist“, erklärt Christian Koenig. Der Autoexperte hat für Porsche in Nordamerika gearbeitet und führt in Atlanta eine Beratung für Elektromobilität.
Eine Studie des Analysehauses J.D. Power belegt, dass jeder fünfte Amerikaner zuletzt sein Fahrzeug aufgrund von technischen Defekten an öffentlichen Ladestationen nicht laden konnte. Das zeige die Herausforderung, so Koenig, die Ford, GM, Rivian und jetzt auch Volvo erkannt hätten. „Sie setzen deshalb auf Tesla und das mit weitem Abstand beste Ladenetzwerk in der Industrie.“ Dieses setze in Sachen Schnelligkeit, Effizienz und Sicherheit Standards.
Für die Autohersteller, die nicht Teil der Allianz sind, werde das zum Problem, so Koenig. „Auf viele Ladeanbieter wie etwa Electrify America kann man sich zur Zeit noch nicht verlassen.“ Hier seien häufig Ladekabel kaputt, das Bezahlen funktioniere nicht, Stationen seien nicht auffindbar oder die Ladegeschwindigkeit deutlich langsamer als angegeben.
Herausforderung für die Konkurrenz
Electrify America wurde ab 2017 von VW aufgebaut. Im Zuge des Dieselskandals war VW dazu verpflichtet worden, zwei Milliarden Dollar zu investieren. Heute betreibt Electrify America 3.500 Ladesäulen, rund ein Viertel so viele wie Tesla.
Angesichts des Siegeszugs des Supercharger-Netzwerks drohen VW-Kunden damit, ins Hintertreffen zu geraten. Ist eine eigene Kooperation von VW mit Tesla denkbar? „Wir hören auf unsere Kunden und evaluieren den Markt weiter, auch diese Entwicklung“, erklärt Electrify America auf Handelsblatt-Anfrage mit Bezug auf die neuen Tesla-Partnerschaften. Laut Branchenkreisen werden entsprechende Überlegungen bereits durchgespielt.
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Auch Mercedes-Benz muss sich fragen lassen, wie man den Elektroauto-Kunden in den USA künftig attraktive Ladeangebote machen will. „Die Weichen bei Mercedes-Benz sind für eine vollelektrische Zukunft gestellt“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Mercedes-Benz plane, bis Ende des Jahrzehnts mehr als 10.000 eigene Ladesäulen in Nordamerika, Europa, China und weiteren Kernmärkten zu errichten. Diese „werden für Elektrofahrzeuge aller Marken zugänglich sein.“
In Nordamerika setzt Mercedes-Benz auf den Partner Chargepoint. Zu möglichen Überlegungen hinsichtlich neuer Partnerschaften, etwa mit Tesla, will sich der Konzern auf Anfrage nicht äußern.
Unabhängige Ladeplattformen wie EVgo oder eben Chargepoint sind laut Branchenbeobachtern nun ebenfalls unter Druck. Ihre Aktien brachen nach den Tesla-Ankündigungen ein.
Nordamerikanischer Ladestandard auf dem Vormarsch
Klar ist, dass sich mit dem Siegeszug des Supercharger-Netzwerks auch der Tesla-Ladestandard NACS immer mehr durchsetzt. Der konkurrierende CCS-Standard gerät in Nordamerika ins Hintertreffen. Letzterer war vor über einem Jahrzehnt vor allem von den deutschen Autoherstellern entwickelt worden.
Mercedes erklärt, man setze „auf genormte Ladestandards, um ein erstklassiges Ladeerlebnis“ zu ermöglichen. „Wir beschäftigen uns mit den weltweiten Entwicklungen zur Ladetechnik. Die technische Umsetzung des NACS sowie den resultierenden Kundennutzen prüfen und bewerten wir.“
Anders gelagert ist die Situation in Europa. Teslas Supercharger sind hier breit verfügbar, einzelne Stationen bereits für Autos der Konkurrenz geöffnet. Der Ladestandard ist hier CCS, was auch mit dem Stromnetz in Europa zusammenhängt. Alle V3 genannten Tesla-Supercharger in Europa verfügen über eine CCS-Einkabeltechnologie, die mit jedem ab Mai 2019 produzierten Model 3, Model Y und Model S oder Model X kompatibel ist.
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In den USA dürfte das Ladenetz in den kommenden Jahren deutlich ausgebaut werden. Rückenwind kommt aus Washington: Die US-Regierung fördert den Ausbau von Ladestationen mit 7,5 Milliarden Dollar.
Künftig dürften durch die neuen Partnerschaften immer mehr Fahrer auf das Ladeangebot von Tesla setzen. Allerdings stehe Tesla damit auch vor einer wichtigen Herausforderung, so Autoexperte Koenig: „Die große Frage ist, kann Tesla weiterhin ein Premium-Ladeerlebnis sicherstellen, wenn sein Netzwerk bald auch von GM, Ford, Rivian und Volvo-Kunden genutzt wird?“
Warteschlangen vor den Superchargern müsse Musk durch einen Ausbau des Netzwerks und intelligente Software dringend verhindern, so Koenig. Sonst drohten treue Tesla-Kunden abgeschreckt zu werden.
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